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Wir besuchen das Handwerk

Das Handwerk ist zeitgebunden. Gerade
deshalb wollen wir die Kamera nehmen und
festhalten, was es noch irgend festzuhalten
gibt. Denn die Neuzeit brachte hier ver-
schiedenste Änderungen, ließ neue Hand-
werksberufe erstehen, denen andere weichen
mußten. So wird es wichtig, daß wir das
Vorhandene im Bilde darstellen, um es
für spätere Zeiten zu bewahren.

Die Fotografie will uns ja neben allen
ihren anderen Aufgaben Zeitdokumente
schaffen, die späteren Generationen einen
Rückblick ermöglichen. Wenn wir das nicht
beachten, so wird man uns später berech-
tigte Vorwürfe machen müssen. Denn wir
haben ja heute die Möglichkeiten, ein viel-
seitiges und getreues Abbild unseres gesam-
ten Lebens zu geben, was es in jeder Hin-
sicht auszunutzen gilt.

Wir wollen nicht sagen, daß ein Schneider
oder Schuster nicht „modern“ sei, weil man
von der Stange kauft. Denn auch diese
Schaffenden finden heute noch ihr Brot und
stellen im wesentlichen Wertarbeit her, die
sich ' gegenüber allem anderen nicht nur
rentiert, sondern die auch ihre Vorteile hat.
Doch das sind Fragen, die ja nur mittelbar
etwas mit der Fotografie zu tun haben.

Festzuhalten bleibt: Daß all diese Hand-
werker da sind, daß wir sie brauchen und
daß sie in unsere Zeit gehören. Und soll
unsere Fotoserie vollständig sein, so werden
auch von ihnen Aufnahmen erforderlich.

Daß solche Bilder relativ wenig gemacht
werden, hängt zweifellos mit einer gewissen
Scheu zusammen. Ich kann doch nicht ein-
fach in eine Werkstatt gehen, dort Kamera
und Kunstlicht aufstellen, ein paar passende
Worte sagen und den Mann von der Arbeit
abhalten — das sind die ersten hemmenden
Gedanken, die man aber überwinden muß.
Fs gibt gerade unter diesen Handwerkern
Leute, die in ihrem Leben noch nicht ein
einziges Mal fotografiert wurden und die sich
freuen, daß man auch an sie denkt. Ein paar
Worte, daß wir den Handwerker bei seinem
Schaffen aufnehmen wollen, genügen meist,
um das nötige Verständnis zu finden und
jede gestellte Pose zu vermeiden. Nur zum
Schluß darf nicht vergessen werden, daß
wir dem Meister, Gesellen oder Lehrjungen
wenigstens ein Foto verehren. Das kostet
uns nur kleine Mühe und bedeutet für den
Fotografierten doch so viel.

Wenn wir es richtig anstellen, so brauchen
wir den schaffenden Menschen so gut wie
gar nicht in Anspruch zu nehmen. Und das
wird auch der beste Weg sein, um Echtheit
in die Bilder zu bringen. Da nehmen wir ein
paar Vacublitze mit, die am besten mit dem
Kameraverschluß gekuppelt werden; weiter
kann eine Nitraphotlampe gute Dienste leisten
und ein Blendschirm (vielleicht schon weißer
Glanzkarton) zum Aufhellen bei einseitiger

Beleuchtung wichtig werden. Wenn wir mit
dieser Ausrüstung in die Werkstatt einziehen,
so wird nicht gleich drauflosgeknipst, son-
dern zunächst beobachtet. Wir werden uns
für typische Arbeiten interessieren müssen,
die Handgriffe studieren und nach einiger
Kenntnis mit der eigentlichen Aufnahme
beginnen. Dabei wollen wir den Handwerker
möglichst wenig beeinflussen, wir richten uns
nach ihm und bekommen so die besten
Bilder. Höchstens bei längeren Belichtungs-
zeiten wird es erforderlich sein, daß wir
einen Moment in der Bewegung innehalten
lassen. Das läßt sich meist sehr schnell ein-
exerzieren, wenn wir begreiflich gemacht
haben, daß es uns nicht auf schöne und
dekorative Gesichter ankommt, sondern daß
wir alles ganz natürlich haben möchten. So,
wie es eben ist.

Viel hängt von der Beleuchtung ab. Denn
im Arbeitsraum ist sie oft schlecht, so daß
wir mit Kunstlicht nachhelfen müssen. Meist
hängen, liegen und stehen im Arbeitsraum
auch so vielerlei Dinge herum, daß eine ver-
wirrende Buntheit entstehen kann, wenn wir
das alles mit auf unseren Film bekommen.
Wir helfen dem ab, daß wir im wesentlichen
nur den Menschen scharf äbbilden, also mit
großer Blende fotografieren, dann aber auch
die Beleuchtung nur auf den Darzustellenden
richten. Dann liegt das andere im Schatten
und wird nur angedeutet hervortreten, was
gerade richtig ist.

Auch mit Einzelheiten, mit Nahaufnahmen
wollen wir uns befassen. Einmal nur ein
paar schaffende Hände abbilden oder ein

Porträt mit seinem vielseitigen Ausdruck
geben. Auch Stilleben lassen sich aufnehmen.
Kurz, es erwartet uns eine ungeahnte Viel-
seitigkeit, und indem wir mit Freude Vor-
gehen, erzielen wir nicht nur schöne Bilder,
sondern noch weit mehr: Ein getreues

Dokument unserer Zeit von bleibendem Wert.

gi-t

1936 / JUGEND NR. 51 / 15. Dezember 1936

Vierteljahres*Preis 7 Mark, Heft'Preis 60 Pfenni

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Verlag: G. HIRTH VERLAG AG., München. — Für Herausgabe und Redaktion in Österreich verantwortlich: Dr. EMMERICH MORAWA, i. Fa. Morawa & Co., Wien I, Wollzeile !>
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