Ich heiße William Shakespeare
Von William
Mein ganzes Leben lang war ich die Ziel-
scheibe van Verspottungen. Weil mein Name
zufällig William Shakespeare ist, fühlt sich
jeder, den ich kennen lerne, berufen, eine Bemer-
kung zu machen, die entweder witzig oder
zurechtweisend sein soll. Ehrlich gesagt, die Ziel-
scheibe von Witzen zu sein, stört mich lange
nicht sv sehr, wie der jämmerliche Mangel an
neuen Einfällen bei den Witzbolden, In den
letzten zwanzig Jahren ist nicht eine einzige
Glosse zu meinem Namen von den abge-
droschenen Redensarten abgewichen.
Ich muß bekennen, daß mir auch die Leute
leid tun, die ich kennen lerne. Stellen Sie sich
nur vor, jemand würde mich bei Ihnen ein-
sühren: „Darf ich meinen Freund William
Shakespeare vorstellen?" Sie müssen ein-
fach irgend etwas sagen!
Meine Belästigungen fingen an, als ich fd
weit war, eine Frage zu verstehen. Mein
Fragesteller beugte sich gönnerhaft zu mir her-
unter und sagte: „Nun, kleiner Mann, du hast
ja einen berühmten Namen. Bist du verwandt
mit dem großen William Shakespeare?"
Später, in der Schule, ließen mich weder meine
Mitschüler noch meine Lehrer jemals meinen
Namen einen Augenblick lang vergessen. War
ich ein wenig in einem Fach zurückgeblieben,
bekam ich nicht die freundliche Aufmunterung,
die den anderen Schülern zuteil ward. Gar
keine Rede davon! Zu mir wurde immer gesagt:
5 ha kespeare
„Wer einen solchen Namen trägt, sollte sich
schämen, eine solche Arbeit äbzuliefern."
Nach erlangter Volljährigkeit aber begannen
erst meine wirklichen Schwierigkeiten; denn
unter dem täglichen Bombardement mit Banali-
täten, das zu meinem Los gehört, haben mir
viele Vorkommnisse größte Verlegenheit bereitet
und manche haben sogar eine entscheidende Rolle
dabei gespielt, nach welcher Richtung hin sich
mein Lebensschicksal entwickelt hat.
Das erste Verhängnis trug sich zu, als ich
als Bahnhofs-Telegraphist arbeitete. An einem
Sonntag nachmittag, während ich im Dienst-
raum -saß, erfolgte plötzlich ein heftiges Klopfen
am Schalterfenster. Ich machte eS auf und
sah draußen eine Schullehrerin des Ortes
stehen, die auf der Stelle eine Fahrkarte nach
New Pork verlangte. Ich erklärte ihr, daß ich
ihr keine Fahrkarte verkaufen könne, der zu-
ständige Beamte komme jedoch gegen fünf Uhr
vor Abgang des nächsten Zuges zurück und
dann könne sie eine bekommen. Sie bekam
einen Wutanfall und sagte mir, daß ihr noch
nie im Leben eine solche Unhöflichkeit begegnet
sei, und der Bahnvorstand würde schon das
Nötige erfahren. Dann sagte sie: „Wie heißen
Sie, junger Mann?" Ich fühlte die Sintflut
hereinbrechen, antwortete aber trotzdem: „Ich
heiße William Shakespeare."
Wie ein Höllenspuk war das, was nun
folgte: Wollte ich sie zum Narren halten?.
Glaubte ich, ich sei witzig? Wußte die Eisen-
bahngesellschaft, daß sie einen Kerl angestellt
hatte, der sich über die Fahrgäste lustig machte?
Sie würde schon die nötigen Schritte unter-
nehmen. Und sie tat eS. Ich wurde nach zwei
Wochen meines Amtes enthoben und vor ein
Disziplinargericht gestellt, um den Vorfall zu
erklären, was- ich zur Zufriedenheit tat. Aber
da die Beschwerde aus dem Vorstandsbüro
gekommen war, wurde ich einer anderen Strecke
zugeteilt. Jetzt konnte ich leicht lachen!
Einmal, glaube ich, wäre ich gerechtfertigt
gewesen, wenn ich einen Mord begangen hätte.
Meine Frau und ich waren spät abends in
Buffalo angekommen und in einem der führen-
den Hotels" abgestiegen. Da wir überstürzt
abgereist waren, hatten wir kein Gepäck mit
uns außer der kleinen Handtasche meiner Frau
für daS Nachtzeug. Ich sagte dem Empfangs-
chef, ich wolle ein Doppelzimmer. Er gab mir
das Fremdenbuch und — Gott vergib mir! —
ich trug unsere richtigen Namen ein: Herr und
Frau William Shakespeare. Der Empfangschef
drehte das Buch um, sah es an, sah mich und
dann meine Frau an. Dann übergab er mit
einem geschmeidigen, süßlichen Schmunzeln dem
Hausdiener den Schlüssel. Ich ging zum
Zigarrenstand, und wie ich wieder am
Empfangsschalter vorüberkam, hörte ich den
Empfangschef zu dem Telefonangestellten
sagen: „Junge, Junge, ich habe manchen
Schwerenöter gesehen, aber der da schießt doch
den Vogel ab. ,Herr und Frau Shakespeare'!
