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J U G E

41. JAHRGANG

N D

1936 / Nr. 30

Hausmann und das Schicksal

Von Franz Bock

Mit kleinen, zögernden Schrittchen schlüpfte Gustav Hausmann ans
der steinernen Kälte des dunklen Hausflurs in die bunte, laute Groß-
stadtdännnerung hinein. Wie ein Käfer, der zum erstenmal aus dem
Dunkel der Erde kämmt und auf der Spitze eines Halmes die ersten
Züge Sommerluft in sich hineinpumpt, dann die Flügel spreizt und
probt und alle Erdenschwere hinter sich zurück läßt, so stand Gustav
HauSmann unter der Türe des ehrwürdigen Handelshauses der Herren
Gebr. Kellhammer, Lederwaren en gros; nur Flügel spreizte er keine,
das war von einem Buchhalter, an dem 27 Jahre Dienstjahre klebten,
zu viel verlangt und die Luft, die er in sich hineinpumpte, enthielt mehr
Benzin und Staub als Sommer. Aber für fein anspruchsloses, kleines
Leben genügte es, er fühlte sich ein bißchen freier und wohler, als oben
in den schrecklichen Büroräumen. Trotzdem, dieses Zerschlagensein, dieser
Mißmut und der summende brummende Schädel waren immer noch
schlimm genug. Abend für Abend war das fo, seit 27 Jahren; Sonn-
und Feiertage und jährlich drei ürlauböwochen abgerechnet.

Heute schien ihm sein trostloser Zustand ärger denn je, die Gedanken
durchwühlten sein schmerzendes Hirn in wirrer, zusammenhangloser
Folge, sie hatten Eigenleben; HauSmann ließ dumm verwundert ihren
tollen Wirbel über sich ergehen. Er lehnte gegen die Stange der Straßen-
bahnhaltestelle. Sie trug viele Nummern, hier trafen sich eine Menge
Linien. In regelmäßigen Abständen stauten sich zitternde Wagen und
ungeduldige Menschen und warteten auf das Freizeichen, um sich dröh-
nend und stampfend wieder vorwärts zu werfen, es war wie die Pause
zwischen zwei Atemzügen. HauSmann sah das alles längst nicht mehr,
heute weniger denn je, er fühlte nur stumpf den Hexentanz feines heiß-
gelaufenen, müdegedachten Hirnes. Schlafen — Träumen — Höhe-
punkte feines Alltags!

Straßenbahnen krochen langsam heran, bunte Lichter, beleuchtete
Nummern an den Stirnen. Gustav HauSmann glaubte, seine Beine
stiegen völlig von alleine ein. Die Helle im Wageninnern tat ihm weh,
er sah einen freien Sitzplatz, fegte im Hinsteuern einem älteren Herrn
den Hut vom Kopf, lächelte hilflos und war froh, als er saß. „End-
station" verlangte er, zahlte und nahm den Fahrschein lvie ein Automat,
dann versank er in Lethargie.

Er überhörte die Entschuldigung wegen eines Fußtritts ebenso wie —
schlimmer für ihn — daö Ausrufen der Haltestellen. Häuserreihen
fegten in der hellen Großstadtnacht an ihm vorbei, die er höchstens
zweimal in seinem Leben gesehen, Straßen wurden genannt, deren Lage
im Stadtplan er nie zu bestimmen gewußt hätte. Das Schicksal, das
ihn zu unheilvollem Erleben erwählt hatte, schien ihn mit dichten
Schleiern zu umgeben, damit keine Wirklichkeit zu ihm drang, die ihn
aufstörte und entrinnen ließe.

Allmählich wurde die Menge der Zusteigenden kleiner, im Wagen-
innern wurde eö ruhiger und leerer und Hauöinann begann langsam
zurückzufinden. Als er an der Endstation, nicht ohne erst vom Schaffner
gestupst zu werden, als Letzter ansstieg, wachte er endgültig auf.

