DER STACHEL
Rieben volle Wochen war eö dem alten
Craiks schlecht, ganz erbärmlich schlecht gegan-
gen. Etwas Tee, hie und da ein Stück Biskuit,
das man in Wein oder Milch tauchte, Kompott
und dünngehackter Schinken — das war alles,
was sein elender Magen noch vertrug. Hustend,
röchelnd und spuckend hatte er seine Tage im
Lehnstuhl verbracht oder er war, unheimlich
still, im Bett gelegen und hatte regungslos aus
halb verglasten Augen zur Decke ausgestarrt.
Dann war die Krisis gekommen.
Craikö hatte im Fieber polternde Aus-
einandersetzungen mit den Metteuren und
Setzern. Im Geiste war er durch die Räume
der Druckerei geschritten, die er einmal besessen
und nun schon längst seinem Sohne übergeben
hatte, bind wie vor gut- zwanzig Jahren, so
brachte ihn auch in seinen Fieberphantasien
jetzt jeder falsche Einzug und jeder kleinste Fehler
im Titelsatz zum Toben.
Craiks hatte die Krise überstanden und nun
saß er wieder, noch ein wenig schmal und ein-
gesunken, in seinem breiten, gepolsterten Korb-
sessel, ließ sich die Sonne aus den Rücken
scheinen und sah blinzelnd nach seinem Enkel,
der neben ihm im Grase hockte und auS Wasser,
Lehm und kleinen Steinen allerhand seltsame
Figuren formte.
„Hm — waö soll denn das sein, Jack?"
erkundigte er sich bei dem Knaben und betrach-
tete einen braunen Klumpen, der nur sehr-
annähernd einen Menschen darstellte.
VON OTTO VIOLAN
Jack blickte gekränkt und verwundert auf:
„Aber Dpapa — das bist doch d u!"
Der alte Craiks lächelte. „Du irrst dich,
Jack! So wohlgenährt habe ich früher aus-
gesehen. — Außerdem hast du die Nase zu
schmal gemacht. Du mußt einen größeren
Kiesel nehmen!"
Im Garten wurden Schritte laut. Schon
von weitem hörte man James Potts rasselnden
Atem. Keuchend schob er sich auf dem gekiesten
Weg vorwärts und machte endlich mit einem
Seufzer neben Craiks Stuhl halt. Pott, der
um acht Jahre jünger war, zählte immerhin
einundsiebzig und das Gehen fiel ihm schon
schwer. Er ließ sich nun neben seinem Freund
nieder und sah ihm eine Zeitlang schweigend ins
Gesicht.
„War eine verdammt böse Geschichte — wie,
Bill?" —
Craiks nickte.
„Na, jetzt geht es dir aber Gottseidank wieder
besser?"
„Gottseidank", wiederholte Craiks. Er blin-
zelte Pott an. Sie hetzen mir Pott, diesen
Fuchs, an den Leib, um mich auszuholen, dachte
er. blnd er rüstete sich innerlich zum Widerstand.
James Pott, der Fuchs, räusperte sich.die
Kehle frei. „Jetzt heißt es aber dazusehen, Bill!
Keinen Wisky mit Soda mehr ... und keine
Zigarren!"
„Das will ich mir auch abgewöhnen", ent-
gegnete Craiks. Er begriff die Genugtung, die
James, der Jüngere, darüber empfinden mußte,
daß ihm der Arzt nun diese Dinge verboten
hatte, die sich Pott schon seit vielen Jahren
versagen mußte.
Eine Zeitlang sprachen sie vom Wetter und
von Jack, der neben ihnen weiterspielte, und
dann steuerte Pott, aller weiteren Umschweife
müde, direkt auf sein Ziel los.
„Hör mich an, Bill", begann er. „Du hast
eine ungewöhnlich zähe Natur und bist viel
gesünder als ich. Trotzdem kann es auch dich
einmal treffen .. ."
„Ich bin auf alles gefaßt, James", gab ihm
Craiks zurück und dehnte sich behaglich in der
Sonne.
Die Sache, die Pott übernommen hatte,
schien doch schwerer zu sein, als er anfänglich
dachte. Er kratzte sich wiederholt hinterm Dhr
und schwieg geraume Zeit. Dann nahm er sich
noch einmal einen Anlauf. „Dein Glück, Bill",
sagte er, „kann sich doch nicht daran erschöpfen,
daß du hier in der Sonne sitzt und Jack beim
Spielen zusiehst."
„Doch", hielt ihm Craikö entgegen. „Mehr
als das darf sich ein Mensch, der so alt ist wie
ich, vom Leben nicht erhoffen!"
„Denk an deinen Sohn, Bill!" mahnte Pott.
„John geht es gut. Er hat die Zeitung und
die Druckerei", „wehrte Craikö ab. Er verdient
mehr als er braucht. Er hat eine tüchtige Frau
und gesunde Kinder. Was will er n ^ch?"
„Aber Bill — er möchte doch seinen Betrieb
vergrößern!"
