J U G
41. JAHRGANG
END
1 9 3 6 / N r. 5 2
Barockengel
(Aus der Sammlung von Prof. C. Zimmermann)
Weihnachtliche Heimkehr
Q on COrnsi c3lessa
Das Altroder Anwesen liegt hoch oben in den Grenzwäldern des
östlichen Gebirges. Der Schneesall hat für eine Weile auögesetzt. Für
einen der junge Kräfte in den Beinen hat, sind die Waldsteige noch gang-
bar. Wer aber hätte am Heiligen Abend noch in dein weltfernen, ver-
witterten HanS zu tun, dessen einsames Fensterlicht weit hinaus sichtbar
ist im winterabendlichen Land? Ein Fremder könnte es für einen Stern
halten, wenn er aus den Tälern heraufblickt.
Der Altroder schlurft noch krummen Rückens in den Stall hinüber,
nach Ochs und Kuh zu sehen. Er hat ein hartknochiges Waldgesicht; die
Augen darin sind winterlich inwendig. Der trauliche Schein aus der
Laterne in seiner Hand muß durch viel Eis schlagen, bis er in den alten
Augen der Herzwärme begegnet. Verloren blicken sie in den wohligen
Dunst, der von den ruhenden Tieren ausströmt. Die Scheckin hat lange
Mühe, den Kops mit den milden, großen Augen nach dem Bergbauer
hinzuwenden, ehe er es merkt. Wenn man noch jünger wäre, hätte man
dem Tier dafür die wollige Stirn zwischen den mall glänzenden Hörnern
gestreichelt, aber die steifen Beine sparen jeden Schritt. Es tut gut, sich
eine Weile an den Vieh stand zu lehnen. „Alte-Leut'-Weihnachten —",
denkt der Altroder mit murmelnden, schmalen Lippen. Es kann auch sein,
daß eS nur ein wenig Schäche ist, die zusammenhanglos die Lippen regt
und sein Haupt der Scheckin zunicken läßt. Aber eS wird doch noch ein
richtiges Zwiegespräch daraus, wenn man es so nennen will. Er erzählt
der Kuh davon, daß er jetzt wieder in die Stube hinübergehen wird, um
sich fröstelnd neben den Ofen zu sehen. Nein, einen Christbaum lohnt es
nicht mehr; der ist gut, wenn Kinder im Hause sind. klnd die kargen,
morschen Krastreste im Leib muß man für den kurzen Sommer ausheben,
um dem harten Boden die dürftige Ernte abzuwerken: Da steigt man
nicht mehr stundenweit nächtlich zur Christmette ins Dorf hinunter. Wenn
man dann lange neben dem langsam auskühlenden Ofen sitzt, den Blick
an der Altroderin vorbei in blinde Ferne gerichtet, dann kommt manch-
mal ein dünner, leiser Schlaf. Vielleicht sitzt dann auch noch ein Zweiter
nebenan aus der Bank, der ebenso schweigsam ist wie der Vater. Weil
Weihnachten ist, ist der leicht hinwehende Traum vielleicht so gut, dem
fremden, stummen Gast ein frisches, junges Gesicht zu geben: Das ist der
Sohn, gefallen in Flandern; mitten im ersten Saft hat ihn eine schwere
Art gefällt. Sie haben nichts miteinander zu reden. Aber schön ist das,
so nebeneinander zu jitzen. blnd dann, ach, dann ist die Ofenbank wieder
leer. Die Altroderin humpelt ihrem Mann voran in die Kammer.
