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am JpL’L'ö unb nähte in seine Sonntagshofe eine
neue Meß ertasche ein . . . Da trat mit einem
Male ein großer magerer Engel über bie
Sehwelle der Küchentür. So unverhofft wie
ein Gelbbriefträger. Er blieb forschen ber
Kohlenkiste unb bem Ausgußrohr stehen. Sein
Flügelschlag bewegt-e bas Küchenhanbtuch mit
ber eingenähten Aufschrift: „Rkahlzeit!".

Maria erschrak unb zuckte zusammen, als
wäre plötzlich über ihr bie Decke eingefallen.
Unb von ber Stirne rannen ihr bie- warmen
Dropsen wie ein warmer Regen ins Gesicht. . .

Der weiße Gast rebete so schön unb glocken-
tönenb wie ein Hofschauspieler. Maria bat
ben Engel, ans bem Kanapee Platz zu nehmen
unb mit ihr geröstete Kartoffeln nnb Salz-
gurken zu essen.

Er aber nahm keinen Bissen. Rückwärts-
schreitenb verschüvanb er burch bie Tür. Mit
einem Flügel streiste er an bem blechernen Brief-
kasten vorbei. Das war bas letzte Geräusch,
baS ber Engel hinterließ unb baS Rraria noch
lange in ben Ohren behielt. . .

Unb so ganz Demut war sie, baß sie von
ber hohen Botschaft nicht überhoben würbe.
Daß sie sich noch immerfort an ben Draht-
stielen ber Papierrosen bie Finger iininb stieß
unb bis tief in bie Nacht hinein baS Bügeleisen
schwang.

Als Joseph baS hörte, würben seine Augen
eine Überschwemmung von Dränen. Unb er
streichelte ihr Haar.

Das Znnmerfräulein, bie Platzanweherin im
Kino, beutete ben Engel als eine spiritistische
Erscheinung, wie man sie jeberzeit auch beim
Dischrücken Hervorrufen kann. Sie glaubte
nicht an Himmlisches.

Unb etliche .Monbe vergingen. Bier, fünf. . .

Die Baumkronen setzten Rost an wie alte
Grabkreuze. Apfel unb Zwetschgen fielen zur
Erbe.. . Herbst!

Nebel zogen Schleier burchs Geäst. Der Dag
würbe immer kleiner, wie ein Sonntagskuchen
mit Meinbeeren unb Rosinen.

Maria nnb Joseph blieben in Ergebenheit
ber hohen Botschaft eingebenk. klm ihre Häup-
ter wuchsen ganz allmählich Heiligenscheine. Wie
zunehmenbe Nconbe. Wenn Maria sich ben
Scheitel zog, erschaute sie bas Wunber im
Spiegel. Immer beutlicher. Unb Joseph merkte
eö beim Haarschneiben in ber Stube bes Babers.

Sie würben Heilige.

Alle Nazarether ließen, wenn sie an ihnen
vorbeigingen, ben Don ihrer Rebe tiefer werben.
Unb sahen mit einem Auge nach be-m wachsen-
ben Lichtreif. Unb blickten ihnen noch lange
nach. Blinzelnb unb geblenbet. Daß bie Beiben
bieseS Schauen wie eine warme Brause an
ihren Rücken herunterrieseln fühlten.

Unb immer mehr gingen bie Worte bes
Engels ihrer Reife entgegen.

Um biese Zeit mußte ber Bezirksamtmann

auf Anorbnung feiner Regierung bie Jnvaliben-
versicherung unb Ortskrankenkasse einrichten.
Jebermann mußte beshalb in feine Heimatstabt,
bamit ihm bort bie Versicherungskarte aus-
gestellt lverben könnte.

In Josephs Briefkasten fiel eines Morgens
ein solcher Schrieb. Maria mahlte gerabe ben
Kaffee.

Heute noch müßten >ie nach Bethlehem! . . .
Sie ließ vor Schreck bie Bohnenschublabe aus
ihrer Kaffeemühle fallen.

Draußen lief ber Winb ums Haus. Wie ein
pfeifenber Hanbwerksbursche. In Nazareths
Gaffen fiel Schnee — Schnee . . . So weich
unb weiß. Unb bick. . .

Der Morgen war noch voll beacht. Maria
nahm Josephs Bratenrock, feinen Zylinberhut
unb bie Veteranenvereinsorben aus bem Kleiber-
schrank unb legte sie über baS Bett hin. Dann
sperrte sie bie Ko-mm oben schublabe ab, in ber
Joseph seine Feiertagsschulzeugnisse unb bie
Briefmarkensammlung aufbewahrt hielt. Unb
ben Kanarienvogel trug sie zur Krämerin hin-
über unb tat noch bieS unb baS.

Die zwei Heiligen trabten burch ben Schnee.
Hintereinanber. Leicht 'unb weich. Daß sie ihre
Dritte nicht hörten. Sie trat in seine Fuß-
stapfen. Flocken fielen als weißer Brief vom
Himmel. Unb blühten schwebenb zu Brillanten
auf. Das Laub um unb um glich einem frisch-
gemachten Bett. Weißes Linnen überall.

Sie gingen unb gingen. Maria aß aus
Josephs Manteltasche gebörrte Zwetschgen unb
warf bie Kerne nach links unb rechts.

„Hast ber Kramer in für'n Kanarienvogel aa
gnua' Hanf mitgeb'n?"

„Ja, a ganze Bierflaschen voll."

„Unb hast b' Zeitung abb'stellt, weil wir
jetzt länger nimmer z'ruckkommen wer n?"

„A ganze Woch' lang, Hab' i g sagt, soll n s
as zruckhalt n . .

„klnb hast für's Zimmerfreilein an Haus-
schlüssel unter's Fußabstreiferbeckerl g legt, baß
j” herein kann, wenn's vom Kino heimkommt?"

„Ja, unb an Zettel Hab' f ihr auf's Nacht-
kastel hing legt, rvo i' braufg'fchrieb n Hab', baß
bie Laubfrösch a paar Würmer neintun soll . .

„Wenn's an Mchlwurmhafen finbt,
schon. .

„Dös Hab f ihr ja hing schrieb n, baß er
neben bem Krug mit ben Preiselbeeren steht ..."

„ Dann wirb'S ihn schon finben . .."

Unb bie Heiligen schwiegen wieber lange.

klm ihre Häupter schwebten korngelb, wie
bie Ränber von Strohhüten, bie runben
Heiligenscheine. . .

Der Nachmittag ging unb ber Abenb kam.
Er kroch aus bem Straßengraben wie ein
Lanbstreicher. Alles um sie her war mit
chinesischer Dusche pechschwarz übermalt. Nur
ber Himmel glitzerte gleich einem Karusselbach.
Die Sterne sinb winzig kleine Laternen gewor-
ben.

Maria war schon mübe. Ihre Füße würben
geknickte Halme. Jebem Winb gehorsam.
Gleich einem Wagen mit zerbrochenem Rab,
lehnte sie sich an Josephs Arm.

Der ließ sich nichts Mübes anmerken. Er
Ipielte auf seiner Munbharmonika ben Tölzer
Schützenmarsch . . .

Die heiligen drei Könige A. Beck

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August Beck: Die heiligen drei Könige
 
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