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Bahnstrecke bei Edling

Wolf Panizza

Roman einer Tasse Kaffee

In her Unteren @af rifleigaffe einer süd-
deutschen Kleinstadt steigt auö dem Kellergitter
des Kolonialwarengeschäftes Alois Borngräber
sel. Erben jeden Freitag nachmittag zwischen
vier und sechs Uhr ein kleiner und kostenloser
Genuß.

Hausfrauen schlendern auf Riechweite die
Länge des Ladens ab und spreizen die Nasen-
flügel. Unten wird ein Sack Kaffee „Echt
Santos" frisch geröstet. .. Und wenn er oben
viertelpfundweise verkauft wird, dringt Wärme
und Duft noch durch die Düte und teilt sich in
den Markttaschen auch dem Büschel Suppen-
grün, der Erbswurst und dem Hafenragout
mit. ..

. ist wieder um zehn Pfennig teuerer
geworden..."

„. .. aber wenn man die Hälfte Malz
nimmt, dann wird die Tasse billiger. . ."

„. .. und wir trinken nur Sonntags Bohnen-
kaffee .. ."

Eine Tüte ist gerissen, einige Bohnen fallen

(Drusi ^fojerteilter

aufs nasse Pflaster Und die Frau, die nur
Sonntags Kaffee kochen kann, geht der lädierten
Tüte wie im Märchen nach — und kann jetzt
auch noch am Montag eine Taffe „Echt
Santos" trinken-

Bom Kellergitter Alois Borngräber fel.
Erben aus haben die Kaffeebohnen auf ihrer
.Keife imaginäre Linien und Bogen über den
Globus gezogen, die rückwärtslaufend nach
sechstausend Seemeilen in die Hafeneinfahrt von
Santos abbiegen.

Inmitten der Fahrrinne liegt das Wrack
eines Frachtdampfers. „Bon Reise zu Reise
sackt er tiefer ab", stellt der Kapitän einer
La Plata-Linie fest, der alle acht Wochen an
dieser Leiche vorbeisteuert. Im Bauch des
Schiffes waren viele tausend Zentner Kaffee
geladen, hunderttausend Sträucher sonnten sich
umsonst auf den Plantagen im Innern Bra-
siliens — Millionen Taffen können nicht gefüllt
werden. . .

„. ° . und vielleicht deshalb ist der Kaffee

teuerer geworden", würde in falscher Richtung
die Frau denken, die vom nassen Pflaster die
Bohnen einsammelt. Schwarzgrün treten auf
der Steuerbordseite die Hügel vor. An einer
vorteilhaften Stelle ist der Urwald ausrasiert.
Und grotesk und überlebensgroß schauen die
Buchstaben einer Zigarettenreklame, von Wild-
nis umrahmt, auf das Promenadedeck unseres
Schiffes herab.

Aus dem Dampf des Morgens heben Fracht-
dampfer aus fünf Erdteilen ihre Masten und
Schlote. Endlos wie Alleen strecken sich die
Lagerschuppen. Unter den Dächern ziehen sich
die Eisengerüste des Laufenden Bandes hin, auf
dem Sack um Sack, wie eine Perlenkette ohne
Ende, auf die Schiffe rollt und den Kaffee-
trägern das tägliche Brot — Brocken um
Brocken — wegnimmt.

Ich versuche zu errechnen, wieviel pro
Stunde, Tag und Zahr — — — aber wenn
am Duai von Santos der beste Freund wartet,
tritt aller Kaffee zurück, die Säcke rollen in die

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Ernst Hoferichter: Roman einer Tasse Kaffee
Wolf Panizza: Bahnstrecke bei Edling
 
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