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J u G

4 1. JAHRGANG

END

1 9 3 6 / N R. 2 1

IE. V. P.

Anekdotisches um Ernst von Possart

Erzählt von Proc. Georg Fuchs

„Hier E. v. P.!" so flötete eS weich, wehmütig, milde und doch
hoheitsvoll, aber zugleich auch wie hilfeflehend, fast kindlich — wer
könnte sagen, was diese, an allen Möglichkeiten der Menschenseele bis
zu einem unvorstellbaren Grade der Ausdrucksfähigkeit trainierte Schall-
spieler-Stimme alles in sich enthielt! Seit er den bayerischen Kronen-
orden bekommen, mit dem der persönliche Adel verbunden war, hatte der
Königlich Bayerische Generalintendant, Professor Dr. Ernst Ritter von
Possart, sich diese Form der Anmeldung angewöhnt, wenn er in beson-
deren Fällen persönlich anries — die ihn näher kannten, sagte nie anders
als „Allerhöchst persönlich"; man konnte gar nicht anders sagen ange-
sichts von so viel huldvoller Majestät. Diese Abkürzung seines geadelten
Namens sollte auch — das lag ebenfalls in der blnergründlichkeit dieser
unerhört vieldeutigen Stimme — sollte auch als eine herablassende Ver-
traulichkeit empfunden werden, mit welcher nur Intime „ausgezeichnet"
würden, die aber dafür auch durch entsprechendes Entgegenkommen in
dieser oder jener Sache honoriert werden sollte, derenthalben der „Aller-
höchst persönliche" Anruf des hochgebietenden Theater-Monarchen er-
folgte. jedenfalls sollte man sich davon geschmeichelt fühlen. — DaS
war so um die Jahrhundertwende, in den Tagen seines strahlendsten
Glanzes, als er die Wagner- und Mozart-Festspiele in München orga-
nisiert und dafür daS Prinzregenten-Theater errichtet hatte, in dem sich
das prunkvollste Luxuö-Publikum aller Weltteile jeden Spätsommer
zusammensand und „Sein" erlauchter Name fast noch mehr auf allen
Lippen lag als der Name Richard Wagners selbst.

Der Errichtung dieses Prinzregenten-Theaters war aber ein heftiger,
recht bösartiger Kampf vorausgegangen, der teils auf die Gegnerschaft
der „orthodoxen" Wagner-Gemeinde zurückzuführen war, welche das
Monopol Bayreuths nicht angetastet wissen wollte, teils auch darauf,
daß die Bodenspekulation aus dem Projekte Sonderprofite zu schlagen
suchte und Possart selbst in den Verdacht gebracht wurde, an diesen
Spekulationen nicht ganz unbeteiligt zu sein. Auch warfen ihm seine
Feinde in der Presse vor, daß er einflußreiche Kritiker dadurch für seine
Festspiel-blnternehmungen gewonnen habe, daß er sie Propaganda-
Schriften verfassen ließe und diese üppig honorierte. All diese Wühlereien
führten schließlich zu einem der spezifisch Münchnerischen Kunst-, Litera-
tur- und Theater-BeleidigungS-Prozesse, in dem auch Er, der Bühnen-
GeneralissimuS, unter entsprechend pomphafter Regie als Zeuge auf-
treten und unter geradezu erschütternd feierlicher Mimik einen Eid
schwören mußte, dem er mit wahrhaft erzpriesterlicher Salbung in der
Stimme die Beteuerung anfügte: „So wahr mir Gott helfe und sein
heiliges Evangelium!" — Da blieb kein Auge trocken in dem weiten
Saale, den das bei solchen Haupt- und Staats-Aktionen der Kunststadt
nie fehlende Publikum der „Intellektuellen" und „Kulturellen" bis auf
den letzten Maß füllte, vor allem die Kunst-, Literatur- und Theater-
Damen mit wallenden Pleureusen aus den hochgetürmten Frisuren
und daS alles in eine solche Wolke erlesenster Parfüme hüllend, daß von
der Arme-Sünder-Atmosphäre des Gerichtssaales kein Hauch übrig blieb.
Leider wurde aber dann die Sache im Fortgange der Verhandlungen
für den Gewaltigen ziemlich peinlich: zudringliche Anwälte und andere
böse Menschen taten allerhand Fragen, deren eidliche Beantwortung
nicht so ganz einfach schien. Da aber zeigte Er sich in der ganzen
unerschütterlichen Größe und Pracht seiner Pose. Kindlich flötend
schwebte der demutsvolle Sang seines Organes zum Richtertische hin
und well er nun doch einmal im Schuß war mit seiner an der Rede-
weise des Shakespeare'schen Caesar geschulten imposanten Rhetorik, so

