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J u

4 1. JAHRGANG

DER

Der alte Herr van Ommeren warf sein
Kartenblatt aus den Tisch und betrachtete nach-
denklich einen Chip auS rotgefärbtem Elfenbein.
„Ja, da spielt ihr nun damit!" sagte er kopf-
schüttelnd, „und laßtS durch eure Finger gleiten
als wäre eS ein Nichts. Ich bin ein alter
Afrikaner, einer van der Garde, und sage euch:
Hängt manchmal viel Schweiß daran und Blut,
und würdet's mit euren wahlgepflegten Fingern
nicht anrühren! Ihr könnt euch das nicht so
vorstellen. Heutzutage, wenn einer hinüber-
kommt nach Ostafrika, so ein Amerikaner oder
Engländer, läßt er stch seinen numerierten
Bullen var die Flinte treiben, zahlt seine
RegierungSprämie und photographiert. Was
aber seid ihr auch für Kerle!

Damals war Afrika noch eine Arche Noah
und ein Paradies. Ihr könnt's Nachsehen in eurem
alten Geographiebuch, dort wo der weiße
Flecken ist mit dem Vermerk: „Unbekanntes
Gebiet." War nicht allen so unbekannt, ihr
Herren, und könntet statt dessen getrost drei
Namen einschreiben: Tom Felde, Ommeren und
Lagerkrantz. Wir sammelten dort Elfenbein,
denn daS war damals unser Geschäft.

Aber manchmal verhängte der schwarze Erd-
teil sein Gesicht und sah unS böse an aus fieber-
schmalen Augen: Das Pulver ging uns aus
mitten im Busch. Oder die Schwarzen wurden
rebellisch und hatten die Wasserlöcher umstellt,
und nahmen wir sie endlich dennoch mit List
oder Gewalt, so schwamm der gedunsene
Kadaver eines Kaffernbüffels darin und pestete
zum Himmel. Es ivar oft rein zum Verzweifeln!

„Laßt mich mal Nachsehen", beschwichtigte
dann Lagerkrantz meist, „ich will ein Wörtchen
mit ihnen reden." Anfangs wollten wir bei
solchen Gelegenheiten unsere Gewehre nehmen
und ihn begleiten. Er aber wurde jedesmal
zornig. „Nein, bleibt!" brach er aus und fluchte
und konnte sogar mit der Faust nach uns
schlagen, Elnzählige Male dachten wir: Dies-
mal ist eS aus, und er kommt nicht wieder!
Aber ebenso oft kehrte er unversehrt zurück.
„Der Teufel will mich noch nicht!" pflegte er
dann zu sagen. „Noch bin ich nicht gar-
gekocht, scheint's!" Eind obwohl er dabei lachte,
wurde uns unheimlich zumute. Denn fein
Lachen klang ein wenig nach Verrücktheit.

Aber nicht immer hatten wir so schwere
Zeiten. Manchmal stießen wir auf eine Tränke

G E

PRÄMIIERTE

Von Hans B. Wagenseil

und schlugen dort daS Zelt auf: Hungerte uns,
so ging einer hinaus und schoß, waS wir
brauchten. Die übrige Zeit spielten wir Karten.
Da war der gute Lagerkrantz groß und hatte
ein Mundwerk für zwei, obwohl er sonst
schweigsam war, ja manchmal geradezu ver-
stockt. „Ich verdopple meinen Einsatz!" schwa-
dronierte er dann loS und warf noch eine Hand-
voll Stückchen in die Mitte. Denn Geld hatten
wir nicht. Also schnitten wir uns Stückchen
und kerbten sie ein. Tom Felde machte drei
Kerbe und Lagerkrantz eine. Ein Stückchen,
das war soundsoviel Gewicht in Elfenbein oder
ein englisches Pfund: Du konntest es draußen
an der Küste einlösen in beiderlei Münze:
beides war gleichgut.

Einmal schien mein Lagerkrantz nahezu gar-
gekocht zu sein: Der Boden ringS um ihn war
schon ganz weiß von gesplintertem Holz. „Jetzt

Vignette v. Weiden

N D

1 9 3 6 / N R. 5 0

TOD

mußt du mir gleich dein Messer leihen", sagte
er zu Tom Felde und blinkerte mit den Augen,
„mein'S ist schon ganz stumpf!" Aber Tom
Felde war der Vernünftigere: Wir verständigten
unS mit einem Blick und machten Schluß. Ja,
ich muß lachen, wenn ich daran denke: Tom
Felde sah aus wie ein Waschweib, das sich die
Schürze hält — so viele Stückchen hielt er in
seinem Schoß.

„Nun, wie ihr wollt!" gab Lagerkrantz bei.
Er war ein anständiger Kerl, er löste alles ein,
als wir zur Küste kamen. „Nimm dein Geld,
Wilhelm", sagte er damals, „ehe wir in den
Salon kommen. Denn sonst ist es schon ver-
trunken und weg!"

„Aber dafür mußt du mein Gast sein", sagte
Tom Felde darauf, „vielleicht hast daS nächste
Mal du Glück."

Der Salon, oder die Bar, war der Treff-
punkt für alle Waldläufer. Seit vielen Jahren
gingen lvir dorthin, Elnd doch hatten wir dies-
mal Mühe, ihn zu finden, so sehr hatte sich der
Platz verändert. Hohe Bohrtürme ragten auf,
Getreidespeicher, KinoS und Lichtreklamen, und
das HauS mit der Bar, das einmal daS größte
Gebäude am Platz gewesen war, hockte jetzt
armselig zwischen Zementbauten. Auch die Bar
selbst hatte stch arg verändert. Statt der
Buschgestalten der Waldläufer saßen jetzt
Herren in weißen Tropenanzügen darin. Es
gab sogar einen Ingenieur mit steifem Kragen.
Nur Jvsua, der Wirt, war noch derselbe.

„Habt ihr Elfenbein mitgebracht?" fragte er
und wandte stch vor allem an Lagerkrantz. „Es
ist sehr im Preis gestiegen, das sage ich euch
offen, weil ich's gut mit dir meine, Piet. Ich
aber zahle mehr als die Aufkäufer von der
Compagnie, denn ich habe direkte Verbindungen
Wenn ihr's in Ware verrechnet, so gewähre ich
nochmaligen Aufschlag. Ja, ich mache jetzt so
allerhand Geschäfte. Du kannst Konserven bei
mir haben und gepreßten Tabak, Piet, und bevor
du wieder hinauSgehst, kannst du dein Leben
auf Tod und Einfall bei mir versichern, denn
ich bin jetzt Agent einer amerikanischen Gesell-
schaft."

„DaS ist alles verdammter Einsinn", sagte
Lagerkrantz kalt und spie auS. „Gib mir lieber
zu trinken!"

„Was soll's sein?" fragte Jvsua eifrig.

Nun aber hatte sich der gute Piet über die

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Leo v. Welden: Vignette
Hans Beppo Wagenseil: Der prämiierte Tod
 
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