Dann ging er in sein Zimmer. Hier schleuderte er die Rosen aufs
Bett und sank erschöpft in den Lehnstuhl.
*
Als Gertrud Fiedler, groß, blond und frisch, in M. auSstieg, hatte sie
ein beklemmendes Gefühl. NIerkwürdig, dachte sie. Die Borfreude war
wesentlich größer gewesen.
Sie ließ sich Zeit und ging als eine der Letzten durch die Sperre.
Hier blieb sie stehen und blickte sich um. Sie stellte den Koffer hin und
blickte sich nochmals um. Sie musterte die Männer, die in der Nähe
standen, und machte ein enttäuschtes Gesicht. Als sich die Lente verlaufen
hatten und die Sperre geschlossen wurde, ging sie zum Seitenbau und gab
den Koffer auf. Dann kam sie zurück und wartete weitere fünf Minuten.
Ein älterer, gut gekleideter Herr, der ein schwarzes Stückchen am
silbernen Griff schwang, strich auffällig um sie herum und wagte schließ-
lich, sie anzusprechen. Sie zeigte ihm deutlich den Rücken.
Dann faßte sie einen Entschluß. Sie schritt zu den Taxen hinaus,
nannte Straße und Nummer und ließ sich hinfahren. „Bitte, warten
Sie hier auf mich", sagte sie zum Chauffeur.
Es war ein altes, baufälliges Haus. Die Treppenwände waren
bekritzelt. Es roch nach Küche und Waschhaus, und sie rümpfte die Nase.
Richtig, da stand ja der Name. — Sie klingelte. — Sie klingelte
nochmal. — lcknd noch ein dritteSmal, laut und anhaltend. Dann gab
sie eS auf.
Langsam und nachdenklich stieg sie die Stufen hinab. Ihre Brauen
hatten sich gehoben, und die Lippen waren sehr schmal geworden. Plötz-
lich schüttelte sie unwillig den Kopf und beschleunigte den Schritt.
Der Chauffeur riß den Schlag auf.
„Zurück zum Bahnhof", sagte sie.
Es traf sich gut. Sie hatte gleich Anschluß und bekam einen schönen
Fensterplatz, bbnd als der Schnellzug die Stadt und die Vororte hinter
sich hatte und durch freies Land raste, ließ sie die Scheibe herunter,
nahm einen Brief aus dem Täschchen, zerriß ihn in kleine Teile und
streute ihn in die Winde.
\ v
fühlte den Ehrgeiz brennen. Er hüllte sich in eine Rauchwolke und dachte
angestrengt nach. Dann holte er tief Atem. Gottseidank, nun hatte er eS.
Er tat indessen, als ob er ans Aufgeben dachte und spielte zurückhaltend,
blnd dann kam sie, seine große Überraschung, die auf Schwarz wie ein
Keulenschlag wirkte: Er opferte ohne Not die Dame und erreichte
damit, daß Reichel im nächsten Zug matt wurde. Es war ein zwingendes,
unumgängliches Matt.
Reichel bewegte den Kopf hin und her und baute den vorigen Stand
wieder auf, um zu begreifen. Aber es war alles einwandfrei, und er mußte
klein beigeben.
„Na", frohlockte Eder, wie habe ich daS gespielt?"
„Da haben Sie mehr Glück als Verstand gehabt", bemerkte Reichel
trocken, und begann die Steine für eine neue Partie aufzusetzen.
Eder zog die blhr. „Was!" rief er aufspringend, „ist denn das
möglich?! — Franz, zahlen!" Er warf daS Geld auf den Tisch, riß die
Rosen auS dem Waßer, griff nach Hut und Überzieher und stürmte
davon. Es war zwölf Nbinuten über die Zeit.
Bis zur Straßenkreuzung machte er einen Dauerlauf. Dann sprang
er in die erste Taxi. „Fahren Sie zu", keuchte er, „zum Bahnhof!"
Dort suchte Eder den ganzen Bahnsteig ab und verrenkte sich fast den
Hals. Er lief in den Wartesaal und schaute an jeden Tisch. Er lief zur
Gepäckaufbewahrung und zuin Bankkioök. Sogar in die Milchstube
spähte er.
Dann stellte er sich eine geschlagene Viertelstunde lang mitten in die
Bahnhofshalle, die Rosen unter dem Überzieher verborgen. Auf einmal
kam ihm ein Gedanke. Er verließ den Bahnhof, stieg wieder in eine
Taxi und fuhr nach Hause.
Hastig öffnete er den Briefkasten. Doch außer einer Werbeschrift lag
nichts darin. Er knüllte das Blatt zusammen und warf den Knäuel die
Treppe hinunter.
Ruf in die Wolken
Q/on Inaris (fHianc(c
Weilet, ihr Wolken, weilt hei dem Armen,
der das Daheim in der Heimat verlor,
seit ihm zu Einer hin ohne Erbarmen
wehret die Ferne das tägliche Tor.
Weilet ihr Wolken, weilt!
Teilet, ihr Wolken, tilt meine Tränen!
Wie soll es atmen, dies einsame Herz,
werin als verwerfllich, als wunderlich Wähnen
lieblos der Himmel verlacht seinen Schmerz?
Teilet, ihr Wolken, teilt meine Tränen!
Heilet, ihr Wolken, heilt jene Leiden,
die allem irdischen Tröste sind feind.
Denn wo sich Seele von Seele muß scheiden,
tröstet nur Eines: daß Gott um sie weint.
Heilet, ihr Wolken, heilt meine Leiden! — —
Eilet, ihr Wolken, eilt von hinnen
sonnedurchsilbert, sonnegesäumt,
daß die Geliebte vom Wie der gewinnen
— sieht sie euch nahen — heimatlich träumt.