Ich möchte wissen, ob er wirklich glaubt, daß
er uns dumm machen kann?"
1931, als ich krank in einem Militärhofpital
war, trugen sich zwei Vorfälle zu, deren einen
ich wohl nie werde überwinden können. Ich
war unter den Patienten, die zu dem alljährlich
im Weißen Haus stattfindenden Gartenfest des
Präsidenten eingeladen waren. Die Veranstal-
tung war feierlich, die Marinekapelle und eine
Reihe von Würdenträgern waren da. Ich
unterhielt mich glänzend bis zu dem Augenblick,
als der Präsident ankam. Wir stellten uns auf,
und endlich war auch ich an der Reihe. Jeder
nannte einem Major, der neben dem Präsi-
denten stand, seinen Namen, der seinerseits den
Betreffenden Mr. Hoover vorstellte. Ich
nannte dem Offizier ganz unbefangen meinen
Namen und bemerkte, daß sich sein Lächeln,
das bis dahin aufmunternd gewesen war, in
mitleidige Bestürzung verwandelte. Er zwin-
kerte einem Geheimpolizisten in Zivil zu und der
Mann trat näher heran. Ich wurde dem
Präsidenten ordnungsgemäß vorgestellt, und
dann verwandelte sich auch Mr. HooverS
Lächeln von einem der Begrüßung in eines des
Mitleids. Wie ich wegtrat, hörte ich ihn zu
seinem Marineattache sagen: „Einige von diesen
Fällen sind wirklich sehr traurig."
Der andere Vorfall trug sich zu, als General
HineS das Krankenhaus besichtigte. Ich
besuchte gerade einen Freund in der Abteilung
für Nervenkranke, als der General hereinkam.
In dem Augenblick legte ihm ein grobschlächtiger
Mann, mit einem flackernden Blick in den
Augen, die Hand auf die Schulter und fragte:
„Wer sind Sie?" Der General antwortete:
„Warum? Ich bin General Hines." Worauf-
746
Von William
Mein ganzes Leben lang war ich die Ziel-
scheibe van Verspottungen. Weil mein Name
zufällig William Shakespeare ist, fühlt sich
jeder, den ich kennen lerne, berufen, eine Bemer-
kung zu machen, die entweder witzig oder
zurechtweisend sein soll. Ehrlich gesagt, die Ziel-
scheibe von Witzen zu sein, stört mich lange
nicht sv sehr, wie der jämmerliche Mangel an
neuen Einfällen bei den Witzbolden, In den
letzten zwanzig Jahren ist nicht eine einzige
Glosse zu meinem Namen von den abge-
droschenen Redensarten abgewichen.
Ich muß bekennen, daß mir auch die Leute
leid tun, die ich kennen lerne. Stellen Sie sich
nur vor, jemand würde mich bei Ihnen ein-
sühren: „Darf ich meinen Freund William
Shakespeare vorstellen?" Sie müssen ein-
fach irgend etwas sagen!
Meine Belästigungen fingen an, als ich fd
weit war, eine Frage zu verstehen. Mein
Fragesteller beugte sich gönnerhaft zu mir her-
unter und sagte: „Nun, kleiner Mann, du hast
ja einen berühmten Namen. Bist du verwandt
mit dem großen William Shakespeare?"
Später, in der Schule, ließen mich weder meine
Mitschüler noch meine Lehrer jemals meinen
Namen einen Augenblick lang vergessen. War
ich ein wenig in einem Fach zurückgeblieben,
bekam ich nicht die freundliche Aufmunterung,
die den anderen Schülern zuteil ward. Gar
keine Rede davon! Zu mir wurde immer gesagt:
5 ha kespeare
„Wer einen solchen Namen trägt, sollte sich
schämen, eine solche Arbeit äbzuliefern."
Nach erlangter Volljährigkeit aber begannen
erst meine wirklichen Schwierigkeiten; denn
unter dem täglichen Bombardement mit Banali-
täten, das zu meinem Los gehört, haben mir
viele Vorkommnisse größte Verlegenheit bereitet
und manche haben sogar eine entscheidende Rolle
dabei gespielt, nach welcher Richtung hin sich
mein Lebensschicksal entwickelt hat.
