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J u G

4 1. JAHRGANG

Die alte

Von Jörg E

Die alte Mätzin kann was! Beim Müller hat sie d' Roß verhext,
beim Marxbaur d' Milch, wie roter Maderi läuft die aus den Eutern,
bei jeder Kuh gleich.

Der alt Klopfer kann sich nimmer kampeln! JedeSmal wenn er sich
durchs Haar fahren will, löst sich von fein'm Kamm a Stück. Schon
fein ganzes Leben lang hat er den gleichen Kamm und jetzt auf einmal . . .

Die alte Mätzin kann was... die alte Mätzin ifch a Hex.

Beim Bobbenbauer hat sich 's Wasser im Brunnen verlaufen, sie
können schöpfen wie sie wollen, kein Maul voll bringenS rauf!

Beim Schüler traut sich der Hund nicht mehr ins Haus.

Beim Herrn Pfarrer selber, sein Birnbaum hat mitten im Winter
'S Blühen angfangen. ..

Wer sonst? Nur die alt Mätzin kann schuld sein.

Beim Gorimann kommt a Kind auf d' Welt. Schon elfmal war dies
der Fall. Sonst stand 's Goriwei am dritten Tag auf und diesmal?
Kein drandenken, sie liegt heut noch, heut, nach drei Wochen.

Nie war im Dorf etwas, nie gab es Anlaß zu Klagen, wer anders, die
alt Mätzin, nur die alt Mätzin.

„Heiliger Sebastian!", „Bitt für uns!", „Heiliger Fabian!", „Bitt
für uns!" .. . G'steckt voll ist die Kirche. „Heiliger Kosmas und
Damian!", „Bittet für uns!" . .. Kein Platz wär zu kriegen. . . nur ein
Stuhl??? Die Wetterkerze ist an ihm angebracht und drin kniet, ganz
allein, in dem Kirchenstuhl, die alte Mätzin. . .

Steht nicht ein Heiliger auf und haut sie nieder? Steigt nicht der
Herrgott selber runter und wirft sie auö fein'm HauS?

Der MeSmerhanfenbalthuS liest die Litanei.. „Alle Heiligen Gottes!"
Nichts rührt sich .. . „Alle Heiligen Gottes???" Keine Seele gibt an . ..
„Alle Heiligen Gottes?" Die Kirchenwände rufen es wieder... aber kein
Mensch antwortet. Der Balthus dreht sich um? Nicht nach dem Altar
an dem sich daS Mysterium der Menschwerdung vollzieht gehen die Blicke
und Gedanken der Beter, alles reckt sich nach dem Stuhl an dem die
Wetterkerze brennt, in dem die alte Mätzin stehend ihren bloßen Finger an
der brennenden Kerze entzündet um dann mit diesem ihren Wachsstock
anzubrennen! Eben bläst sie, als ob das so sein müßte, den Finger wieder
aus, so wie andere einen Kienspan ausblasen ... Jetzt horcht sie auf?
Hört wohl den Nachklang deö „Alle Heiligen Gottes" und plärrt ganz
allein „Bittet für uns".

„Alle Heiligen Witwen und Waisen!" Der Mätzin ihr Wachsstock
brennt, es ist kein Grund mehr zu schauen.. . fromm antwortet die
Menge: „Bittet für uns."

Hinten, unter der Porkirche, steht der HanSorglwafchl. „Herrgott",
meint der zum Stofflverl hin, „dera müßt man's auStreiben, so epaS
in der Gmoa, it nur auf der Welt, auch d' Seligkeit nimmt em'm
so eine."

Mit dem Weihwasserwedel gibt der Pfarrer den Segen. Hätt ein
Mensch sehen sollen, wie sich die Mätzin duckt hat... als ob einer
mit'm Ochfenfiesel auf sie neig'haut hätt.

Eng buckelt sich das Haus vom Mätz an die Freithofmauer. Ja
direkt geht a Türl vom Freithof in den Mätzenhof. Die alt Mätzin
harpft aus der Kirche, zwischen den Gräbern häuft sich der Schnee,
wie sie nun zum Türl kommt... geht dies von allein auf, der Mini-
strant hat's vom Sakristeifenster aus g'fehn.

