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Polizeisinspektor Scheible

Brinkmanns, Herr und Frau Brinkmann,
Besitzer eines gutgehenden kleinen Modesalons
der Innenstadt, bewohnten in einem vornehm
abgelegenen Hause die geräumige erste Etage.
Die begüterte Geruhsamkeit des ganzen Stadt-
teils brachte es mit sich, daß wie alle anderen
Anwohner auch Brinkmanns immer wieder von
Bettlerbesuchen und Hausiererangeboten heim-
gesucht wurden. Kaum eine Stunde verging,
ohne daß laut oder zaghast die Glorke gezogen
wurde und irgendeine heisere Stimme vor der
Tür um ein Almosen slehte oder Postkarten
und Schnürsenkel seilbot. Brinkmann erboste
sich nicht nur über diese hartnäckigen Störungen,
sondern er machte sich auch ernsthaste Sorge
um das Geschick der Wohnung, wenn er sie
demnächst während der Urlaubsreise sich selbst
überlassen mußte. Er war schon Lau Begriff,
aus die ersehnten Erholungswochen zu ver-
zichten und seine Frau wieder einmal allein
fahren zu lassen, da kam ihm ein Gedanke, von
dem er sich ohne besonderen Kostenaufwand
Rettung versprach: er heftete an die WohnungS-
tür neben sein eigenes Namenfchild eine
Visitenkarte mit der deutlich lesbaren Aufschrift:

Josef Scheible, Polizei-Inspektor.

Und wahrhaftig, dieses kleine Schildchen
wirkte Wunder! Von Stund an hielt die
Furcht, ungewollt den neueingezogenen Poli-
zisten herauszulocken, auch den verwegensten
Stromer davor zurück, an der Brinkmann'schen
Wohnung zu läuten. Brinkmanns waren ob
dieser Feststellung höchst erfreut und fanden,
als die Wirkung des Schildchens tagelang
anhielt, bald den Mut, ihre Wohnung für-
einige Wochen dem also bewährten Herrn
Inspektor Scheible anzuvertrauen; nicht ohne
vorher allerdings den im Souterrain wohnen-
den Hausmeister aufzufordern, des öfteren nach
der Wohnung zu sehen, denn sie sei in der Tat
verlassen, da der gewichtige Untermieter
Scheible nur eine Art Vogelscheuche oder besser
noch: Bettlerscheuche sei, in Wahrheit also gar-
nicht existiere.

Der Hausmeister hatte, kopfschüttelnd davon
Kenntnis nehmend, das Gewünschte versprochen
und Brinkmanns waren leichten Herzens abge-
fahren, um sich in einer milden Ferne Erholung
zu gönnen.

Kaum, daß jie vierundzwanzig Stunden aus
dem Hause waren, erschien ein Mann beim
Hausmeister und gab einen Brief für den in der
ersten Etage wohnenden Scheible ab. Der
Hausmeister sah den Mann verlegen an, nahm
den Brief für den Polizisten mit einer nur
unsicheren und sprachlosen Gebärde an sich.

„Ich komme morgen wieder, um die Antwort
des Herrn Inspektors abzuholen!" sagte der
Mann noch und ging.

Der Hausmeister drehte den geheimnisvollen
Brief zwischen den Fingern und wußte nicht,
was zu tun sei; schließlich stieg er verwirrt zum
ersten Stock herauf und läutete nach Herrn
Scheible, aber niemand rührte sich hinter der
Tür.

Als der fremde Mann am nächsten Tage
nach der Anwort des Inspektors fragte, stam-
melte der Hausmeister, um die Wahrheit nicht
zu verraten, eine kleine Notlüge: der Inspektor-
Habe sich geweigert, den Brief an sich zu nehmen,
und wenn einer etwas von ihm wolle, möge er
ihn in seinem Büro aufsuchen. Der fremde
Mann erregte sich ob dieser Botschaft und sagte,
nun werde er draußen warten und auspassen,
wann der Inspektor nach Hause komme: er-
kenne ihn sehr genau und wisse auch, wann
jener seine Wohnung betrete. Er ging und der
Hausmeister blieb abermals in ratloser Der-
wirrung zurück.

