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41. JAHRGANG

N D

1936 / Nr. 22

Weltwanderung

OU QÜeLr-OiirEL

0onnp hat sich neu gehoben!

Freudig küßt ihr junger Glanz
Des Gebirges Schultern. Droben
Glühn sie feurig Seit' an Seite!

Vorwärts in die Sehnsuchtsweite,

Mit dem Bergsiroin jauchzt mein Tanz
Früh am Morgen!

Brausen füllt das Tal der Stürme.

Hart verwettert übertürmen
Tannen, trotzig hochgereekt,

Die zu Tod gestürzten Stämme.

Mit der Flut gekrümmt, gestreckt
Bahnt mein Pfad sich durch die Dämme
Frei ins Weite!

Offne Welt! D Lust der Ferne!

Sonne blitzt als tausend Sterne
Auf dew Strom! Ihr Strahlenspiel
Schenkt sie hin mit offnen Händen,

Strömt, ein einziges Verschwenden
An der Ferne Weltgewühl,

Hoch im Mittag!

Weit entfaltet sich die Stadt d>er Landschaft
In den Lichtkreis innigster Verwandtschaft
Eingebettet. Säulen stehn gerichtet,

Die den Baldachin der Arbeit tragen;
Flaggen Rauch entlvehn ihm, windgelichtet.
Die den Himmel zu erweitern wagen
Heiliger Zukunft!

Sonnenweiße Wolken ziehen,

Wandrer, die mit mir erglühen
In der Seele Liebeslicht!

Strom und Ebene atmen, sprühen.

Aller Welt fühl ich entblühen
Licht, das Alle klar umflicht
Hoch im Welttag!

Das am Meer in Abendgluten
Flammend reift. — D letztes Schauen:
Wolken, die wie Korn aufwogten,

Welken hin als Mohn ... Am grauen
Sand des Horizontes flutet
Schon der Totensee des Mondes
Gegen Nacht hin ...

Sonnen tauchen aus der Flut —

Tag und Ferne, Nacht und Sterne,

Alles Leben ist mir gut!

Kreisend wandelt sich inein Blut
Zur Erfüllung letzter Ferne,

Zur Vollendung reinster Glut
In der Weltnacht. —

DIE Ißt KOMPASS

VON CARL CONRAD

Die Hitze lag wie eine große, suggestive Dummheit über dem See
und lähmte jeden Gedanken ebenso wie noch die geringste Bewegung.
Der Wind, träge und warm auS Süden, vertrieb den Dunst nicht, der
über dem Wasser und um die Berge war, und vertrieb auch die Wolken
nicht, die wie zäher grauer Rauch den Himmel überzogen, doch eine
Lücke frei ließen, eine teuflische Öffnung, groß genug, damit die Sonne
mit ihrer ganzen unerbittlichen, -schmerzhaften Gewalt hereinstrahlen
konnte in diesen abgeschlossenen, ausweglosen Kessel von Wasser, Bergen
und Wolken, alles in Glut.

Ein grünes Boot war ein Stück auf das sandige Ufer heraufgezogen,
wo eS reglos lag wie das Wasser, daS so unbewegt und bleigrau war,
ohne Glanz und ohne daS Blitzen der geringsten Welle, als fei eS plötzlich
durch irgendeinen rätselhaften bösen Zauber zu EiS erstarrt.

Der junge Mann, der etwa fünf Meter vom Boot und vom Ufer
entfernt im Schatten einer Buche saß, brachte nicht mehr die Kraft
auf, den Schwarm von Bremsen zu verjagen, der ihn mit fanatischer
Besessenheit umkreiste. Als ihm der Kompaß entfiel, mit dem er die
Richtung des Windes festgestellt hatte, ließ er ihn im GraS neben der
Bank liegen und sagte sich: „Nicht vergessen, der Kompaß ist ins GraS
gefallen. Sie kann ihn aufheben."

Er lehnte sich zurück, die Arme herabhängend, streckte die Beine aus
und sah mit völliger AuSdruckslosigkeit auf feine weiße Leinenhose hinab

und die gelben Flecken von Sonnenöl in ihr. Dann betrachtete er
lange und mit der Miene eines tödlich Ermüdeten die angeschmutzten
Leinen schuhe, in denen irgend etwas stak, was nicht zu ihm gehörig
schien, dessen Gewicht er aber fühlte. Zuletzt hob er den Kopf ein
wenig, mühsam, und starrte über den See hinweg und dahin, wo die
Berge hinter dem Schleier von Dunst wie Silhouetten erschienen, vage
und phantastisch ausgeschnitten. Etwas in seinen Augen veränderte sich,
unwillkürlich, und er sah nichts mehr als unbewegte Glut. Er sah ihre
nackte Farblosigkeit zum erstenmal, aber er war zu schlaff, um erschrecken
zu können. Er war nahe daran, einzuschlafen. „Südwind", dachte er,
„vielleicht kommt ein Gewitter."

Als er Schritte hinter sich hörte, streifend im Gras, wandte er sich
nicht um und hob nicht einmal den Kopf. Aber das Mädchen ging so
weit um ihn herum, bis er es sehen mußte, schmal, groß, in einem
weißen Badeanzug, der saß wie auf die Haut gemalt. Der junge Mann
hob die Arme ein wenig, als wollte er einen Traum verscheuchen, aber
nicht mit flachen Händen, wie man einen leichten, heiteren Traum
gleichsam zu beschwichtigen und hinauSzukomplimentieren pflegt, wenn
man im Umgang mit Träumen erfahren ist, — sondern seine Hände
waren verkrampft und mit derartiger Gewalt zu Fäusten geballt, daß
die Nägel tief und schmerzhaft inS Fleisch einschnitten.

„Na, jetzt bin ich ordentlich herumgestrolcht", sagte daS Mädchen.

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Paul Weber-Kirch: Weltwanderung
Carl Conrad: Der Kompass
 
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