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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 42.1937, (Nr. 1-52)

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J

4 2. JAHRGANG

1 9 3 7 / N R. 2 1

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ana

orneras

Von Christoph Walter Drey

Die Musikschar des Linienbataillons gab in üblicher Weise in
der Calle Esmaralda eines ihrer Abendkonzerte. Die Einwohner
des Städtchens ergingen sich nach der sengenden Hitze des
Dezembertages unter den breitkronigen Palmen, welche die
herrliche Promenade einsäumten.

Die jungen Damen, mit dem elastischen Gange der Spanierinnen,
der graziösen und dabei imponierenden Haltung, befanden sich
zumeist in Begleitung ihrer recht oft zu unschöner Rundung
neigenden Mütter. Trugen diese eine große Würde zur Schau,
so sandten die Mädchen hinter den anmutig gehandhabten
Fächern aus glutvollen Augen Blicke zu den in Gruppen
spazierenden Herren hinüber.

Fast alle Offiziere des Bataillons befanden sich unter den Lust-
wandelnden. Die milde Abendluft mit dem Rauche der unver-
meidlichen selbstgefertigten Zigaretten vermengend, unterhiel-
ten sie sich über militärische Vorgänge. Vergeblich bemühte
sich der jugendliche Leutnant Oktavio Ternado das Gespräch
auf andere Dinge zu bringen. Er erschöpfte sich in witzigen Ein-
fällen über diese und jene vorübergehende Persönlichkeit.
Aber so bereitwillig die Kameraden sonst waren, auf etwaige
Scherze einzugehen, heute hatte man kaum ein kühles Lächeln
dafür. Es schien, als hätte man sich das Wort gegeben, Ternado
mit Zurückhaltung zu begegnen. Als man ihm aber immer weni-
ger Beachtung schenkte, nahm er, Ermüdung vorschützend,
allein auf einer Bank Platz.

„Ternado fühlt, daß etwas in der Luft liegt, was ihm verhängnis-
voll werden kann", bemerkte einer der Offiziere.

„Er ist zu morgen vor den Obersten befohlen worden, um sich
wegen der Maria Cornera zu rechtfertigen."

„Es wird ihm kaum etwas anderes übrig bleiben, als seinen Ab-
schied zu nehmen. Waren seine Beziehungen zu der schönen
Donna wirklich so intime, als er glauben zu machen sucht, so
hatte er als Mann von Ehre und Charakter darüber zu schweigen!"
„Umso mehr, als die Cornera wert ist, daß man über sie den
Mund hält!"

Unterdessen hatte sich zu Ternado eine Dame gesellt. Bald
waren die Beiden von zahlreichen Personen umgeben und auch
die Offiziere traten näher, um zu sehen, was vorging. Als das
Mädchen plötzlich vor ihm stand, wollte Ternado aufspringen,
aber es war etwas in ihrem Blick und im Ton ihrer Stimme, die
ihn aufforderte, sitzen zu bleiben, daß er unwillkürlich gehorchte.
„Nur einen Augenblick, Don Ternado!"

Der Angeredete suchte eine gleichgültige Miene anzunehmen.
„Kommen Sie zu mir oder ich komme zu Ihnen! Die Straße
scheint mir nicht der geeignete Ort für eine Unterredung!"

„O doch — — —" entgegnete das Mädchen ruhig. „Ich habe
die Promenade absichtlich gewählt, damit unsere Unterredung
vor möglichst vielen Zeugen stattfindet. Alle diese Leute
wissen, was über mich gesprochen wird — — —"

„Das ist nicht meine Schuld!" murrte Ternado.

„Nur Ihre, Senor, und Sie werden jetzt selbst erklären, daß es
Lügen sind, die Sie über mich verbreiteten!"

Ternado lachte höhnisch.

„Lügen? Sie rechnen darauf, daß ich Damen gern gefällig bin,
besonders Ihnen, Senorita; dennoch kann ich nicht Lüge
nennen, was Wahrheit ist."

Immer dichter wurde der Kreis, den die Menge um die Beiden
schloß und in aller Mienen lag gespannte Erwartung.

„Es sind Lügen!" wiederholte die junge Dame kalt.

„Wofür die Nadel spricht, die Sie in Ihrem schönen Haar tragen.
Sie ist mein Geschenk —" sagte Ternado.