bereitete er gleich auch mit einer pompösen Geste dem ganzen Prozesse
ein unerwartetes Ende, jeder Zoll ein antiker Imperator mit ehernen
Monumentalsalten um den redegewaltigen Mimen-Mund und mit der
Feierlichkeit eines Pontifex maximuS beschwörend die Rechte gen Himmel
reckend, rief er dröhnend: „Lasset uns doch inne werden, daß in dieser
ernsten Stunde über unseren Häupten der Aar von Wittelsbach schwebt,
der Genius unseres durchlauchtesten, allgeliebten Herrscherhauses, deyen
herrliches Kunst-Erbe heute meinen armen Händen anvertraut ist! Laßt
uns alle doch einig hin in dem Bewußtsein, daß diesem hehren Erbe kein
Schaden geschehen darf! Blicken wir auf zu der hochehrwürdigsten aller
königlichen Greisengestalten, zu dem erhabenen Haupte meines all-
gnädigsten Herrn, des uns allen teuren Prinzregenten, und geloben wir,
statt in schnöder, welscher Geldgier um erbärmliche materielle Dinge zu
feilschen, geloben wir aus echt deutschem Herzen Treue dem Aar von
Wittelsbach..."

Da geschah's, daß ein ehrfurchtsloser Rechtsanwalt mit sarkastischem
Tonsalle einen Zwischenruf machte: „L ö w e ! Nicht Aar! Der Adler
ist preußisch; der Löwe ist daS bayerische Wappentier!" — Unver-
geßlich die kaum merkliche jmperatoren-Geste, unvergeßlich der jupiter-
blick, mit dem Possart sich diesem Frechling zuwendete, nur einen Nu
lang, um dann unerschüttert weiterzudonnern: „ja, der Leu!" Noch
donnernder: „ja, der Flügel-Leu von Wittelsbach! Er schwebt in
dieser Stunde über unseren Häupten, zu ihm erheben wir unsere Herzen
usw. usw." blnd tatsächlich gelang es inzwischen dem humorvollen Vor-
sitzenden, der wohl längst den Eindruck hatte, daß der ganze Prozeß nur
eine Ausgeburt der Neidhammelei der bei PossartS Propaganda-Aus-
trägen sich übergangen fühlenden Literaten war, mit den Vertretern der
Parteien einen Vergleich zu vereinbaren — und die ganze peinliche
Sache war zu allgemeiner Verblüfftheit und Heiterkeit aus der Welt!

Und als dann wirklich der große Tag herankam, wo das nach seinein
„Allergnädigsten Höchsten Herrn" genannte Prinzregenten-Theater er-
öffnet und geweiht werden sollte, da steigerte sich dieser geniale Poseur
geradezu noch über sich selbst hinaus. Nur e i n Vorkommnis, das mir
Max L i t t m a n n, der vor kurzem verschiedene Erbauer des Hauses,
selbst erzählt hat, mit dem Ansügen: „jch habe, weil ich nach Possart
auch eine Auszeichnung in Empfang nehmen sollte, -unmittelbar daneben
gestanden, sonst würde ich's selbst nicht glauben!" Es war in den
Hallen des neuen Festspiel-HauseS ein Thron mit Baldachin errichtet
worden, auf dem der Prinzregent sich während des Weiheaktes, umgeben
von seinem Hofstaate, niederließ. Auf dem davor gebreiteten Teppich
hielt Possart in voller Gala und fast erdrückt unter der Überlast uner-
hörter Ordens-Massen seine Ansprache, nach deren Beendigung er auf
den Stufen niederkniete, um „aus den erhabenen Händen seines könig-
lichen Herrn" die ihm zugedachte hohe Auszeichnung entgegenzunehmen.
Und da geschah eS — das Ganze wirkte wie eine Generalprobe zu einer
Shakespeare'schen Königs-Tragödie — da geschah eS, daß Possart nicht
nur einen Kuß auf die Hand des Regenten hauchte, sondern zugleich auch
aus dem einen Augenwinkel zwei dort angesammelte und für diesen
„hehren Augenblick" bereitgehaltene Tränen tropfen ließ: „Zwei

wirkliche, nasse Tränen!" beteuerte Littmann. — Übrigens war es von
Possart bekannt, daß ihm, dank seinem absoluten Schauspielertum, die
Träne jederzeit zu Gebote stand, wenn es der taktische Zweck, den er
verfolgte, oder die Rolle forderte, die er gerade spielte — hinter der
Rampe wie vor derselben im „gewöhnlichen" Leben. Er war darin
daS vollkommene Gegenbild zu dem „Schauspieler" im „Hamlet", der

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Register
Georg Fuchs: E. v. P.
 
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