Faul lauft das Bier aus dem Wechsel. Der Kirchenwirt schenkt ein.
Was kann man machen, eS lauft schon drei Tage! Die Zeiten sind
teuer, daS Land liegt in Not. Kein Krieg, ja nicht einmal Händel, die
Leben ins Dorf brächten. Die Herrschaft seit Jahren nicht im Schlosse,

E N D

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Mätzin

n g 1 s c h a 1 k

ihre Rechte fast alle ans Kloster verpfändet, treibt sie sich irgendwo in
der Welt rum.. . Der Dogt macht die noch ledigen Geschäfte und der,
der trinkt Wein! Wein, den die Bauern nur dem Namen nach kennen,
erst gestern brachten die Klosterknechte wieder ein ganzes Faß voll...
wohl aus Tirol, oder gar von noch weiter her.

Der Gorimann sitzt da und ein Hausierer. Dor sie stellt der Wirt
die Bitfche... der Hausierer erzählt, von den geschundenen Bauern im
Schwäbischen und vom Krieg in Hyspanien und vom guten Kaiser in
Augsburg, der den verfluchten Fuggern einen schweren Batzen Geld
gekostet, und er redet vom Pfarrer in Beuren, der weit und breit
bekannt ist und dem Teufel an den Leib rückt und die Hexen drei Tage
im Umkreis gebannt hat und der extra vom Papst nach Rom befohlen
wurde, damit er ihn von seinem bösen Geiste befreie.

Der Kirchenwirt hat eine Nichte, Monika Apfelreutherin. Sie war
lange am Hofe zu Blaubach, lernte dort Sitte und Art. Soll auch
alles Schlechte von da mitgebracht haben und kein Mannsbild im Dorfe
war mehr sicher und jedes Weib bekreuzte sich, sobald sie sie nur von
der Weiten erblickte.

Monika Apfelreutherin war eine Dreißigerin und auch der Gor!
kam heute nur ihretwegen zum Wirt. Aber sie ließ sich nicht blicken.
Sie kümmerte sich nicht, ob der Ofen brannte, oder ob der Gori von
der heute erlegten und eben draußen am Spieße sich drehenden Sau
ein Stück verlange.

Monika Apfelreutherin war oben in ihrer Kammer. Die große
Teigschüssel bis zum Rande mit Wasser gefüllt stand vor ihr, sie besah
sich darin und wickelte die biergetränkten Haare von den hölzernen
Stäbchen und ordnete sie wohl um die Haube. Keck schaut ein Löckchen
aus dem andern raus, so wie sie eS wollte! Der Schnürleib drückt sie.
Doch sie bindet die Schnur an die Türschnalle und zieht sich noch weiter
zusammen, es soll keiner was merken, denn heute, oder nie wieder ...

Gestern, bei der Sauhatz, sah sie der Dogt! Er unterhielt sich mit
ihr.. . Der Dogt, ein alter Bock, wie sie meinte, aber ohne Weib, ihn
gilt es zu fangen... und dazu war nimmer lang Zeit.

Die Wirtshausstubentür knallt ins Schloß. Stiefeltritte dröhnen,
Sporen scheppern auf den Steinplatten. Der Wirt buckelt und grüßt
geängstigt, verlegen... die Ehre, die Gnade, der gestrenge Herr Dogt
in seinem Hause, nicht daß er sich bis dato erinnere ... Der Dehm sei
doch pünktlich bezahlt, auch sonst der Zehnte, wie der Herr wohl wisse,
das Kloster habe ihn gefordert.. . doch dies Jahr, der Herr Erzabt
habe ihn ihm, aus besonderer Gnade, geruht zu erlassen...

Der Dogt rückt am Koller ... „Nichts da .. .! Nur wegen der Sau,
die gestern dem Wirte zufiel!" „Oh, sie drehe sich eben am Spieße,
ein Frischling, wohl schon gar ... ob dem Herren gefällig. ..?" „Nichts
da .. .! Nur einmal nachsehn, wie mit dem herrschaftlichen Gut..." —
da geht die Küchentür auf, Monika Apfelreutherin steckt ihren Kopf
rein, macht ganz auf, kommt rein ... „Mit Derlaub, der Herr Dogt!"
Sie knixt in höfischer Art, so daß ihr Spenzer fast platzt, „der
gestrenge Herr Dogt."

Lautlos wispern der Gori und der Hausierer: „Wenn man den
Beurer Pfarrer Herkommen lassen könnt, vielleicht könnt uns der
helfen."

„Der Herr Dogt wollen die Sau probieren und ein Gläslein dazu
trinken?" säuselt die Monika und rennt in die Küche, lupft mit der
Dirne die Sau vom Spieß, legt sie auf ein Brett. Samt wander
tragen's die zwei in die Stube, setzen sie vor dem Vogt auf den Tisch ...
daS duftet und lockt und singt, das brät und brutzelt und Kringel steigen

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Jörg Englschalk: Die alte Mätzin
 
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