hinauf auf fünfzig Gulden und war sonst in
allen Dingen einverstanden. Der Bauer zählte
seufzend das Geld auf den Tisch und der Fremd-
ling strich eS ebenfalls seufzend ein. Dann über-
reichte er Andreas Held die Wunderflasche. Als
der Käufer gleich darauf die Flasche zum
Fenster hinausgeben wollte, wehrte der Ver-
käufer voll Entsetzen ab und äußerte:
„Mein lieber Freund, das dürft Ihr nicht
machen. Niemals sollen zwei Personen am
gleichen Abend die Flasche zum Fenster hinaus-
heben, sonst muß die geheimnisvolle Kraft ver-
siegen, die ich in die Flasche gebannt habe.
Morgen ist auch noch ein Tag!"
Wohl oder übel -mußte sich der Bauer fügen,
blnd weil es inzwischen spät geworden war,
wieS er dein Fremdling das Nachtlager an. Er
hatte die Bäuerin veranlaßt, im oberen Stock
des Hauses eine Kammer herzurichten und das
Bett frisch zu beziehen. Der fahrende Scholare
aber lehnte diese Schlafgelegenheit zwar be-
scheiden, aber entschieden ab. Er habe im Lause
der Jahre verlernt, im Bett zu schlafen. Wenn
er ihm aber die Nachtruhe gönne, dann ließe
er ihn ins Heu. So geschah es dann auch.
Bald lag auch der Bauer im Bett. Die
letzten Worte, die er sprach, ehe er einschlief,
waren:
„Alte, ich glaub, von morge ab send mr jeden
Dbed bsosfe!"
Diesem frommen Wunsch konnte aber der
Himmel, der über Justingen ganz besonders
gerecht waltete, nicht willfahren. Er veranlaßte
den fahrenden Scholaren, um Mitternacht von
seinem Lager im Heustock aufzustehen und sich
nach dem nahen Wald zu schleichen. Dort traf
er sich mit seinem Spießgesellen, und zwar mit
eben jener geheimnisvollen Kraft, die die jeweils
zum Fenster hinauSgereichten leeren Flaschen
gegen gleichaussehende volle umgetauscht hatte.
Der eine fahrende Scholare log dem andern vor,
daß er nicht fünfzig, sondern nur dreißig Gulden
bekommen habe, teilte sie redlich mit ihm und
fühlte sein Herz höher schlagen im Gedanken
an die zwanzig Gulden, die er SchmuS gemacht
hatte. Dann trotteten sie selbander die ganze
Nacht über weiter, um möglichst weit wegzu-
konunen von Justingen, der Stätte der Gerech-
tigkeit.
Der Bauer hielt am andern Abend seine
Wunderslasche zum Fenster hinaus. Nach einer
Minute war die Flasche so leer wie vorher und
nach einer Stunde war sie noch immer nicht
voll. Am Ende tat Andreas Held der Arm so
weh, daß er ihn nicht mehr bewegen konnte.
Da mußte er einsehen, daß er gefoppt worden
war.
Der arme Kerl hatte nicht nur den Schaden,
er brauchte auch für den Spott nicht zu sorgen.
Des Bauern Gesinde hatte mit denn Mundwerk
nicht dicht gehalten und bald erhob sich die
ganze schwäbische Alb entlang ein großes Ge-
lächter, wenn aus Andreas Held die Rede kam.
Sogar in die Geschichte ging unser Justinger
Held ein. Denn noch heute sagt man in
gewissen Gegenden Württembergs ein Sprich-
wort, wenn ein Faß im Keller länger Wein
gibt, als man angenommen hatte, blnd dieses
Sprichwort lautet:
Das Faß gibt Wein wie Andreas Helds
Wunderflasche!
Adolf B ü g e r
wissen konntet, waS für ein gelehrter Mann
ich bin, will ich meinem Herzen einen Stoß
geben. Für hundert Gulden sollt Ihr meine
Wunderflasche haben."