„Ich leugne es nicht", antwortete das Mädchen. „Sie schenkten
sie mir. Es ist ein wertvolles Geschenk. Eine ausreichende Ver-
gütung, für das, was ich Ihnen gewährt haben soll."

Sie zog die Nadel aus den Locken und betrachtete sie sinnend.
„Sie ist aus reinem Golde und gewiß sehr, sehr teuer. Ich ge-
stehe, daß sie mir lieb war. Nun aber will ich sie Ihnen zurück-
geben. Ich gebe Ihnen Ihr Geschenk, Sie geben mir meine
Ehre wieder, Senor."

Ternado machte eine abwehrende Bewegung.

„Ich nehme nicht zurück, was ich geschenkt habe, ebenso wenig
kann ich wiedergeben, was man mir geschenkt hat!"

Er erhob sich.

„So sehr gegen alle Gesetze der Ritterlichkeit wagt Don
Ternado zu verstoßen, daß er die Unterhaltung mit einer Dame
abbricht?" Sie sah ihn verächtlich an. „Bueno, aber ehe Sie
gehen, noch ein paar Worte. Sie wollen mir nicht wiedergeben,
was Sie mir nahmen — meinen Ruf — meine Ehre! Trotzdem
sollen Sie Ihr Geschenk zurück haben!"

„Ich will es nicht — Sie sind wahnsinnig!" rief Ternado, während
die Menge lautlos verharrte.

„Beten Sie zu den Heiligen, daß Sie nicht wahnsinnig werden!"
Mit einem blitzschnellen Ruck flog die rechte Hand empor, die
die Nadel hielt, ein furchtbarer Aufschrei Ternados, der zurück-
taumelnd einigen Vigilanten, die herbeigeeilt waren, den Auf-
ruhr zu zerstreuen, in die Arme sank — ein blinkender Gegen-
stand saß im rechten Auge des jungen Offiziers und ein Blut-
strahl floß über das Gesicht auf die hellblaue Uniform nieder.

Mehrere Monate sind vergangen. In der Calle Esmeralda
herrscht das übliche Gewoge. Die Musik spielt ihre lustigen
spanischen Tänze und Märsche, hin und wieder auch eine
italienische Opernmelodie, ja, selbst Strauß'sche Walzer fehlen
nicht im Programm.

Das blutige Intermezzo zwischen Oktavio Ternado und der
schönen Maria Cornera ist fast vergessen. Die zartesten Ver-
hältnisse pflegen hier allzu häufig ein schreckenerregendes
Ende zu nehmen. Man fand es selbstverständlich, als bekannt
wurde, daß die junge Dame eines Tages oder richtiger eines
Nachts aus der Commissari verschwunden war, um, wie man
vermutete, sich zu Verwandten in eine Nachbarrepublik zu
begeben — ebenso selbstverständlich wie ihre Genugtuung
selbst.

In dem auf einer Anhöhe gelegenen Cafe Cuatro Naciones sitzt
Oktavio Ternado. Er ist in Zivilkleidung, denn schon im Hospital
hatte man ihm sein Entlassungsgesuch nahegelegt und, als er
dasselbe eingereicht, es bewilligt. Eine Binde verdeckt sein
rechtes Auge. Mit dem anderen starrt er hinab auf die Palmen-
allee. Eben ist die Sonne verschwunden und die Nacht bricht
jäh herein. Die Bogenlampen flammen auf — und ist es ihr
greller Schein oder eine schmerzliche Erinnerung — der junge

Mann fühlt wie seinen Blick ein feuchter Schleier trübt-

Er erhebt sich hastig. In einer Stunde fährt der Zug, der ihn
hinaustragen soll über die Landesgrenzen. Flieht er vor seiner
Beschämung? Warum hat er denn so mühsam das Mädchen aus-
gekundschaftet und in einem Brief sein Kommen angemeldet?
Er hat sich einmal in seinem Leben zu laut als Don Juan gebrüstet
und dafür nicht nur sein Auge, sondern auch sein Herz verloren!
Jetzt wird er dem Mädchen ihre Ehre — und seinen Namen
bringen und mit ihr ein neues Leben beginnen.

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Christoph Walter Drey: Die Rache Maria Corneras
 
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