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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 42.1937, (Nr. 1-52)

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https://doi.org/10.11588/diglit.6784#0418
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J

4 2. JAHRGANG

1 9 3 7 / N R. 2 7

FEIERABEND

Über einem mecklenburgischen Sommerabend hing die helle,
niederdeutsche Dämmerung. Auf dem Gutshof gingen noch
einige Knechte mit Futter und Geräten, sonst war von allem
schon der lange Tag froh und müde abgefallen. Aus der offenen
Türe des Pferdestalles schlug der Geruch von frischem Klee.
Ketten klirrten leise. Über der satten, farbenstarken Ebene wuchs
mählich die Nacht mit ganz hellen und fernen Sternen. Auf der
Bank vor dem Gebäude, das die Schlafkammern für Melker und
Erntehelfer enthielt, blieb einer von den jungen Arbeitern zurück.
Er sah eine Weile über den nun ganz still gewordenen Hof hin,
glitt mit dem Blick über die tiefen Dächer und die großen
Kastanienbäume, um ihn dann schließlich über den Äckern, die
ein schwarzes, breites Band von Wäldern begrenzte, ruhen zu
lassen. Wie versponnen in ein inneres Bild hob er dann die
Mundharmonika an die Lippen und begann leise zu spielen. Sehr
verloren sickerte der Klang in die abendliche Ruhe, warm und
wesenhaft den in sich beschlossenen Umkreis verbindend. —
Vielleicht hatten alle Dinge selbst oder die leisen, verwund-
baren Dinge hinter diesen sichtbar bestehenden immer auf eine
Feierlichkeit gewartet, die sie überkommen sollte wie diese,
wie ein herbes und zugleich süßes Verklären. Vielleicht schüt-
telten sie erwachend mit noch geschlossenen Augen abgrün-
digen Traum ab, sich in das unbefangenere Leben zu tasten, das

nun wie fernher an sie rührte? Es war wie ein Innehalten in den
Bäumen, wie ein jähes, hinhorchendes Verwundern und Bich-
Offnen. Und die Blätter standen ganz still, ein jedes von ihnen
in alleiniger, seltsam gebreiteter Lebendigkeit. —

Der Junge war mitten in den vollen weißen Schein eines klaren
Mondes getreten und schien so sehr schmal und fast wie hin-
eingeschleudert in das starke Leuchten, das über den Hof hin-
strömte. Er stand, den Kopf im Nacken, die Augen weit und hell
geöffnet und spielte so geradewegs in den Himmel hinein. —
Durch die fahlrote Farbe der Mauern ging es wie heimlich
Wärmendes, Innerliches. Sehnte sich auch das Kälteste darnach
in diesen einfachen, hinwaltenden Zauber einzutauchen? Zag,
wie behutsamste Flügel sich lösen, breitete Unhörbares sich
aus ... Es rann von den Dachrinnen wie silberner Glast und es
strich über die Klinken und eisernen Beschläge der Türen und
Tore, sacht und verwandelnd. — Helle Nacht und ein Lied...
nicht mehr als dies. — Als der singende Ton verstummte,
schlossen sich im Wohnhaus leise ein paar Fenster und vor den
Katen trennten sich still die jungen Leute. Die Nacht verharrte
noch einen Herzschlag lang in ihrer Verwunschenheit, dann sank
sie zurück in sich, blau und schwer. Nur in unzähligen Sternen
zitterte noch und verhauchte fern lebendige Stunde.

Lore G ö b I

Gutshof W. Diernhöfer

418
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Lore Göbl: Feierabend
Willi Diernhöfer: Gutshof
 
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