Als Andreas Held diese Riesensumme nennen
hörte, wurde ihm etwas schwummerig. Er
besaß zwar genug Geld, denn er war ein
fleißiger, strebiger und sparsamer Bauer, und
die Ernten seiner Felder waren seit Jahren
gesegnet. Aber von hundert Gulden sich trennen,
das kam ihn doch etwas hart an. Doch dann
berechnete er, wieviel Kreuzer er täglich ein-
nehmen könnte, wenn er die Wunderflasche auch
nur zehnmal deS Abends zum Fenster hinaus-
hielte. Ganz Justingen würde in Zukunft den
Wein von ihm beziehen. Er erklärte sich also
mit der Summe von hundert Gulden einver-
standen. Als pfiffiger Bauer aber wollte er
nur fünfundzwanzig Gulden anzahlen, weil er
nicht mehr im Haufe habe. Den Rest würde
er in ein paar Tagen geben, wenn er den Zins
von seinem ausgeliehenen Geld hereinbekäme.
Der gelehrte Herr könne ja so lange noch im
Hause bleiben und mitessen.
Der fahrende Scholare drückte die Anzahlung
einer Weile setzte er sich wieder an den Tisch.
Nur hatte er diesmal keine leere, sondern eine
volle Flasche in der Hand. Er reichte sie den
Anwesenden herum zur Kostprobe, bind siehe
da: sie enthielt Rotwein von einem wunderbar-
milden und doch würzigen Geschmack. Als
'Andreas Held an der Flasche genippt hatte,
schlug er sich voll Erstaunen mit den Händen
auf die Schenkel und brach in den Ruf auS:
„Arm und Zwirn, schmeckt des guet! Koi
Wonder, daß dem mei Moscht nemme paßt!"
Dann trank er die Flasche in einem Zuge leer.
Der fahrende Scholare hielt zum zweiten-
und zum drittenmal die leere Flasche zum
Fenster hinaus. Immer wieder brachte er sie
gefüllt auf den Tisch. Nach der vierten Flasche
nahm Andreas Held den „Konstruktor" der
Wunderflasche beiseite und fragte ihn, für wie-
viel ihm die Flasche feil sei. Dieser wiegte lange
den Kopf hin und her, machte ein Gesicht, das
von einein gewaltigen inneren Kampfe zeugte,
dann sagte er:
„Andreas Held, die Wunderflasche ist mir
eigentlich nicht feil. Weil Ihr mich aber so
gut ausgenommen habt, obwohl Ihr nicht
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allen Dingen einverstanden. Der Bauer zählte
seufzend das Geld auf den Tisch und der Fremd-
ling strich eS ebenfalls seufzend ein. Dann über-
reichte er Andreas Held die Wunderflasche. Als
der Käufer gleich darauf die Flasche zum
Fenster hinausgeben wollte, wehrte der Ver-
käufer voll Entsetzen ab und äußerte:
„Mein lieber Freund, das dürft Ihr nicht
machen. Niemals sollen zwei Personen am
gleichen Abend die Flasche zum Fenster hinaus-
heben, sonst muß die geheimnisvolle Kraft ver-
siegen, die ich in die Flasche gebannt habe.
Morgen ist auch noch ein Tag!"
Wohl oder übel -mußte sich der Bauer fügen,
blnd weil es inzwischen spät geworden war,
wieS er dein Fremdling das Nachtlager an. Er
hatte die Bäuerin veranlaßt, im oberen Stock
des Hauses eine Kammer herzurichten und das
Bett frisch zu beziehen. Der fahrende Scholare
aber lehnte diese Schlafgelegenheit zwar be-
scheiden, aber entschieden ab. Er habe im Lause
der Jahre verlernt, im Bett zu schlafen. Wenn
er ihm aber die Nachtruhe gönne, dann ließe
er ihn ins Heu. So geschah es dann auch.
Bald lag auch der Bauer im Bett. Die
letzten Worte, die er sprach, ehe er einschlief,
waren:
„Alte, ich glaub, von morge ab send mr jeden
Dbed bsosfe!"
Diesem frommen Wunsch konnte aber der
Himmel, der über Justingen ganz besonders
gerecht waltete, nicht willfahren. Er veranlaßte
den fahrenden Scholaren, um Mitternacht von
seinem Lager im Heustock aufzustehen und sich
nach dem nahen Wald zu schleichen. Dort traf
er sich mit seinem Spießgesellen, und zwar mit
eben jener geheimnisvollen Kraft, die die jeweils
zum Fenster hinauSgereichten leeren Flaschen
gegen gleichaussehende volle umgetauscht hatte.
