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„Bitte, bitte", sagte Reichel, „bedienen Sie sich. Sie werden auch mit
Weiß kein Bein aus die Erde bringen!"

„Abwarten", ries Eder. Er zog, und das Spiel begann.

Die ersten Züge folgten rasch auseinander. „Da", sagte Eder, indem
er einen Schwächling opferte, um einen Vorstoß durchzusetzen, „fressen
Sie sich satt!"

Reichel schlug den Bauern. „DaS wird Sie die Partie kosten", unkte
er, „ich werde den Mehrbauern zum Turmendspiel verwerten."

„Verwerten Sie nur", höhnte Eder und ließ das Pferdchen springen.

„Ach, du meine Güte! Das ist ja Schnorz, was Sie da spielen! Für
so einfältig dürfen Sie mich wirklich nicht halten, daß ich auf diesen
Leim gehe. Ziehen Sie Ihren Klepper nur wieder zurück, sonst ist er
heidi." blnd Reichel griff tapfer den Springer an.

Eder aber ging nicht zurück, sondern deckte. „Prahlen Sie ruhig
weiter", sagte er, „ich werde Ihnen schon zeigen, wo Barthel den Most
holt!"

„Hm!" machte Reichel und steckte sich eine Zigarette an. „So also
spielen Sie das. Wenn das nur gut geht! Gilt der Zug?"

„Er gilt! Berührt — geführt."

„Ra, dann will ich ^zhnen mal vorführen, was eine Harke ist. —
Garde;!" Reicbel bedrohte die Königin und schnob angriffslustig den
Rauch durch die Rase.

Eder lächelte schief: „Auch hiergegen gibt es Mittel und Wege." Er
brachte die Dame in Sicherheit.

„Weiß verschenkt kostbare Zeit", hänselte Reichel. „Bald werden Sie
auf dem letzten Loch pfeifen!"

Eder ließ sich durch die gewohnten Sprüche nicht aus der Ruhe
bringen. Er gewann den Bauern zurück und hatte das Feld für eine
gute Entwicklung frei. Er. stützte den Kopf in die Hand und überlegte,
wie er Reichel am besten beikommen könne. Minutenlang brüteten sie
beide stumm über den Feldern.

Der Ober Franz, der stehend zuschaute und daS Spiel verfolgte,
konnte sich nicht halten und warnte: „Geben Sie acht, der Läufer ist :n
Gefahr!"

Eder wandte sich entrüstet um: „Wie oft muß ich Ihnen noch sagen,
Franz, daß Sie nicht kiebitzen sollen! Bringen Sie lieber zehn Zigaretten,
aber ohne Mundstück!"

Franz lächelte verlegen und ging zur Theke.

Auf dem Brett entstand nun ein zäher Nahkampf. Bedächtig folgten
die Züge. Mehrere Figuren kamen zum Abtausch, da Reichel bestrebt
war, die Streitkräfte zu mindern. Sie standen sich immer noch gleich,
doch Eder war in der Stellung ein wenig im Vorteil. Von Zeit zu Zeit
atmete er tief auf; eö klang wie ein Seufzer. Seine Finger wurden feucht,
und er wischte sie mehrmals am Taschentuch ab. Immer, wenn eine
Zigarette zu Ende war, zündete er die nächste an. Bei besonders
kniffligen Lagen feilte er mit den Zähnen die lllnterlippe. Den Gruß
eines Bekannten, der am Tische vorüberging, überhörte er. Auf seiner
Stirn spielten abwechselnd senkrechte und waagrechte Falten. Bisweilen
zwickte er ein Auge zu, um es vor dem Rauch zu schützen, den die
Zigarette verbreitete. Über dem Tisch stand bereits eine bläuliche Wolke
von Striemen und Kringeln, die jedesmal brodelnd in Aufruhr geriet,
wenn ein Luftzug wehte.

„Schach!" rief Reichel, und stellte den Turm so nachdrücklich hin,
daß daS Brett und die Figuren tanzten.

Eder brachte sie wieder in Ordnung. „Gewohnheiten haben Sie", sagte
er strafend, „wie ein Steineklopfer." blnd er ging aus dem Schach.

Reichel schwieg diese Worte tot und bot wiederum Schach. Eder
konnte auch diesmal auöweichen. „Hören Sie doch endlich mit diesem
ewigen Schach auf", sagte er ärgerlich, „Sie sehen ja, daß eS nichts
nützt. Wir fahren doch schließlich nicht Mühle, nicht wahr?"

„Kümmern Sie sich um Weiß", knurrte Reichel. „Sie werden näm-
lich bald auSgeholzt haben, mein Lieber! Ich habe da ein Springer-
manöver drin von einer verblüffenden Schönheit der Technik!" Er zog
und wartete gespannt auf den Gegenzug.

Eder verzog höhnisch den Mund: „Daß ich nicht lach'! Sie Optimist,
Sie!"

Doch Reichel ließ sich den Plan nicht durchkreuzen. Er brachte die
Stellung des Gegners zum Erstarren und kam sichtlich im Vorteil. Eder

Aus Holland

E. M. Wagner

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E. M. Wagner: Aus Holland
 
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