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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 42.1937, (Nr. 1-52)

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Nr. 4 (Das grosse Faschingsheft)
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J

4 2. JAHRGANG

1 9$7 / N R. 4

AN DIE FALSCHE GERATEN von herbert steinmann

Marie O'Flanagan hatte zwar Sommersprossen und rote Haare,
aber sonst war sie das, was eine bestimmte Männerwelt als ein
nettes Mädchen zu bezeichnen pflegt. Auch heute, als sie solide
und anständig, doch flott gekleidet zum Stelldichein mit John
Veltman ging, sah man ihr die bessere Neuyorker Hausangestellte
auf den ersten Blick an.

Kein Wunder, daß John Veltman nach gemessen galanter Begrü-
ßung nicht nur ihre nette Erscheinung, sondern auch die zierlichen
echten Armbänder, die funkelnden echten Ringe und die solide
Saffianhandtasche mit Wohlgefallen musterte. Denn John Veltman
verstand sich auf so etwas. Sozusagen geschah das aus Berufs-
gründen. Es genügt, wenn man daran erinnert, daß er einst in
Steinbrüchen mit einer Kette am Fuß als Sträfling hatte arbeiten
müssen ...

Aber sonst sah man ihm diese Vergangenheit nicht an. Er machte
vielmehr einen wahrhaft biederen und bürgerlichen Eindruck.
Etwa wie ein solider kleiner Geschäftsmann, der sich nach einem
arbeitsreichen Leben in eine behagliche Ruhe zurückgezogen
hat. Davon sprachen schon die goldene Uhr und die Brieftasche,
die sich erfreulich in der Brusttasche wölbte.

Diese Brieftasche aber war gerade der Gegenstand der Unter-
haltung auf der einsamen Bank im Zentralpark, auf der sich John
mit seiner sommersprossigen Mary getroffen hatte.

„Liebe Mary", sagte John salbungsvoll, „Sie haben, wie ich aus
Ihrem Inserat und aus Ihren lieben Worten entnahm, ernste Ab-
sichten. Sie wollen natürlich einen Mann haben, der auch etwas
hinter sich gebracht hat. Nun will ich Ihnen beweisen, daß ich
auch der Richtige für Sie bin."

Er zückte die Brieftasche und klappte sie auf, wobei sich den
sanften und erfreuten Augen Marys eine Anzahl hochwertiger
Banknoten und einige gewichtige, mit vielen Stempeln und
Ziffern bedeckte Dokumente darboten. Das war das gesamte
Betriebskapital Johns. Die Dokumente waren allerdings nicht
einen Pfifferling wert, aber das brauchte Mary ja nicht zu wissen.
Die Banknoten, die Ersparnisse Johns, hingegen waren echt, sie
waren der Leim für so manches ahnungslose Vögelchen und
sollten sich auch jetzt wieder bewähren.

„Hier", sagte John feierlich und entblätterte eines der bunten
Dokumente, „hier habe ich einen Anteilschein an der Mine ,Holdes
Glück' — ein hochprozentiges Anlagepapier, mit dem man die
größten Gelder machen könnte, wenn man nur noch mehr Be-
triebskapital hätte —-"

Die holde Mary machte ein gieriges Gesicht.

„Was bringen sie denn, diese Anteile?" wollte sie von ihm
wissen, der sich schon als Sieger fühlte.

„Na, so kleine dreißig Prozent — ja, wenn ich eine treue Seele
hätte, die mir hülfe . .."

„Ich habe dreitausend Dollars gespart", murmelte Mary und
schmiegte sich enger an John, was diesen bewog, die Brieftasche
schleunigst einzustecken und seinen linken Arm vertraulich um
Marys Schultern zu legen. In Gedanken rieb er sich schon die
Hände. Na, das ging ja rasch. Wenn's bei der Lilly und der
Kate, der Gloria und der Daishy nun auch noch so schnell ging,
würde er sich tatsächlich bald zur Ruhe setzen können.
„Geliebtes Herz!" sagte er, „wenn du mir deine Ersparnisse an-
vertraust, dann können wir bald heiraten."

„Oh", machte Mary und kam noch näher, „liebst du mich auch?
Oh, sage es mir! Alles, was mein ist, ist auch dein."
Donnerwetter, dachte John, und drückte — die Sommersprossen
galant übersehend, einen Kuß auf ihren Muna.

„Morgen schon werden wir auch für dich Anteile kaufen",
flüsterte er innig, als wären es Liebesworte.

