D o r f s t r a ß e
S i n t e r h a u f
übci wegen des Schneesturmes sind wir nur
langsam vorwärts gekommen? Der Doktor
lvird ein ärgerliches Gesicht machen; ich aber
werde vor ihn hinstnken und seine Knie um 5
fassen. .. ,Oh, guter Herr Doktor! Machen
Sie mein Weib gesund. Ich werde Ihnen dafür
etvig dankbar sein? Aber der Arzt zankt weiter
mit mir: .Hättest du dein Weib besser behan-
delt, du Trunkenbold! Du würdest Schläge ver-
dienen!' — ,Sie haben wahrlich recht, gnä-
diger Herr Doktor. Seien Sie aber trotzdem
barmherzig. Wenn meine Wanka gesund wird,
rühre ich keinen Branntwein mehr an. bind ich
werde mich ganz der Arbeit widmen. Ich werde
dem gnädigen Herrn ganz umsonst einen kleinen
Kasten aus feinstem Rosenholz anfertigen?
Daraufhin wird der Doktor lachen. ,Nun gut!
Wir werden sehen, waS sich Lun läßt. . ?
Siehst du, Alte, so muß man mit den seinen
.Herrschaften sprechen. Höflich und unter-
tänig ... Wir sollen nur den Wog nicht ver-
sohlen. Die Schneeflocken werden immer dichter,
man sieht kaum zehn Schritte weit."
So redete Iwan Iwanitsch vor sich hin.
3n seinem Hirn, das an Denken nicht gewöhnt
war, wirbelten verschiedene Gedanken durch-
einander. DaS Unglück hatte ihn jäh ereilt.
Wie ruhig war sein Leben bisher gewesen, alles
ging seinen gewohnten Lauf. Er trank seinen
Branntwein, arbeitete, wenn er Lust dazu hatte,
und schlug aus Langeiveile sein Weib. . .
WankaS plötzliche Erkrankung brachte ihn
aber aus dem gewohnten Gleis, sie löste sogar
Zärtlichkeit in dem Mann auS. Der eigen-
tümliche Blick seines Weibes war ihm gestern
abend sofort ausgefallen. Dhne langes Zögern
lieh er sich vom Nachbar ein Pferd aus und
führte nun sein Weib nach der Stadt inö Spital.
„Wanka", sprach er wieder, „wenn dich der
Arzt fragen sollte, ob ich dich geschlagen habe,
so antworte darauf: ,Neln!' Ich habe dich nie
aus Böswilligkeit geschlagen, Ich werde dich
auch nie mehr verhauen, das schwöre ich bei
allen Heiligen, — ich bin um dich besorgt. An-
dere würden dich daheim gelassen, ich aber führe
dich in die Stadt. Schau, wie die Schnee-
flocken durcheinanderwirbeln. Ich soll nur nicht
etwa den Weg verfehlen! — Schmerzt dich
die Seite noch so sehr?"
Iwanitsch blickte zurück.
„Komisch", dachte er bei sich, „wie auf ihrem
Gesicht der Schnee liegen bleibt. Auf meiner
Nase schmilzt er gleich."
Der Tischler wunderte sich über die Beobach-
tung wohl sehr, er wollte aber darüber nicht
lveiter Nachdenken.
„Du bist dumm", setzte er fort. „Ich spreche
so besorgt zu dir und du gibst mir gar keine
Antwort!"
Iwanitfch grübelte traurig nach. Eine volle
Stunde saß er wortlos da. Endlich, um die
bedrückende klngewißheit loszuwerden, griff er
zurück nach der Hand seines Weibes. Die
Hand war eiskalt und steif.
Dem Tischler traten Tränen in die Augen.
Jetzt, wo er sich bessern wollte, starb ihm das
Weib .. .„Nun steigt sie mit der Überzeugung ins
Grab, daß ich ein unverbesserlicher Trunkenbold
gewesen bin. .. Ein paar Jahre hätte sie noch
leben sollen! Ich hätte sie gehegt und gepflegt."
„Wohin fahre ich denn da?" unterbrach er
sein Grübeln. „WaS habe ich noch in der Stadt
zu suchen? Geholfen kann da schon nicht mehr
werden, jetzt bleibt nur mehr die Beerdigung
übrig."
Er zog die Zügel an und kehrte mit dem
Schlitten um. Der Sturm wurde immer
heftiger und schlug ihm die Zweige der jungen
Tannen ins Gesicht. Es begann zu dämmern.