Der eine fahrende Scholare log dem andern vor,
daß er nicht fünfzig, sondern nur dreißig Gulden
bekommen habe, teilte sie redlich mit ihm und
fühlte sein Herz höher schlagen im Gedanken
an die zwanzig Gulden, die er SchmuS gemacht
hatte. Dann trotteten sie selbander die ganze
Nacht über weiter, um möglichst weit wegzu-
konunen von Justingen, der Stätte der Gerech-
tigkeit.
Der Bauer hielt am andern Abend seine
Wunderslasche zum Fenster hinaus. Nach einer
Minute war die Flasche so leer wie vorher und
nach einer Stunde war sie noch immer nicht
voll. Am Ende tat Andreas Held der Arm so
weh, daß er ihn nicht mehr bewegen konnte.
Da mußte er einsehen, daß er gefoppt worden
war.
Der arme Kerl hatte nicht nur den Schaden,
er brauchte auch für den Spott nicht zu sorgen.
Des Bauern Gesinde hatte mit denn Mundwerk
nicht dicht gehalten und bald erhob sich die
ganze schwäbische Alb entlang ein großes Ge-
lächter, wenn aus Andreas Held die Rede kam.
Sogar in die Geschichte ging unser Justinger
Held ein. Denn noch heute sagt man in
gewissen Gegenden Württembergs ein Sprich-
wort, wenn ein Faß im Keller länger Wein
gibt, als man angenommen hatte, blnd dieses
Sprichwort lautet:
Das Faß gibt Wein wie Andreas Helds
Wunderflasche!
Adolf B ü g e r
wissen konntet, waS für ein gelehrter Mann
ich bin, will ich meinem Herzen einen Stoß
geben. Für hundert Gulden sollt Ihr meine
Wunderflasche haben."
Als Andreas Held diese Riesensumme nennen
hörte, wurde ihm etwas schwummerig. Er
besaß zwar genug Geld, denn er war ein
fleißiger, strebiger und sparsamer Bauer, und
die Ernten seiner Felder waren seit Jahren
gesegnet. Aber von hundert Gulden sich trennen,
das kam ihn doch etwas hart an. Doch dann
berechnete er, wieviel Kreuzer er täglich ein-
nehmen könnte, wenn er die Wunderflasche auch
nur zehnmal deS Abends zum Fenster hinaus-
hielte. Ganz Justingen würde in Zukunft den
Wein von ihm beziehen. Er erklärte sich also
mit der Summe von hundert Gulden einver-
standen. Als pfiffiger Bauer aber wollte er
nur fünfundzwanzig Gulden anzahlen, weil er
nicht mehr im Haufe habe. Den Rest würde
er in ein paar Tagen geben, wenn er den Zins
von seinem ausgeliehenen Geld hereinbekäme.
Der gelehrte Herr könne ja so lange noch im
Hause bleiben und mitessen.
Der fahrende Scholare drückte die Anzahlung
einer Weile setzte er sich wieder an den Tisch.
Nur hatte er diesmal keine leere, sondern eine
volle Flasche in der Hand. Er reichte sie den
Anwesenden herum zur Kostprobe, bind siehe
da: sie enthielt Rotwein von einem wunderbar-
milden und doch würzigen Geschmack. Als
'Andreas Held an der Flasche genippt hatte,
schlug er sich voll Erstaunen mit den Händen
auf die Schenkel und brach in den Ruf auS:
„Arm und Zwirn, schmeckt des guet! Koi
Wonder, daß dem mei Moscht nemme paßt!"
Dann trank er die Flasche in einem Zuge leer.
Der fahrende Scholare hielt zum zweiten-
und zum drittenmal die leere Flasche zum
Fenster hinaus. Immer wieder brachte er sie
gefüllt auf den Tisch. Nach der vierten Flasche
nahm Andreas Held den „Konstruktor" der
Wunderflasche beiseite und fragte ihn, für wie-
viel ihm die Flasche feil sei. Dieser wiegte lange
den Kopf hin und her, machte ein Gesicht, das
von einein gewaltigen inneren Kampfe zeugte,
dann sagte er:
„Andreas Held, die Wunderflasche ist mir
eigentlich nicht feil. Weil Ihr mich aber so
gut ausgenommen habt, obwohl Ihr nicht
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