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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 42.1937, (Nr. 1-52)

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J

4 2. JAHRGANG

1 93 7 / N R. 2 3

VON ODA SCHAEFER

Vor einigen Jahren verbrachte ich die Zeit vom Ende des
Winters bis zum Frühsommer in einem ländlichen, schlesischen
Gasthaus, einem Kretscham, wie es dort heißt. Das Gasthaus
lag am Rande des Waldes, vom Dorfe durch Wiesen und Felder
getrennt. Da sich im Dorf noch ein anderer Kretscham befand,
kamen hierher die Bauern nur des Sonntags zum Tanz, in der
Woche blieb alles leer und einsam.

Eines Tages, die Luft schwebte blau und leicht wie im Sommer,
saßen Gäste unten in der Stube. Die Tochter des Wirts bediente
hinter der Theke, sie schenkte Bier aus und goß Korn in die
Feldflaschen, die ihr die Leute hinreichten. Sie kannte sie alle
mit Namen und lachte mit ihnen, es waren Holzfäller, arme
Häusler aus dem Dorf. In der Stube roch es scharf nach dem
Ziegenkäse, den sie mit dem Taschenmesser in Würfel schnitten,
und nach billigem Tabak, dessen beizender Rauch ihre Kleider
verwittert zu haben schien. Einer von ihnen war sehr alt, Haut
und Kleidung hatten die graubraune Farbe und die tiefen Falten
der Baumrinde angenommen, nur der Bart und das wenige
Kopfhaar flammten jung und rot wie ein Kainszeichen.

Die anderen ließen ihm keine Ruhe, sie stießen ihn an und in
ihrem Spott klang die Rohheit derer, die Rache nehmen wollen.
Rache an jemand, den sie bisher gefürchtet hatten. Dann
brachen sie auf, draußen schnauften die klobigen Pferde und
klirrten mit den Ketten. Ich fragte die Wirtstochter nach dem
Mann. Es sei der Krusch-Hermann, sagte sie, der schlechteste
Mensch aus dem Dorf, er ginge nie in die Kirche und zum
Abendmahl und habe sein Lebenlang soviel Schnaps gesoffen,
daß er sich mittags im Walde die Fliegenpilze koche und esse,

ohne sich zu vergiften. Aber in diesem Frühjahr sei er ganz
verändert, alle hätten ihren Spaß daran, oft weine er und sage,
er müsse sterben. Ja, ja, wenn ein böser Mensch plötzlich gut
wird, dann ist der Tod nicht mehr weit-

Am Nachmittag sah ich Krusch allein zurückkommen. Seine
linke Hand steckte in einem Verband, einem blutgetränkten,
schmutzigen Taschentuch. Zeigefinger und Mittelfinger fehlten
ihm wie den meisten Holzfällern, jetzt hatte er sich den Daumen
abgehauen. Er setzte sich auf die Stufen vor der Tür und ver-
langte einen Schnaps, seine Augen waren trübe und sein Blick
verwirrt, er atmete schwer. Aus dem Gasthausgarten kam der
Spitz gelaufen, er blieb vor dem Zaun stehen und wedelte. Da
zuckte es widerlich und böse über das Gesicht des Alten, er
griff einen Stein und warf ihn nach dem Hunde, wie er es
früher immer getan hatte. Der Hund kläffte und sprang zur Seite,
doch plötzlich liefen dem Alten die Tränen aus den Augen und
er rief jammernd den Hund zu sich. Ich sah, wie das Tier nun
wirklich erschrak und in einer Staubwolke davon rannte, wie
Krusch sich weinend erheben wollte und wieder auf die Stufen
fiel. Wir halfen ihm und brachten ihn in das Haus, dort legten
wir ihn auf ein Sofa. Er ist nicht mehr aufgestanden.

Später am Tage ging ich in den Wald, die Fäller schlugen einige
markierte Bäume, ihre Stimmen schallten kräftig, einige sangen,
aber nur ein einziger fragte nach Krusch. Die toten, abgestor-
benen Zweige der fallenden Stämme sanken rauschend in das
sprießende Unterholz, die Sonne stand schräg und golden hinter
dem zarten Grün des ersten Laubes.

STUNDEN BEI NACHT

Die Winde singen eine sanfte Weise

Durch Busch und Wald. Die Welt ist scheu und still.

Der Mond, der durch die hohen Bäume will,

Wirft auf den Waldweg silberweiße Kreise
In allen Blättern rauscht es weit und tief.

Mein Blut, das immer mit den Winden lief
Rauscht ruhlos mit durch all' der Stunden Reise.

Wilhelm Edward Gierke

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Oda Schaefer: Das Böse und das Gute
Wilhelm Edward Gierke: Stunden bei Nacht
 
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