Und starrte mit schreckensweiten Augen die völlig fremde Gegend an.
Eine Dorstadtstraße, menschenleer, schlecht gepflastert. Altmodische GlaS-
laternen flackerten, arme, kleine Häuschen standen geduckt, aber HauS-
mann sah nur die Eisenbahnbrücke-

Wie seltsam unheimlich solch nächtliche Eisenbahnbrücke ist! Festes,

dichtes Geländer, damit keiner hinunterstürzt-oben darauf schräge,

engmaschige Gitter mit großen Warnungsschildern, damit keiner an die
Hochspannungsleitung kommt — — — wie der Asphalt glänzt im
flackernden Licht!

Da steht ja einer, was der für einen hellen Mantel anhat — warum
geht er denn nicht? — man bleibt doch nicht stehen auf einer Eifenbahn-
brücke — den Zug unter sich durchfahren sehen? DaS tun doch nur
Kinder — ja was macht er denn-um Gottes willen!-

HauSmann hatte geschrien, der andere, den er am Kragen hielt,
blieb stumm. Der schinächtige Buchhalter mußte einen ziemlichen
Sprung gemacht und sehr sicher und kräftig zugegriffen haben, als er
den im hellen Mantel vom Schutzgitter herabriß.

So steht man aus, wenn man sich das Leben nehmen will? dachte
HauSmann verwundert und sah sich den Helden an wie ein seltenes
Tier, das er gefangen hatte. — Ein Gesicht, leuchtend gelb, die Haut
wie aufgeguollen, HauSmann sah eS deutlich unter der Laterne, die
Lippen hatten nicht die geringste Farbe, 'sie standen klaffend ausein-
ander. Überhelle, verwässerte Augen, rund hervorguellend, die nichts
ansahen. Er stand auf wankenden Beinen, stumm und glotzend, sein
Geist schien den tödlichen Sprung bereits ausgeführt zu haben und das,
was HauSmann da am Kragen hielt, war nur mehr die leere Puppen-
hülle.

HauSmannS Schrei hatte Leute herbeigelockt; sie kamen gerannt, von
der Straßenbahnhaltestelle, von den kleinen Häuschen. Da machte der
Gelbe eine Bewegung, als wolle er die Hand am Mantelkragen ab-
schütteln, aber die Geste blieb so kraftlos, daß HauSmann dachte, der
ganze Mensch sei wie Sülze. Der Leute wegen fing er an rasch zu
gehen, den Gelben vor sich herstoßend und leise aus ihn einredend.
Sinnloses Zeug von Dummheiten machen und Helfenwollen und schon
wieder Einrenkenlassen. Der andere taumelte, wie ein Falter, der dein
Licht zu nahe kann

Am Ende der Brücke bogen sie um eines der Häuschen in die 2uer-
straße ein. Die Menschen waren zurückgeblieben.

Else Hauöinann wärmte daS kaltgewordene Abendessen auf, öffnete
die Flurtür und horchte inö Treppenhaiiö hinaus, sah zum Fenster hin-
unter, verglich die Standuhr mit ihrer Armbanduhr und war ein bißchen
fahrig.

„Nacharbeiten", dachte sie erst. Aber warum ruft er dann nicht an?
Sie versuchte sich vorzustellen, wie das bei Gustav im Büro wohl war
— „wird eine Besprechung mit dem Chef haben, da kann er natürlich
nicht mittendrin wegrennen, ans Telephon, wo Kellhammer immer gleich
so eklig ist."

Allmählich züngelte Angst in ihr hoch, zuerst uneingestanden, mit
Dernunstgründen niedergehalten.

„Ich 'brauche ja bloß selbst anzurufen, ob er noch da ist." Als sie
den Hörer wieder auf die Gabel legte, war sie blaß.

Wieder trat sie vom Fenster zurück. Es tvar zu dunkel geworden,
um noch jemanden draußen erkennen zu können. Sie mußte sich 2m

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Franz Böck: Hausmann und das Schicksal
 
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