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J u G

4L JAHRGANG

END

1 9 3 6 / N R. 3 6

Die Bauernstube

Von Lotte RiecLe

Die Fliesen in dem niedern Balkenflur
sind ausgetreten von den vielen Schuhn,
es ist die letzte rückgelassne Spur
von denen, die schon längst im Dunkel ruhn.

Da sind noch Scheiben aus bemaltem Glas
mit Bild und Wort von starker Männer Tat,
hier blühte Liebe und hier flammte Haß
und Blut und Streit um eigen Land und Saat.

Ganz oben, wo die breite Bettstatt steht,
in der man Leben gab und sterben ging,
träumt eine Lade voller Zinngerät,
daran cles Ahnen ganze Liebe hing.

Die jüngste Magd singt trällend irgendwo,
der sonntägliche Friede ist ihr Freund,
sie streicht das Kleid und schlingt die Bänder froh
vor ihrem Bild, das aus dem Spiegel scheint.

Und jede Fensterbank ist übervoll
mit brennend-rotem Granium geschmückt,
wenn erst die Wagen rasseln emtevoll,
erzittern sie und jede Blüte nickt.

Die Tauben gurren alles ein zur Ruh,
wenn Dämmer kommt und übers Dach der Mond,
ein Riegel kreischt und schließt die Ställe zu,
in denen Tier bei Tier umfriedet wohnt.

Vom Feld her weht des Bodens schwerer Ruch
und füllt das Haus bis in den kleinsten Raum,
still liest der Bauer seinen Abendspruch,
und schaut zum Himmel überm Lindenbaum.

Die heitere Geschichte

Von Rudolf S c h m i 11 - S u I z t h a I

„Was arbeiten Sie gerade?"

„Ich schreibe heitere Geschichten, gnädige
Frau", sagte ich mit schlechtem Gewissen, denn
Frauen schätzen Humor und Komik wenig und
ein Mann mit diesen Gaben findet bei ihnen
nur ein ablehnendes Verständnis. Uni meine
Unruhe zu maskieren, rührte ich in der Tee-
tasse schissbruchgefährliche Wogen aus, obwohl
das letzte Stäubchen Zucker schon längst seinen
versüßenden Geist aufgegeben hatte.

„Erleben oder erdichten Sie die Geschichten?"
fragte Frau Hertha, arteigene Neugier selbst
für die entlegensten Dinge verratend.

„Augenzeuge der Geschehen bin ich wohl
selten, aber ich greise sie auch nicht aus der
Luft", antwortete ich mit falschem Lächeln
und schaute drein wie ein Magier, dem man
seine Berufsgeheimnisse entschleiern möchte.

Ein Seufzer weilte genießend aus den reifen
Lippen meiner Nachbarin und falterte dann
glücklich davon.

„Ich habe kaum etwas Heiteres erlebt", ge-
stand Frau Hertha zu meinem maßlosen
Schrecken.

„Das glaube ich nicht!" sagte ich grob, ge-
stachelt durch die Scheu vor allzutiefen, weib-
lichen Enthüllungen, die ja doch nur die Illusion
entkleiden.

Ein Blick aus das anspruchslose Blondhaar
neben meiner Schulter mäßigte meinen gerechten
Zorn; er spendete mir svgar eine stille Dank-
barkeit, denn Blondinen, die der Natur ins
Handwerk pfuschen und dann Haare haben wie
frisierts Stroh vergällen mir jeden liebkosenden
Gedanken.

Ein nachgiebiger Ausdruck erfüllte das jetzt
seitlich geioandte Frauengesicht mit angenehmen

und weichen Reizen. Es sah den Tanzbedürs-
tigen der kleinen Gesellschaft zu, die sich aus der
schmiegenden Bewegung mit dem Geschlecht
Stimmung und Vergnügen schufen. Das
Grammophon spielte einen verwischten Tango.

„Ich denke an ein kleines Erlebnis, aber ob
es heiter ist?" sagte, ihr Gedächtnis peinigend,
Frau Hertha mit eigenwilligem Satzbau. Ihre
Stimme bat im Voraus um eine günstige
Kritik. Kollegial gewährte ich diese, indem ein
freundlicher Schein meine brillegeschärften
Augen zu mildern suchte. Ein Fieber berufs-
mäßiger Begierde machte meine spätklassischen
Züge, die, seit ich nur denken kann, unter ge-
wissen Stilunreinheiten zu leiden haben, um
eine Nuance weniger bedeutungslos, während
die von mir erhobenen Hauptes getragenen und
von meinen Freunden geschmähten Koteletts
unter den Ohren wie empfangbereite Antennen
bebten.

„Arbeit und Brot", dachte ich mit einer
Vision aus Druckerschwärze, wobei die Vor-
stellung des ersten Begriffs die gewohnten
Schweißtropfen aus den Schlupfwinkeln der
Stirnporen scheuchte.

Frau Hertha stellte ihr Besinnen ein und da-
durch meine Folter ab: „Voriges Jahr wollte
ich den Frühling im Gebirge kennen lernen. Ich
verließ, die erste brennende Sonne im Rücken,

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Register
Rudolf Schmitt Sulzthal: Die heitere Geschichte
Deiglmayer: Vignette
Lotte Riecker: Die Bauernstube
 
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