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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 42.1937, (Nr. 1-52)

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J

4 2. JAHRGANG

1 93 7 / N R. 1 8

neu

Als in der Zeit der Jahrhundertwende die „Jugend" gegründet
wurde, da verschrieben sich Gründer und Mitarbeiter einer
neuen Idee: die Zeitschrift sollte zu einem Organ der schöpfe-
rischen Kräfte Münchens werden. In ihr sollte gediegenes Kön-
nen und gesunder Wiiz sich aussprechen. Was jung war und
jung sich fühlte, das sollte in einer schon damals von Mächten
des Niedergangs bedrohten Zeit den Willen zum Leben und die
Lust am Leben zum Ausdruck bringen. Daß manchmal die Lebens-
freude eine tolle Kapriole schlug — was tat das? Wer von denen,
die mit frohem Herzen das Treiben dieser künstlerischen Jugend
verfolgten, kugelte nicht gerne einen Purzelbaum im Geiste mit?
Die „Jugend" erfüllte ihren Zweck! Sie verbreitete Jugend um
sich und noch heute erhellen sich die Augen der Älteren, wenn
sie von der alten „Jugend", vor allem von ihrer Glanzzeit sprechen.
Man unterhält sich noch über dieses und jenes besonders ge-
lungene Bild, die Meister hoher Zeichenkunst werden mit wahrer
Verehrung genannt und so mancher Witz aus nun schon leicht
vergilbten Blättern macht noch die Runde unter denen, die es
erlebt haben, als er in schwarzem Druck das Licht der Welt erblickte.
Ein junger Mann erzählte mir einmal vor etlichen Jahren folgen-
des: infolge widriger persönlicher Umstände war er entgegen
den üblichen Gepflogenheiten seines Alters für einige Zeit dem
Leben entfremdet worden. Er hatte sich scheu in sich zurück-
gezogen, war verdrießlich und unmutig geworden; zerfallen mit
sich und der Umwelt, hatte er jedes Verhältnis zu Wein, Weib
und Gesang, zu den Freuden des Daseins, verloren gehabt. Un-
wirsch hatte er gelegentlich bei einem Münchener Antiquar den
Probeband einer bebilderten Zeitschrift mitgenommen. In einer
trüben Stunde öffnete er — mehr mechanisch als bewußt — das
dicke Heft, sein Blick fiel auf eine Bildseite, die ihn mehr und
mehr anzog. Seine Augen sahen auf eine heitere Sommerland-
schaft, licht dehnte sich die nur leicht gekräuselte Fläche eines
Sees (der Würm- oder der Ammersee mochte den Künstler in-
spiriert haben), blau und weißgewölkt stand der hohe Himmel
darüber. Im Vordergründe aber, zwischen einigen Schilfgräsern,
zeigte sich die anmutvolle Gestalt einer jungen Frau in der
Pracht brauner geschmeidiger Glieder. Brauche ich noch zu
bemerken, daß der Zeitschriftprobeband, aus dem dieses Bild
mit der Wirkung einer Schicksale lösenden Fee unserem bedräng-
ten jungen Griesgram erschien, ein solcher der „Jugend" war?
Eine belebende Magie ging von dem Bilde auf den neue Hoff-

nungen schöpfenden Betrachter über. Es war, als ob das Sonnen-
licht, das in dem wiedergegebenen Aquarell eingefangen war,
bis in sein Herz hinein scheine. Obwohl des Stifts und des
Pinsels nicht sonderlich kundig, ging er im Zwange einer ihm
noch heute unerklärlichen Gewalt daran, das Bild zu kopieren.
Gleichsam als Ausdruck eines über den Mißmut gewonnenen
Sieges hängte er die Kopie an die Wand seiner Studentenbude.
Er sagte mir, daß er von dieser Stunde an, den Anfang der
Besserung seiner inneren und äußeren Zustände rechne.

Die „Jugend" begann ihren Siegeslauf in einer Zeit, welche der
Kunst, der Kultur und dem Geistesleben einen ganz neuen Auf-
schwung gebracht hat. Es war eine Zeit, die schonungslos Kritik
am Hergebrachten übte und sich schöpferisch mit der Überliefe-
rung auseinanderzusetzen versuchte. Wenn der neue Drang hin
und wieder ins Kraut schoß, so sorgten spätere schwere Zeiten
dafür daß solche Wassertriebe beschnitten wurden. In der
Malerei ging jene auch für die Kunst unserer Tage maßgeblich
gebliebene Auflichtung der Palette vor sich, der Erfindergeist
der Technik schritt mit Siebenmeilenstiefeln voran und jeder
philosophisch Denkende wetterte gegen abgestandene Begriffe,
schlug zornig los gegen die Spiegelfechtereien einer heuchle-
rischen Scheinmoral. Wahrlich — der Mensch jener Tage warf
wieder einmal eine zu eng und brüchig gewordene Haut von
sich — ein neuer Tag wollte anheben.

Die Frühe dieses Tags ward bald durch das Ungewitter des Welt-
kriegs verfinstert und die Auswirkungen dieses Ungewitters
gingen auf die Dauer leider auch an der „Jugend", die bis
dahin in echt vaterländischer Gesinnung beste deutsche Kunst
gepflogen hatte, nicht spurlos vorüber.

Heute, da die ärgsten Schäden des Weltenbrandes gemildert
sind, gemildert, ja weitgehend behoben in unserem neuen
Deutschland dank des opferwilligen Einsatzes des Führers und
seiner Getreuen, werden unter neuer Leitung auch die Schäden,
welche die „Jugend" befallen hatten, ausgemerzt.

Münchener Kunst und die „Jugend", das waren zwei Begriffe,
die fast schon einmal zu einer einzigen Vorstellung geworden
waren. Jetzt öffnet die „Jugend" ihre Seiten dem neuen Ge-
schehen in unserer Kunst. Jugendliches Wollen regt sich allent-
halben um uns — allem Jungen und jung Gebliebenen, sofern
es von deutschen Geistes Kampf und Macht zeugt, will die ver-
jüngte „Jugend" dienen!

Edgar Schindler

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