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Theatergenossen wegen meiner ehrenden Beru-
fung eine Runde Schnaps stiftete und daß ich
mit feurigen Worten schwur, den Trachtlern
mit Hilfe der abgefeimtesten Regiekünste das
Wasser abzugraben. Was ich noch alles redete,
weiß ich nicht mehr. Aber es muß Bedeutendes
gewesen sein. Schlagwortartig, parkend und
hinreißend init dem Sinn etwa: Die Kunst
des Volkes dem Volke oder so ähnlich, jeden-
falls habe ich gleich gezeigt, daß ich meinem
neuen Beruf geistig gewachsen bin.

jedoch schon am andern Tag, nachdem ich
ineinen Katzenjammer auSgeschlafen hatte,
kamen mir allerhand Bedenken. DaS näßte
«mir aber auch nichts mehr und ich beschloß,
der ehrenden Berufung in drei Teufelsnamen
Folge zu leisten. Mit großem Eifer stürzte ich
inich alsbald in die vielseitigen Geschäfte eines
Regisseurs.

Dank der Vorarbeit des Brauereibesitzers
Pantl hatte ich bald eine Liste aller spielfreudi-
gen Dereinsmitglieder. Aber als es an die
Wahl deS Stückes und an die Rollenbesetzung
ging, fing mein Leiden an. Nach dem Grund-
sätze „die Kunst dem Volke" und weil inan als
Schriftsteller doch in erster Linie die Verpflich-
tung hat, gewisse künstlerische Grundsätze zu
vertreten, versuchte ich zuerst ein sogenanntes
gutes Stück auf die Bretter zu bringen. Aber
ich erfuhr neuerdings, daß Theaterspielen auf
dem Lande immer noch gleichbedeutend ist mit
Gaudi machen und des weiteren, daß Stücke
ernsteren Inhalts nur dann Aussicht auf Erfolg
haben, wenn sie zum Sterben rührselig sind.

Weil die Fremdensaison bereits begonnen
hatte und mir die alten Maffinger Theater-
habitues zuredeten, wählte ich schließlich ein
Stück aus, das ihrer 'Ansicht nach unbedingt
erfolgversprechend war. Es war so eine
Mischung ähnlich wie die Achterbahn, nur mit
einem tragischen AuSgang. Das Stück hieß
„Die treulose Braut", hatte drei Akte und war,
ich betone das extra, auch von einem berühmten
Heimatdichter aus der Ammergauer Gegend.

Die Rollenverteilung brachte schier unüber-
windliche Schwierigkeiten. Da wollte die
Kellerer Marie ausgerechnet d i e Rolle und

Bei etwaigen

Ök Meier Berta jene. Der Moser Bertl spielte
grundsätzlich nur das und der Haller Wiggl
sagte gleich, daß er nicht mag. Da brauchte
es schon diplomatische und sonstige Künste
genug, bis man seine Leut eininal richtig bei-
sammen hat.

Bei den Proben gehen dann die Prüfungen
des Regisseurs weiter. Oft kommt niemand,
meistens nicht alle. Man kann auch nicht ver-
langen, daß die Haiger Marie zur Probe
kommt, wenn der Spielleiter vergessen hat, sie
ganz persönlich nochmals einzuladen.

Ich kann versichern, daß ich unter all diesen
llmständen innerhalb ganz kurzer Zeit vollendet
fluchen lernte und schließlich derart schreckliche
Drohungen auSstieß, daß vor der Aufführung
gerade noch zwei komplette Proben zusannnen-
gingen.

Der Pantlbräu wohnte der letzten Probe bei
und geizte nicht mit seinem Beifall. „Bravo",
rief er, „da fehlt sich gar nix. Ihr kriagtS an
Erfolg, daß aS HauS wackelt und eine Kritik
Ia Da werd er de Trachtler st.'nka. Nur net
auslassn!"

Vignette Paul Freytag

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jch bedurfte dieser Aufmunterung wirklich.

Die Rollentexte saßen noch gar nicht und der
dritte Akt zeigte arge Blößen. Besonders die
tragische Schlußszene, auf die alles ankam, wo
der Anderl feine ungetreue Braut, die ein
Techtelmechtel mit dem Toni hat, durchs Fen-
ster herein erschießt. Als ich die Szene noch-
inals spielen lassen wollte, begannen meine
Schauspieler zu meutern, „ja freili", riefen
sie, „war scho recht. Geht do alles prima. Nix,
Feierabend is. Hoamgehn tean ma."

Am andern Tag war in der Turnhalle zu
Massing die Aufführung. Wir hatten ein
volles Haus und der Pantlbräu grinste übers
ganze Gesicht.

Selber spielte ich nicht mit und da ich eigent-
lich nichts mehr zu sagen hatte und sowieso
gewillt war, den Dingen ihren Lauf zu lassen,
setzte ich mich nach Aktbeginn zu Bekannten in
den Zuschauerraunr. Alles ging gut. bind weil
jch nicht so renommieren mag wie die Trachtler,
vermelde ich nur, daß das Publikum dem Stück
und den Darstellern schon nach dem ersten und
zweiten Akt lebhaften Beifall spendete.

jetzt kam der dritte Akt und mit ihm jener
tragische Schluß, der gewissermaßen die Peri-
petie des Ganzen bildet.

Die ungetreue Braut schmuste lebenswahr
mit dem Toni und ließ sich von ihm abbusseln.
Eben gibt sie ihm das Versprechen, daß sie ihn
herein läßt in ihre Kammer bei der Nacht.

„ja Toni, kimm nur. j ghör ganz dei —
auf ewig ..."

Auf ewig, ist das Stichwort für den betro-
genen Anderl. Da muß er von außen das
Fenster aufstoßen, inan muß den Flintenlauf
sehen, er muß einen teuflischen Lacher ausstoßen
und dann muß es krachen, worauf die unge-
treue Braut mit einem Schrei zu Tode getrof-
fen dem Toni in die Arme fällt.

Es klappte besser, als jch gedacht hatte. Der
Flintenlauf wurde sichtbar und der abscheuliche
Lacher des Anderl zog den Zuschauern die
Gänsehaut auf. Aber — der Schuß fiel nicht.
Man hörte bloß das Schloß des Gewehres
schnappen.

ja Herrschaftseiten! jch bekam einen roten
Kopf. Ergeben wartete droben auf der Bühne

Münchner „Jugend“ Bezug zu nehnier

1936 / JUGEND Nr. 17
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Paul Freytag: Vignette
 
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