Schlafen können sie wohl beide nicht, aber reden taugt zu nichts, ^zst
denn noch jemand da in der Kammer, der heute wiederkehrt? Zweimal
war doch die Altroder Wiege, in der schon Großvater und blrahn
gelegen, vor langer Zeit eine Nkulde von Glück unterm Christbaum
gewesen. —
Mächtig schnauft die Scheckin, daß ihr ein loarmer, weißer Rauch
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Barockengel
(Aus der Sammlung von Prof. C. Zimmermann)
Weihnachtliche Heimkehr
Q on COrnsi c3lessa
Das Altroder Anwesen liegt hoch oben in den Grenzwäldern des
östlichen Gebirges. Der Schneesall hat für eine Weile auögesetzt. Für
einen der junge Kräfte in den Beinen hat, sind die Waldsteige noch gang-
bar. Wer aber hätte am Heiligen Abend noch in dein weltfernen, ver-
witterten HanS zu tun, dessen einsames Fensterlicht weit hinaus sichtbar
ist im winterabendlichen Land? Ein Fremder könnte es für einen Stern
halten, wenn er aus den Tälern heraufblickt.
Der Altroder schlurft noch krummen Rückens in den Stall hinüber,
nach Ochs und Kuh zu sehen. Er hat ein hartknochiges Waldgesicht; die
Augen darin sind winterlich inwendig. Der trauliche Schein aus der
Laterne in seiner Hand muß durch viel Eis schlagen, bis er in den alten
Augen der Herzwärme begegnet. Verloren blicken sie in den wohligen
Dunst, der von den ruhenden Tieren ausströmt. Die Scheckin hat lange
Mühe, den Kops mit den milden, großen Augen nach dem Bergbauer
hinzuwenden, ehe er es merkt. Wenn man noch jünger wäre, hätte man
dem Tier dafür die wollige Stirn zwischen den mall glänzenden Hörnern
gestreichelt, aber die steifen Beine sparen jeden Schritt. Es tut gut, sich
eine Weile an den Vieh stand zu lehnen. „Alte-Leut'-Weihnachten —",
denkt der Altroder mit murmelnden, schmalen Lippen. Es kann auch sein,
daß eS nur ein wenig Schäche ist, die zusammenhanglos die Lippen regt
und sein Haupt der Scheckin zunicken läßt. Aber eS wird doch noch ein
richtiges Zwiegespräch daraus, wenn man es so nennen will. Er erzählt
der Kuh davon, daß er jetzt wieder in die Stube hinübergehen wird, um
sich fröstelnd neben den Ofen zu sehen. Nein, einen Christbaum lohnt es
nicht mehr; der ist gut, wenn Kinder im Hause sind. klnd die kargen,
morschen Krastreste im Leib muß man für den kurzen Sommer ausheben,
um dem harten Boden die dürftige Ernte abzuwerken: Da steigt man
nicht mehr stundenweit nächtlich zur Christmette ins Dorf hinunter. Wenn
man dann lange neben dem langsam auskühlenden Ofen sitzt, den Blick
an der Altroderin vorbei in blinde Ferne gerichtet, dann kommt manch-
mal ein dünner, leiser Schlaf. Vielleicht sitzt dann auch noch ein Zweiter
nebenan aus der Bank, der ebenso schweigsam ist wie der Vater. Weil
Weihnachten ist, ist der leicht hinwehende Traum vielleicht so gut, dem
fremden, stummen Gast ein frisches, junges Gesicht zu geben: Das ist der
Sohn, gefallen in Flandern; mitten im ersten Saft hat ihn eine schwere
Art gefällt. Sie haben nichts miteinander zu reden. Aber schön ist das,
so nebeneinander zu jitzen. blnd dann, ach, dann ist die Ofenbank wieder
leer. Die Altroderin humpelt ihrem Mann voran in die Kammer.
Schlafen können sie wohl beide nicht, aber reden taugt zu nichts, ^zst
denn noch jemand da in der Kammer, der heute wiederkehrt? Zweimal
war doch die Altroder Wiege, in der schon Großvater und blrahn
gelegen, vor langer Zeit eine Nkulde von Glück unterm Christbaum
gewesen. —
Mächtig schnauft die Scheckin, daß ihr ein loarmer, weißer Rauch
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