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A m m e r s e e

Der alte Roder laö den Brief bedächtig und
brauchte lang, bis er fertig war. Den Hunderter
sah er kaum an. Er gab den Brief und Schein
zurück und zuckte die Achseln. „DaS mußt
selbst am besten wissen, Hans", sagte er, „wie
du dich da verhältst. Ich will dir nicht zu- und
nicht abreden. War eine saubere Person damals,
d.'e Nannie. So eine Gelegenheit, in ein großes
Geschäft einzuheiraten, wird nicht jedem
geboten. Überleg' dir die Sache reiflich!"

Er haute sich eine Prise auf den Hand-
rücken, sog sie ins Nasenloch und ging wieder
zum Schuppen.

„Hast recht, Vater", rief Hanö hinterher,
„das werd' ich mir sehr überlegen!"

*

An diesem Tage hatte die Roderin so viel
zu besorgen, wie schon lange nicht mehr. Sie
mußte zur Kramerin und zur Störnäherin.
Sie lieh sich von der Frau des Gemeindedieners
den Roman, den diese aus der Zeitung
geschnitten hatte. Sie brachte Stiefel zum
Schuster, blnd die Roderin, die aus ihren
Hans nicht wenig stolz war, machte ganz im
Vertrauen so viele Andeutungen, daß bis zum
Abend das gesamte Dorf über den Brief von
der Nannie Bescheid wußte.

Als der Hans nach dem AngeluS-Läuten
zum Bader kam, um sich das Haar schneiden
zu lassen, erfuhr er zu seinem Derduß, daß
die Mutter geratscht hatte.

„Du bist ja nun ein gemachter Mann,
Hans", sagte der Bader, „ich gratuliere! blnd
öa es sicher daS letzte Mal ist, daß du zu mir


A r t h u r Huber

zum Haarschneiden kommst, kostet es heute
nichts. Ich bin dein Freund —"

„Nichts da", unterbrach der Hans, „du
nimmst dein Geld, wie sonst auch, und eS ist
noch lange nicht sicher, ob dieser Haarschnitt
bei dir der letzte ist."

„Um Gottes Willen", tat der Bader-
erschrocken, „du wirst doch das Glück nicht mit
Füßen treten? So viel Geld, wie die Nannie
hat, kannst du als Bergführer niemals ver-
dienen. Sei kein Narr, Hans, und greif' zu!"

„Jetzt sei stad", sagte HanS, „red' von was
anderem, und schau zu, daß du fertig wirst.
Hinten kurz schneiden, vorn halblang, wie
immer."

Später ging Hans ins Wirtshaus. Die
Kegelbrüder begrüßten ihn mit Gesang: „Hoch
soll er leben, hoch soll er leben, drei Mal hoch!"

„Heut' mußt eine Runde ausgeben, Hans",
sagte der Holzer-Sepp, „da hilft alles nichts."

„Hast du ein Massel", sagte der Steinbauer
HiaS, „da können wir allesamt nicht mehr mit!"

„Da ist er ja, unser HanS im Glück", sagte
der Wirt, der mit vollen Bierkrügen in die
Kegelbahn trat. „Wann geht'ö denn dahin?"

„Wieso?", fragte HanS.

„Stell' dich nicht so", entgegnete der Wirt
und zog ihn beiseite. „Ich an deiner Stelle",
sagte er leise, „ich wüßt', was ich tät! Zwölf-
tausend in bar, fünfundzwanzig stecken im
Lager, und an die fünfzig im Haus. Macht
nach Adam Riese siebenundachtzig!"

„Als ob es bloß daraus ankäme!", sagte

HanS, ließ den Wirt stehen und wählte sich
eine Kugel, bind daS Kegeln begann.

*

Am anderen Tage hatte HanS beim Seiler
im Nachbardorfe zu tun. Er machte sich früh-
zeitig auf die Beine, bim die Berge qualmten
noch dicke Nebel. Grüne Tannenzapfen, an denen
die Eichhörnchen geknuspert hatten, lagen aus
dem Wege, und die Büsche und Gräser waren
tropsnaß vom Tau. Im Osterholz lärmte der
Häher, und eS roch anheimelnd nach dom
Rauch des Holzfeuers, daS im nahen Förster-
haus brannte.

Hans kam heran und konnte durch daS
offene Fenster ins Zimmer blicken. Die
Försterin hatte den Säugling im Arm und gab
ihm die Brust.

Hans machte große Schritte, daß er vorbei-
kam, und in diesem Augenblick siel die Ent-
scheidung. Er konnte Nannies Vorschlag nicht
annchmen!

Mittags, als Hans nach Hause kam, setzte
er sich gleich hin und schrieb an die Nannie.
Er habe sich überlegt, schrieb er, aber er könne
nicht kommen, beim besten Willen nicht. Er
bedanke sich für die Ehr und schicke hiermit daö
Geld zurück.

blnd aus alle Fragen und Vorhaltungen
antwortete er nur das eine: „Ich mag nicht,
weil ich nicht mag!"

Hans ahnte nicht, daß er durch seinen Ver-
zicht noch ein wirklicher Glückspilz werden
sollte: Einige Monate später freite er ein
junges Mädchen, das zu ihm paßte.

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Arthur Huber: Ammersee
 
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