Das erste Verhängnis trug sich zu, als ich
als Bahnhofs-Telegraphist arbeitete. An einem
Sonntag nachmittag, während ich im Dienst-
raum -saß, erfolgte plötzlich ein heftiges Klopfen
am Schalterfenster. Ich machte eS auf und
sah draußen eine Schullehrerin des Ortes
stehen, die auf der Stelle eine Fahrkarte nach
New Pork verlangte. Ich erklärte ihr, daß ich
ihr keine Fahrkarte verkaufen könne, der zu-
ständige Beamte komme jedoch gegen fünf Uhr
vor Abgang des nächsten Zuges zurück und
dann könne sie eine bekommen. Sie bekam
einen Wutanfall und sagte mir, daß ihr noch
nie im Leben eine solche Unhöflichkeit begegnet
sei, und der Bahnvorstand würde schon das
Nötige erfahren. Dann sagte sie: „Wie heißen
Sie, junger Mann?" Ich fühlte die Sintflut
hereinbrechen, antwortete aber trotzdem: „Ich
heiße William Shakespeare."
Wie ein Höllenspuk war das, was nun
folgte: Wollte ich sie zum Narren halten?.
Glaubte ich, ich sei witzig? Wußte die Eisen-
bahngesellschaft, daß sie einen Kerl angestellt
hatte, der sich über die Fahrgäste lustig machte?
Sie würde schon die nötigen Schritte unter-
nehmen. Und sie tat eS. Ich wurde nach zwei
Wochen meines Amtes enthoben und vor ein
Disziplinargericht gestellt, um den Vorfall zu
erklären, was- ich zur Zufriedenheit tat. Aber
da die Beschwerde aus dem Vorstandsbüro
gekommen war, wurde ich einer anderen Strecke
zugeteilt. Jetzt konnte ich leicht lachen!
Einmal, glaube ich, wäre ich gerechtfertigt
gewesen, wenn ich einen Mord begangen hätte.
Meine Frau und ich waren spät abends in
Buffalo angekommen und in einem der führen-
den Hotels" abgestiegen. Da wir überstürzt
abgereist waren, hatten wir kein Gepäck mit
uns außer der kleinen Handtasche meiner Frau
für daS Nachtzeug. Ich sagte dem Empfangs-
chef, ich wolle ein Doppelzimmer. Er gab mir
das Fremdenbuch und — Gott vergib mir! —
ich trug unsere richtigen Namen ein: Herr und
Frau William Shakespeare. Der Empfangschef
drehte das Buch um, sah es an, sah mich und
dann meine Frau an. Dann übergab er mit
einem geschmeidigen, süßlichen Schmunzeln dem
Hausdiener den Schlüssel. Ich ging zum
Zigarrenstand, und wie ich wieder am
Empfangsschalter vorüberkam, hörte ich den
Empfangschef zu dem Telefonangestellten
sagen: „Junge, Junge, ich habe manchen
Schwerenöter gesehen, aber der da schießt doch
den Vogel ab. ,Herr und Frau Shakespeare'!
Ich möchte wissen, ob er wirklich glaubt, daß
er uns dumm machen kann?"
1931, als ich krank in einem Militärhofpital
war, trugen sich zwei Vorfälle zu, deren einen
ich wohl nie werde überwinden können. Ich
war unter den Patienten, die zu dem alljährlich
im Weißen Haus stattfindenden Gartenfest des
Präsidenten eingeladen waren. Die Veranstal-
tung war feierlich, die Marinekapelle und eine
Reihe von Würdenträgern waren da. Ich
unterhielt mich glänzend bis zu dem Augenblick,
als der Präsident ankam. Wir stellten uns auf,
und endlich war auch ich an der Reihe. Jeder
nannte einem Major, der neben dem Präsi-
denten stand, seinen Namen, der seinerseits den
Betreffenden Mr. Hoover vorstellte. Ich
nannte dem Offizier ganz unbefangen meinen
Namen und bemerkte, daß sich sein Lächeln,
das bis dahin aufmunternd gewesen war, in
mitleidige Bestürzung verwandelte. Er zwin-
kerte einem Geheimpolizisten in Zivil zu und der
Mann trat näher heran. Ich wurde dem
Präsidenten ordnungsgemäß vorgestellt, und
dann verwandelte sich auch Mr. HooverS
Lächeln von einem der Begrüßung in eines des
Mitleids. Wie ich wegtrat, hörte ich ihn zu
seinem Marineattache sagen: „Einige von diesen
Fällen sind wirklich sehr traurig."
Der andere Vorfall trug sich zu, als General
HineS das Krankenhaus besichtigte. Ich
besuchte gerade einen Freund in der Abteilung
für Nervenkranke, als der General hereinkam.
In dem Augenblick legte ihm ein grobschlächtiger
Mann, mit einem flackernden Blick in den
Augen, die Hand auf die Schulter und fragte:
„Wer sind Sie?" Der General antwortete:
„Warum? Ich bin General Hines." Worauf-
746