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übci wegen des Schneesturmes sind wir nur
langsam vorwärts gekommen? Der Doktor
lvird ein ärgerliches Gesicht machen; ich aber
werde vor ihn hinstnken und seine Knie um 5
fassen. .. ,Oh, guter Herr Doktor! Machen
Sie mein Weib gesund. Ich werde Ihnen dafür
etvig dankbar sein? Aber der Arzt zankt weiter
mit mir: .Hättest du dein Weib besser behan-
delt, du Trunkenbold! Du würdest Schläge ver-
dienen!' — ,Sie haben wahrlich recht, gnä-
diger Herr Doktor. Seien Sie aber trotzdem
barmherzig. Wenn meine Wanka gesund wird,
rühre ich keinen Branntwein mehr an. bind ich
werde mich ganz der Arbeit widmen. Ich werde
dem gnädigen Herrn ganz umsonst einen kleinen
Kasten aus feinstem Rosenholz anfertigen?
Daraufhin wird der Doktor lachen. ,Nun gut!
Wir werden sehen, waS sich Lun läßt. . ?
Siehst du, Alte, so muß man mit den seinen
.Herrschaften sprechen. Höflich und unter-
tänig ... Wir sollen nur den Wog nicht ver-
sohlen. Die Schneeflocken werden immer dichter,
man sieht kaum zehn Schritte weit."
So redete Iwan Iwanitsch vor sich hin.
3n seinem Hirn, das an Denken nicht gewöhnt
war, wirbelten verschiedene Gedanken durch-
einander. DaS Unglück hatte ihn jäh ereilt.
Wie ruhig war sein Leben bisher gewesen, alles
ging seinen gewohnten Lauf. Er trank seinen
Branntwein, arbeitete, wenn er Lust dazu hatte,
und schlug aus Langeiveile sein Weib. . .
WankaS plötzliche Erkrankung brachte ihn
aber aus dem gewohnten Gleis, sie löste sogar
Zärtlichkeit in dem Mann auS. Der eigen-
tümliche Blick seines Weibes war ihm gestern
abend sofort ausgefallen. Dhne langes Zögern
lieh er sich vom Nachbar ein Pferd aus und
führte nun sein Weib nach der Stadt inö Spital.
„Wanka", sprach er wieder, „wenn dich der
Arzt fragen sollte, ob ich dich geschlagen habe,
so antworte darauf: ,Neln!' Ich habe dich nie
aus Böswilligkeit geschlagen, Ich werde dich
auch nie mehr verhauen, das schwöre ich bei
allen Heiligen, — ich bin um dich besorgt. An-
dere würden dich daheim gelassen, ich aber führe
dich in die Stadt. Schau, wie die Schnee-
flocken durcheinanderwirbeln. Ich soll nur nicht
etwa den Weg verfehlen! — Schmerzt dich
die Seite noch so sehr?"
Iwanitsch blickte zurück.
„Komisch", dachte er bei sich, „wie auf ihrem
Gesicht der Schnee liegen bleibt. Auf meiner
Nase schmilzt er gleich."
Der Tischler wunderte sich über die Beobach-
tung wohl sehr, er wollte aber darüber nicht
lveiter Nachdenken.
„Du bist dumm", setzte er fort. „Ich spreche
so besorgt zu dir und du gibst mir gar keine
Antwort!"
Iwanitfch grübelte traurig nach. Eine volle
Stunde saß er wortlos da. Endlich, um die
bedrückende klngewißheit loszuwerden, griff er
zurück nach der Hand seines Weibes. Die
Hand war eiskalt und steif.
Dem Tischler traten Tränen in die Augen.
Jetzt, wo er sich bessern wollte, starb ihm das
Weib .. .„Nun steigt sie mit der Überzeugung ins
Grab, daß ich ein unverbesserlicher Trunkenbold
gewesen bin. .. Ein paar Jahre hätte sie noch
leben sollen! Ich hätte sie gehegt und gepflegt."
„Wohin fahre ich denn da?" unterbrach er
sein Grübeln. „WaS habe ich noch in der Stadt
zu suchen? Geholfen kann da schon nicht mehr
werden, jetzt bleibt nur mehr die Beerdigung
übrig."
Er zog die Zügel an und kehrte mit dem
Schlitten um. Der Sturm wurde immer
heftiger und schlug ihm die Zweige der jungen
Tannen ins Gesicht. Es begann zu dämmern.
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