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tonnen, Ausklopsstangen und leeren Obstkarren.

Da lag der Stall des Limonadenfuhrwerks
einer Mineralwasserfabrik.

Die Hausmeisterin schloß ihnen auf. Und
brachte Roßdecken, Kopfkissen von ihres
Mannes Bett. Und eine Wärmflasche. „Gute
Nacht!"

Drinnen roch eS nach abgemähten Herbst-
wiesen, Bauernhöfen und Wagenöl. Von der
Decke herab hing ein Stearinlicht als tröstender'
Stern, der einen wächsernen Regen herab-
tropfen ließ.

Das Pferd schlief stehend, In einer Ecke lag
der Esel eines Karussells, das draußen in der
verschneiten Wiese ausgebaut war. Daneben
träumte ein bilderbuchfleckiger Ochö.

An den Wänden krochen Kreuzspinnen,
Tausendfüßler und Ohrenschlüpfer hin und her.
Natten raschelten durchs Stroh ...

Maria und Joseph nickten bald ein ...

Und eine heilige Stille wurde laut.

Mit einemmale knisterte es im dunklen Ramu
vernehmlich. In den Wänden des Stalles
rauschten Ouellen. Dn der Decke herab fielen
Sterne.

Ein Engel kam weiß aus einer Ecke. Noch
einer! Diele! Große und kleine! Wie die Kinder
des Bahnwärters, dessen Frau jedes Jahr eines
zur Welt brachte!

Ihre Flügel waren so hoch wie die Laden-
türen der Milchfrauen und so nieder wie
Kammerfensterchen der Almhütten. Doll
Leuchte und Schöne!

Ihr Gewand war weißer als die Vorhänge
des Pfarrhauses, strahlender als die Bogen-
lampen aller Kinematographen der Stadt und
glänzender als die Auslage des Hofjuweliers
bei Nacht.

Einer der Engel hatte eine Laterne um den
Hals hängen. Ein anderer trug eine Dreh-
orgel und ein Dritter brachte ein Grammophon
herbei. Eine feine Musik Hub an. Himmlischer
Gesang stieg auf. Hallelujalieder! Hosianna-
chöre!

Der Stall war hell wie der erste Tag. Heller
als ein Sonnenbad. Heller als das Atelier eines
Photographen, — oder als das Operations-
zimmer eines Zahnarztes, der im 4* Stock
wohnt. Und warm wie die Wärmestuben der
Droschkenkutscher ...

Joseph sprang vor Freude im Stall hin und
her, als hätte er das große Los gewonnen.
Tränen liefen wie junge Rekruten über seine
Wangen.

„UnS iS a K i n d g e b o r e n .. .!"

Sie legten das Kindlein in eine Krippe mit
Heu und Stroh. Der Karussellesel und das
Öchslein des Krautbauern erwachten aus ihrem
Schlaf und gaben ihm von ihrem Hauch ...

Und schwer tappte draußen im Hof der
Morgen herum.

Vor der Stalltüre hielt einer der Engel
heilige Wacht. Er saß auf einem schwarzen
Wiegenpferd, das die Kinder des Hausherrn am
Abend vergessen stehen ließen.

Die Zeitungsfrauen und Bäckerjungen sahen
als erste die lichte Gestalt.

Und bald wußte das ganze Vorder- und
Hinterhaus davon.

Noch in Nachtjacken und Unterhosen liefen

)ie über den Hof in die Stalltür, um das
Wunder zu schauen.

Und immer mehr kamen. Und nur Arme.
Wie sie in den Mietkäst-en der Vorstadt
wohnen: Zigarettendreherinnen, Feuerwehr-

männer, Kohlenträger, räuspernde Volkssänger,
schwindsüchtige Knopflochnäherinnen, kropfige
Chorsängerinnen und schwitzende Möbeltrans-
porteure. Und dann und wann ein hungernder
Student...! Der mitten im Examen stand und
über seinem Kollegheft eingeschlafen war.

Und allen versagte das Wort im Munde.
Denn aus dein Kindlein kam ein Glanz von
innen. Und man konnte es schon aus zwei
Jahre schätzen. Dem stillen Lächeln nach.

Das spürte Jegliches ganz insgeheim. Und
sie wußten nicht wie und waS.

Und bald schleppten sie gar vielerlei aus
ihrem Kreis herbei. Jedes auf feine Art. Und
taten ihm alles zu Gefallen. Arme geben dem
Armen.

Pfennigwerte ivurden bei diesem Umlauf zu
Königreichen. . . Eine Jahrmarkthausiererin
. brachte dem Kind einen knallroten Luftballon,
ein Versicherungsagent seinen halbechten An-
gorakater, ein Veteran sein Goldsischaguarium
und ein Realschüler seine Meerschweinchen-
sparbüchse. Der Silhouettenschneider vom

vierten Stock schnitt ihm seinen Schattenriß, der
Schnellphotograph machte eine Blitzlichtauf-
nahme und ein oberbayerjscher Zitherspieler
schlug dem Kindlein aus seinem Brettl ein
Wiegenlied.

Von den Altanen herab sangen die Dienst-
mädchen „Stille Nacht, heilige Nacht. . .!"

Ein Dekorationsmaler zeichnete über die
Stalltür die Inschrift: „Friede auf Erden und
den Menschen ein Wohlgefallen..." Mit
Buchstaben, so groß, wie sie im Lesebuch am
Anfang der Geschichten stehen. Und in deren
Bäuche fliegenkleine Engel gemalt sind.

Ein Zeitungsreporter schrieb über das himm-
lische Wunder einen langen Artikel, dem er den
Titel gab: „O du fröhliche, o du selige...!"
Er schickte ihn als Erstdruck an das Blatt mit
dem höchsten Zeilenpreis ein. Dann lief er so-
gleich anS nächstgelegene Postamt, ließ sich ein
Buch Telegrammformulare geben und ver-
ständigte von hier auS sämtliche Blätter mit
über zwanzigtausend Abonnenten.

So kam die heilige Kunde in die Welt hinaus.

Unter den Dielen, die gekommen waren, vor
dein Kinde hinzuknien und es anzubeten, stand
auch ein Teerbrenner. Er behielt seinen steifen
Hut aus dem Kops und kicherte Witze in die
heilige Stille hinein. Er hatte alle Schriften

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