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Rieben volle Wochen war eö dem alten
Craiks schlecht, ganz erbärmlich schlecht gegan-
gen. Etwas Tee, hie und da ein Stück Biskuit,
das man in Wein oder Milch tauchte, Kompott
und dünngehackter Schinken — das war alles,
was sein elender Magen noch vertrug. Hustend,
röchelnd und spuckend hatte er seine Tage im
Lehnstuhl verbracht oder er war, unheimlich
still, im Bett gelegen und hatte regungslos aus
halb verglasten Augen zur Decke ausgestarrt.
Dann war die Krisis gekommen.
Craikö hatte im Fieber polternde Aus-
einandersetzungen mit den Metteuren und
Setzern. Im Geiste war er durch die Räume
der Druckerei geschritten, die er einmal besessen
und nun schon längst seinem Sohne übergeben
hatte, bind wie vor gut- zwanzig Jahren, so
brachte ihn auch in seinen Fieberphantasien
jetzt jeder falsche Einzug und jeder kleinste Fehler
im Titelsatz zum Toben.
Craiks hatte die Krise überstanden und nun
saß er wieder, noch ein wenig schmal und ein-
gesunken, in seinem breiten, gepolsterten Korb-
sessel, ließ sich die Sonne aus den Rücken
scheinen und sah blinzelnd nach seinem Enkel,
der neben ihm im Grase hockte und auS Wasser,
Lehm und kleinen Steinen allerhand seltsame
Figuren formte.
„Hm — waö soll denn das sein, Jack?"
erkundigte er sich bei dem Knaben und betrach-
tete einen braunen Klumpen, der nur sehr-
annähernd einen Menschen darstellte.
VON OTTO VIOLAN
Jack blickte gekränkt und verwundert auf:
„Aber Dpapa — das bist doch d u!"
Der alte Craiks lächelte. „Du irrst dich,
Jack! So wohlgenährt habe ich früher aus-
gesehen. — Außerdem hast du die Nase zu
schmal gemacht. Du mußt einen größeren
Kiesel nehmen!"
Im Garten wurden Schritte laut. Schon
von weitem hörte man James Potts rasselnden
Atem. Keuchend schob er sich auf dem gekiesten
Weg vorwärts und machte endlich mit einem
Seufzer neben Craiks Stuhl halt. Pott, der
um acht Jahre jünger war, zählte immerhin
einundsiebzig und das Gehen fiel ihm schon
schwer. Er ließ sich nun neben seinem Freund
nieder und sah ihm eine Zeitlang schweigend ins
Gesicht.
„War eine verdammt böse Geschichte — wie,
Bill?" —
Craiks nickte.
„Na, jetzt geht es dir aber Gottseidank wieder
besser?"
„Gottseidank", wiederholte Craiks. Er blin-
zelte Pott an. Sie hetzen mir Pott, diesen
Fuchs, an den Leib, um mich auszuholen, dachte
er. blnd er rüstete sich innerlich zum Widerstand.
James Pott, der Fuchs, räusperte sich.die
Kehle frei. „Jetzt heißt es aber dazusehen, Bill!
Keinen Wisky mit Soda mehr ... und keine
Zigarren!"
„Das will ich mir auch abgewöhnen", ent-
gegnete Craiks. Er begriff die Genugtung, die
James, der Jüngere, darüber empfinden mußte,
daß ihm der Arzt nun diese Dinge verboten
hatte, die sich Pott schon seit vielen Jahren
versagen mußte.
Eine Zeitlang sprachen sie vom Wetter und
von Jack, der neben ihnen weiterspielte, und
dann steuerte Pott, aller weiteren Umschweife
müde, direkt auf sein Ziel los.
„Hör mich an, Bill", begann er. „Du hast
eine ungewöhnlich zähe Natur und bist viel
gesünder als ich. Trotzdem kann es auch dich
einmal treffen .. ."
„Ich bin auf alles gefaßt, James", gab ihm
Craiks zurück und dehnte sich behaglich in der
Sonne.
Die Sache, die Pott übernommen hatte,
schien doch schwerer zu sein, als er anfänglich
dachte. Er kratzte sich wiederholt hinterm Dhr
und schwieg geraume Zeit. Dann nahm er sich
noch einmal einen Anlauf. „Dein Glück, Bill",
sagte er, „kann sich doch nicht daran erschöpfen,
daß du hier in der Sonne sitzt und Jack beim
Spielen zusiehst."
„Doch", hielt ihm Craikö entgegen. „Mehr
als das darf sich ein Mensch, der so alt ist wie
ich, vom Leben nicht erhoffen!"
„Denk an deinen Sohn, Bill!" mahnte Pott.
„John geht es gut. Er hat die Zeitung und
die Druckerei", „wehrte Craikö ab. Er verdient
mehr als er braucht. Er hat eine tüchtige Frau
und gesunde Kinder. Was will er n ^ch?"
„Aber Bill — er möchte doch seinen Betrieb
vergrößern!"
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