Eilet, ihr Wolken, eilt!
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Bett und sank erschöpft in den Lehnstuhl.
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Als Gertrud Fiedler, groß, blond und frisch, in M. auSstieg, hatte sie
ein beklemmendes Gefühl. NIerkwürdig, dachte sie. Die Borfreude war
wesentlich größer gewesen.
Sie ließ sich Zeit und ging als eine der Letzten durch die Sperre.
Hier blieb sie stehen und blickte sich um. Sie stellte den Koffer hin und
blickte sich nochmals um. Sie musterte die Männer, die in der Nähe
standen, und machte ein enttäuschtes Gesicht. Als sich die Lente verlaufen
hatten und die Sperre geschlossen wurde, ging sie zum Seitenbau und gab
den Koffer auf. Dann kam sie zurück und wartete weitere fünf Minuten.
Ein älterer, gut gekleideter Herr, der ein schwarzes Stückchen am
silbernen Griff schwang, strich auffällig um sie herum und wagte schließ-
lich, sie anzusprechen. Sie zeigte ihm deutlich den Rücken.
Dann faßte sie einen Entschluß. Sie schritt zu den Taxen hinaus,
nannte Straße und Nummer und ließ sich hinfahren. „Bitte, warten
Sie hier auf mich", sagte sie zum Chauffeur.
Es war ein altes, baufälliges Haus. Die Treppenwände waren
bekritzelt. Es roch nach Küche und Waschhaus, und sie rümpfte die Nase.
Richtig, da stand ja der Name. — Sie klingelte. — Sie klingelte
nochmal. — lcknd noch ein dritteSmal, laut und anhaltend. Dann gab
sie eS auf.
Langsam und nachdenklich stieg sie die Stufen hinab. Ihre Brauen
hatten sich gehoben, und die Lippen waren sehr schmal geworden. Plötz-
lich schüttelte sie unwillig den Kopf und beschleunigte den Schritt.
Der Chauffeur riß den Schlag auf.
„Zurück zum Bahnhof", sagte sie.
Es traf sich gut. Sie hatte gleich Anschluß und bekam einen schönen
Fensterplatz, bbnd als der Schnellzug die Stadt und die Vororte hinter
sich hatte und durch freies Land raste, ließ sie die Scheibe herunter,
nahm einen Brief aus dem Täschchen, zerriß ihn in kleine Teile und
streute ihn in die Winde.
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fühlte den Ehrgeiz brennen. Er hüllte sich in eine Rauchwolke und dachte
angestrengt nach. Dann holte er tief Atem. Gottseidank, nun hatte er eS.
Er tat indessen, als ob er ans Aufgeben dachte und spielte zurückhaltend,
blnd dann kam sie, seine große Überraschung, die auf Schwarz wie ein
Keulenschlag wirkte: Er opferte ohne Not die Dame und erreichte
damit, daß Reichel im nächsten Zug matt wurde. Es war ein zwingendes,
unumgängliches Matt.
Reichel bewegte den Kopf hin und her und baute den vorigen Stand
wieder auf, um zu begreifen. Aber es war alles einwandfrei, und er mußte
klein beigeben.
„Na", frohlockte Eder, wie habe ich daS gespielt?"
„Da haben Sie mehr Glück als Verstand gehabt", bemerkte Reichel
trocken, und begann die Steine für eine neue Partie aufzusetzen.
Eder zog die blhr. „Was!" rief er aufspringend, „ist denn das
möglich?! — Franz, zahlen!" Er warf daS Geld auf den Tisch, riß die
Rosen auS dem Waßer, griff nach Hut und Überzieher und stürmte
davon. Es war zwölf Nbinuten über die Zeit.
Bis zur Straßenkreuzung machte er einen Dauerlauf. Dann sprang
er in die erste Taxi. „Fahren Sie zu", keuchte er, „zum Bahnhof!"
Dort suchte Eder den ganzen Bahnsteig ab und verrenkte sich fast den
Hals. Er lief in den Wartesaal und schaute an jeden Tisch. Er lief zur
Gepäckaufbewahrung und zuin Bankkioök. Sogar in die Milchstube
spähte er.
Dann stellte er sich eine geschlagene Viertelstunde lang mitten in die
Bahnhofshalle, die Rosen unter dem Überzieher verborgen. Auf einmal
kam ihm ein Gedanke. Er verließ den Bahnhof, stieg wieder in eine
Taxi und fuhr nach Hause.
Hastig öffnete er den Briefkasten. Doch außer einer Werbeschrift lag
nichts darin. Er knüllte das Blatt zusammen und warf den Knäuel die
Treppe hinunter.
Ruf in die Wolken
Q/on Inaris (fHianc(c
Weilet, ihr Wolken, weilt hei dem Armen,
der das Daheim in der Heimat verlor,
seit ihm zu Einer hin ohne Erbarmen
wehret die Ferne das tägliche Tor.
Weilet ihr Wolken, weilt!
Teilet, ihr Wolken, tilt meine Tränen!
Wie soll es atmen, dies einsame Herz,
werin als verwerfllich, als wunderlich Wähnen
lieblos der Himmel verlacht seinen Schmerz?
Teilet, ihr Wolken, teilt meine Tränen!
Heilet, ihr Wolken, heilt jene Leiden,
die allem irdischen Tröste sind feind.
Denn wo sich Seele von Seele muß scheiden,
tröstet nur Eines: daß Gott um sie weint.
Heilet, ihr Wolken, heilt meine Leiden! — —
Eilet, ihr Wolken, eilt von hinnen
sonnedurchsilbert, sonnegesäumt,
daß die Geliebte vom Wie der gewinnen
— sieht sie euch nahen — heimatlich träumt.
Eilet, ihr Wolken, eilt!
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