Mary fuhr mit einem Male aus seinen Armen hoch. John war
erstaunt. Nanu, doch nicht etwa irgendeine Komplikation?
„Morgen, morgen kommt Edgar", flüsterte Mary tragisch. Ihr war
gerade kein passenderer Name eingefallen.

„Edgar? Wer, zum Teu —-wer, Liebling, ist Edgar?"

„Ach, dein Nebenbuhler, John — ein Polizist."

„Hm — ein Polizist", knurrte John und empfand ein unheimliches
Gefühl.

„Ja, er ist — er ist Unterinspektor beim Dezernat für Heirats-
schwindel drüben in Jersey. Aber das soll uns nicht abhalten
Geliebter-"

John wurde immer unbehaglicher, er erhob sich.

„Ich glaube", sagte er mit Würde, „wir verschieben unsere Zu-
sammenkunft auf einen anderen Tag, bis — hm — bis du dir
klar über deine — hm — Gefühle und Möglichkeiten bist. Ich
werde mich dann wieder melden — am besten telephonisch."
Und er verabschiedete sich ziemlich hastig von der sehr still
gewordenen Mary. Als er den Ausgang des Parks erreichte, war
es ihm, als klänge ihm ein spöttisches Lachen nach.

Aber er achtete nicht darauf. Denn seine Gedanken waren sehr
damit beschäftigt, ob er heute abend noch Lilly, Gloria, Daishy
oder Kate erreichen konnte. Denn diese Niete mit der Sommer-
sprossigen mußte natürlich wettgemacht werden. Ein leibhaftiger
Detektiv-Unterinspektor im Dezernat für Heiratsschwindel und
Heiratsschwindler John Veltman als Nebenbuhler, das ging natür-
lich nicht. John tastete nach der Uhr. Er bekam einen Riesen-
schreck — die gut doppelkapselige Golduhr war weg. Er griff
zum Rock. Auch die Brieftasche mit den Ersparnissen und den
falschen Dokumenten fehlte. Die Brieftasche, in der zudem die
Liste der Bräute steckte!

John sah entsetzt vor sich hin. Am liebsten wäre er anklagend
zu dem Polizisten hinübergelaufen, der da langsam herankam.
Aber das ging ja leider nicht.

Ehrlicher Schmerz ruhte auf Johns Veltmans Gesicht.

„Oh, es gibt keine ehrlichen Menschen mehr", seufzte er vor
sich hin, „und das mit dem Polizisten war natürlich auch Schwin-
del. Sie wollte bloß der Szene ein Ende bereiten."

Aber das beruhigte ihn wieder einigermaßen.

Zur weiteren Beruhigung gedachte er einer Prise. Aber soviel
er auch suchte, die silberne Schnupftabakdose war auch weg.

AUS GALANTER ZEIT

Der Vorschlag

Zur Zeit Ludwigs des Vierzehnten unterhielten sich einmal zwei
Herzoginnen, die im Jardin du Luxemburg auf- und abspazierten:
„Hat der Kaplan heute nicht tief zu Herzen gehend gesprochen?"
„Ja, ich war auch ganz erschüttert."

„Wir müßten irgend etwas tun, liebe Freundin, um zu zeigen,
daß wir unsere Sünden bereuen."

„Gut, aber was?"

„Lassen wir unsere Dienerschaft fasten..."

Jedem hilft es nicht!

Als Ludwig der Vierzehnte schwer krank in Calais lag, rettete
ihn eine bestimmte Medizin. Als später Mazarin krank wurde,
gab man ihm dieselbe Arznei. Mazarin aber starb.

Ein geistreicher Mann sagte damals: „Gebenedeit sei diese

Arznei! Sie hat Frankreich zweimal gerettet!"

Die Zuckerzange

Der Herzog von Tailleyrand, der zu Beginn der Schreckensherr-
schaft der französischen Revolution ausgewandert war, kehrte zur
Zeit der Restauration wieder nach Paris zurück und sah zum
ersten Male in seinem Leben eine Zuckerzange, die ihm die
Hausfrau zum Kaffee reichte.

Der Fürst betrachtete das sonderbare Gerät mit großem Erstau-
nen, wandte es hin und her und sagte dann: „Besten Dank,
Madame, aber zu meiner Zeit nahmen wir den Zucker mit der
eigenen Hand."

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Herbert Steinmann: An die falsche geraten
[nicht signierter Beitrag]: Aus galanter Zeit
 
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