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vor dem nahen Zwang, ihn zu belasten, blnd er hatte doch Sibylle lieb.

„Angeklagter, Sie müssen reden. Haben Sie überhaupt Ver-
wünschungen ausgestoßen?"

Albütz nickt.

„blnd bekennen sich jetzt auch schuldig zur Tat? WaS hat Sie aus dem
Gleichgewicht geworsen? Sie haben die Sibylle Müller von der Schulzeit
her gekannt —"

„— und gern gehabt!" ringt es sich aus dem Munde des Angeklagten.

„Nun, und weiter?"

„Mehr, als sie selbst weiß, Hab ich die Sibylle gern gehabt. Immer
hat sie mir zu schassen gemacht", gesteht er stockend. „Keinem andern
Hab ich sie gegönnt, keinem.. Der Verstand ist mir durchgegangen."

„Sie wollen behaupten, ohne Überlegung gehandelt zu haben, als
Sie an das Besitztum der Mutter Ihres vermeintlichen Nebenbuhlers
Feuer legten."

Gregor Albützens Züge sind weich geworden. Nun hat er Liebe und
Schuld gestanden. Der Anblick Sibylles-, der zusammengesunkenen,
überwältigt ihn gleich der Gewißheit langer Freiheitsstrafe.

*

Das blrteil ist gesprochen, die Verhandlung geschlossen.

Vor dem Gasthos zum Baren am Marktplatz hat Kunz Albütz sein
Bauernwägelchen halten lassen, bereit, den Bruder Gregor für die
arbeitsreichen Erntewochen heimzunehmen, bevor er hinter Mauern wird
büßen müssen.

Beide sinnen im stillen Gaststübchen den Ausgaben naher Zahre nach,
als, vom Arzthause her, Sibylle über den Markt schreitet. Da klopst
Aülnz, ruft, springt hinaus.

„Sibylle, du denkst doch nicht etwa daran, von der Bahnstation aus
deinen stundenlangen Weg allein abzulausen? Unmöglich für dich in deiner

Verfassung. Steig' mit aus unser Fuhrwerk, wir haben das gleiche Ziel.
Mas das Gericht verfügen mußte, ist gesagt. WaS geschehen wird, wenn
Gregor später, nach seiner Strafzeit, abermals bei uns im Dorfe einkehrt,
wer will das prophezeien! Er hat sich schwer vergangen, hat seine Strafe
weg. Komm mit uns heim!"

Sibylle, bewegt, bleibt stumm.

„Za, was! Trink einen Schluck mit uns, steig nachher mit uns auf."

Sibylle zögert noch.

„Schon deiner Verwundung wegen solltest du ungefährdet heim-
kommen, unfern Beistand in der Nähe behalten. Können wir uns später
im Dorfe dauernd auöweichen? Unmöglich!"

„Der Verurteilte, und die Zeugin daneben!" wendet sie ein.

„Gregor weiß, was EideSpflicht ist", nimmt Kunz einen neuen Anlauf.
„Fahr' mit, Sibylle!"-

Zn der Dämmerung ziehen die Roste den Wagen mit drei Menschen
aus der überfallenen Stadt, durch stille Sommernacht trotten sie. Am
fernen Himmel huscht Lichtschein, schwindet, taucht neu aus in regellosem
Spiel. Vielleicht kühlt sich irgendwo gelassen das Wetter; vielleicht flackt
der Widerschein des Kriegs am gestirnten Zauberreiche.

Durch Farnkraut und Erika mühen sich die Gäule im lauen Dunkel,
durch Tannen und Fichten, vorüber an Wiesengrund, wo Leuchtkäfer
suchen, glühende Männchen über dem Grunde schweben, aus dem
Gespielinnen, ruhend, ihr Lämpchen entzündet haben.

Wieder, wie vor dem Brande, als Sibylle wohltuend neben Fabian
gesessen, weilt heute reiches Gefühl neben Trost verlangendem Blute.
Das frauliche warme, nachsichtige Herz ist verhalten umworben, fühlt
sich aufs neue in dornigein Gestrüpp, ohne noch hellen Ausweg zu
entdecken.

Schwebendes Feuer im Wiesengrunde, wieviel Welten mit Scheiter-
haufen und Balsam liegen zwischen dir und bestürmter Seele!

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Adolf Büger: Aus Mittenwald
 
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