Am nächsten Morgen, als er, wie mit Herrn
Brinkmann ausgemacht, die Wohnungstür
überprüfen wollte, wurde diese plötzlich geöffnet
und ein gutangezogener Herr trat heraus. Der
Hausmeister erschrak, obwohl ihm schien, wenn
auch nicht den Herrn, so doch den Anzug irgend-
wann schon gesehen zu haben, und machte aus
diesem Erschrecken keinen Hehl.

Der andere sah ihn gelassen an und fragte:

„Wollten Sie zu mir? Scheible ist mein
Name!"

„Nein ... ja .. . ich wollte nur .. . Herr
Brinkmann hatte mich beauftragt"

Dcinovmorinyr

ÄManLuirLpmdr-irdlis BP

„. . . etwas mit auf die Wohnung acht zu
geben, nicht wahr! Ja, ich weiß, er ist sehr
ängstlich. Er hat mir dasselbe auch auf-
getragen ..."

„Ihnen?!"

„Ja, mir! Als er fortfuhr. Ich wohne doch
schon an die drei Wochen hier bei Brinkmanns
und gehe jeden Tag mehrmals an Ihnen
vorbei!

„Eie? Aber Herr Brinkmann hat mir doch
gesagt, Sie gäbe es gar nicht!"

„Aber Mann! Das sehen Sie doch! Viel-
leicht hat er Ihnen nichts gesagt, weil er ver-
schweigen wollte, daß er ein möbliertes Zimmer
vermietet."

„Ach, so ist das! . .. Sie meinen . . . Ach

s°! - - •"

Der Hausmeister beruhigte sich und begann
verschmitzt zu lächeln.

„Wenn das so ist! Dann entschuldigen Sie
bitte, daß ich Sie belästigt habe, Herr Polizei-
Inspektor!"

Kopfschüttelnd stieg er die Treppe hinab, ehr-
fürchtig Herrn Scheible an sich vorüber lassend.

Ein paar Tage später sah er wieder jenen
Mann, der den Brief abgegeben hatte, ins
Haus kommen; er grüßte ihn freundlich, nicht
ohne im Innern auf Herrn Brinkmann zu
schimpfen, der ihn so an der Nase herum-
geführt hatte.

Als Brinkmanns nach vierzehn Tagen eine
Karte aus der Sommerfrische schickten und nach
ihrer Wohnung fragten, antwortete der Haus-
meister eine Woche später, daß selbstverständlich
alles in bester Ordnung sei und daß sie völlig
beruhigt sein könnten, zumal doch auch noch der
Herr Polizei-Inspektor, den sie chm allerdings
verheimlicht hätten, Ln der Wohnung sei und sie
allein schon kraft seiner beruflichen Tätigkeit
vor allem Mißgeschick bewahre.

Hierauf erhielt der Hausmeister nach zwei
Tagen schon eine neue Karte von Brinkmanns
mit dem nervösen Vorwurf, er solle sich
gefälligst nicht solche Späße mit seinen Mietern
erlauben und für den Fall, daß wirklich irgend-
etwas zu Bedenken Anlaß gebe, sofort die
Polizei benachrichtigen. Im übrigen aber wür-
den sie hoffen, daß es sich um nichts mehr als
um einen schlechten Scherz des Hausmeisters
handele.

Der Hausmeister war ob dieser Karte, da er
sich keines Scherzes bewußt war, nicht wenig
verdutzt und er entschloß sich, damit die letzte
Verantwortung nicht an ihm hängen bliebe,
der Polizei von der Angelegenheit Kenntnis zu
geben. Er stieg also die Treppen zu Brink-
manns Wohnung hinauf, läutete und bat den

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Karl Ude: Polizei-Inspektor Scheible
 
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