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Landsknechte Heinz Landgrebe

An einem klaren Tage, „Fliegerwetter" sagten die Bewohner deS öfter
heimgesuchten Landstrichs, war daS Gericht versammelt, um in Sachen
Gregor Albütz wegen vorsätzlicher Brandstiftung zu urteilen.

„Angeklagter, Sie waren als arg jähzornig bekannt, wenn auch
manches Zeugnis für Sie spricht. Bevor das Feuer in Riedmatters
Anwesen ausbrach, haben Sie, wie bei früheren Händeln, mit dem
Roten Hahn gedroht. Äußern Sie sich."

„Man redet manches Wort übereilt hin, ohne an die ^at zu denken.
Ich bin im Ärger so benaturt."

„Also dürfte Ihre Natur diesmal die erlaubten Grenzen weit über-
schritten haben. Sie sollten Zhr Gewissen durch freiwilliges Geständnis
erleichtern. Vielleicht wären mildernde Umstände vorhanden. Wie Sie
wissen, haben wir einige wichtige Belastungszeugen, vor allem Zeugin
Sibylle Müller. Hat Eifersucht Sie ins Verbrechen stürzen lassen?"

Albütz verneinte die Schuld.

„Angeklagter, Zeugin Müller wird die Hand zum Schwur heben,
nach bestem Wissen auösagen müssen, was Sie ihr gegenüber nachts
auf der Dorfgasse geäußert haben. Wollen Sie durch fortgesetztes
Leugnen die volle Schwere des Gesetzes herausfordern?"

Albütz schwieg.

„Werden wir den Zeugen Uhlin vernehmen, der ^hre Drohungen bis
in seinem Hof gehört haben will. Nachher soll Zeugin Müller aus-
sagen. Gerichtsdiener-"

Tosendes Geheul drang heran. Fabriksirenen schleuderten ihr heiseres
Brüllen in Straßen und Stuben, warnten, mahnten zur Flucht in
bombensichere Unterstände. Alle Augen im Verhandlungssaal suchten
die Fenster, den Himmel. Vor der Türe entstand Lärm. Unruhe zwängte
>ich in den Saal.

Abwehrgeschütze bullern dumpf. Luftschrauben beginnen zu singen,
fliegende Motoren lassen ihr Gesumm anschwellen.

Zeuge Uhlin ist vor den Richtertisch getreten, während sich die in den
Frieden geschleuderte Kriegswolke heranwälzt. Der Hörerraum ist

lebendig geworden, fluchtartig sammelt sich die Menge am Ausgang.

Deutlicher lärmen Flugzeuge.

Kurze Bemerkungen zwischen Richter und Staatsanwalt.

„Wird beschlossen eine Pause von einer halben Stunde eintreten zu
lassen. Gerichtsdiener, Sie führen Angeklagten und Zeugen in den Keller.
Auch alle übrigen Anwesenden sind aufgefordert, sich gleichfalls zu
sichern." .

Polternd suchen die „Kriminalstudenten" den Korridor, einige lächelnd,
sie wollen furchtlos erscheinen, andere geduckt.

Auch wer zu Gericht sitzt, Angeklagter und Zeugen eilen neben hohen
Fenstern des Treppenhauses dem Hausflur, damit dem Eingang alter
fester Gewölbe entgegen.

Sibylle Müller, der ohnehin aufgepeitschten, versagt der Atem, ver-
sagen die Beine während der Flucht. Sie muß am Pfeiler lehnen,
Gerichtsdiener Tröndle springt ihr hilfsbereit bei.

Ein Fliegergeschoß stürzt, birst unter Phosphorgestank. DaS Gerichts-
gebäude bebt, die Fenster zittern.

Und wieder schießt eine Bombe heulend herab, singt im Sturz höher
und höher, schlägt an das Dach, in den Hof, zerreißt in giftgrünem Dunst.

Geschoß-Splitter treffen die Wände, Fensterscherben klirren und
sprühen in das Gebäude, erreichen wehrloses Leben. Sibylle schreit auf,
Tröndle wankt, zwei Blutende halten sich. Zeugen, vom Schreck sinnlos
hin- und hergetrieben, stoßen auf die Opfer, schleppen sie mit.

Sibylle sinkt wimmernd auf die Kellerstufen, Tröndle beißt die Zabne
zusammen. ^)n die bunt durcheinandergewürfelte erschreckte Menge ist
neues Grauen gefahren.

Das Blut Sibylles strömt unaufhaltsam über Gesicht und Kleidung.
Ihr Leben scheint gefährdet.

Und KriegSnot, kurz hintereinander durch mehrere Flugzeuge heran-
getragen, schwebt weiter über Straßen und Dächern.

„Herr Landgerichtspräsident, ich will am Telefon sofort Arzt oder
Sanitäter rufen!" meldet Gerichtsschreiber Ganter und springt bereits
davon, zur Fernsprechzelle.

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Heinz Landgrebe: Landsknechte
 
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