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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 42.1937, (Nr. 1-52)

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JUGENq

V> o n M i ch a e l Erdödy

(Einzig autorisierte Übersetzung aus dem Ungarischen von


lemer von Boltor, ein steinreicher
Junggeselle, lebte nur für die Astronomie.
Alles andere interessierte ihn nicht. Da
er die ganze flacht hindurch mit seinem
Fernrohr die Milchstraße beobachtet hatte,
war er sehr spät aufgestanden. Er klin-
gelte um seinen Diener.

„was für einen Brief haben Sie mir
da auf den Tisch gelegte" fragte er noch
verschlafen.

„Er ist mit der Frühpost eingelangt."

Auf dem Umschlag stand als Absender
der Name einer Frau: Marion Vary,
Erzsebethstraße 175. lV/§.

„wer ist diese Frau?" fragte Boltor.

Der Diener zuckte die Achsel und ent-
gegnete: „Ich kenne sie nicht."

„Dann schicken Sie den Brief uneröff-
net an die Aufgeberin zurück... Ich liebe
solche Belästigungen von unbekannten
Frauen nicht... Übrigens, Sie können
gehen ..."

Elemer riß den Briefumschlag auf und
las:

„Geehrter Herr:

Ich finde in der Eile keine richtigen
Worte, um meiner Entrüstung über Ihr
unritterliches Vorgehen entsprechend Aus-
druck zu verleihen. Sie halten sich für
einen Gentleman. Nun, auch ich bin eine
vornehme Dame, mit der man nicht auf
der Straße Bekanntschaft schließen kann.
Sie schreiben mir, daß Sie mir in Ihrem
Auto durch die Erzsebethstraße folgten,
vor dem Tor meines Wohnhauses stehen
blieben und gewartet hatten, ob ich noch-
mals zurückblicken werde? Nein, mein
Herr, da haben Sie stch geirrt! Ich erin-
nere mich gar nicht an Sie, da ich zudring-
liche Männer immer mit Verachtung
strafe. Es war meine Pflicht, Ihren Brief
zu beantworten, damit Sie mein Schwei-
gen nicht etwa fälschlich auslegen lind sich

zu weiteren Kühnheiten vermessen. Ich
hoffe, mit Ihnen hiermit endgültig ab-
gerechnet zu haben.

Marion Vary."

„Sonderbar?" überlegte Boltor, „wirk-
lich sonderbar, wenn ich nur wüßte, wer
jener Schuft war, der meinen Flamen miß-
braucht hat?"

*

„Sehr geehrtes Fraulein!

Ich halte es für meine Pflicht, zu erklä-
ren, daß ich nicht identisch bin mit jenem
Mann, der Ihnen im Auto durch die Erz-
sebethstraße folgte und Ihnen den Brief
schrieb. Von letzterer Tatsache können Sie
sich auch gleich durch meine Schrift über-
zeugen. Ich war stets Gegner von Stra-
ßenbekanntschaften. Die Wissenschaft und
mein Taktgefühl haben mich davon immer
abgehalten. Jemand hat meinen Namen
mißbraucht, und ich kann nichts anderes
tun, als Sie über den Sachverhalt auf-
klaren. Ihr unbekannter Verehrer

Elemer v. Boltor."

Dieses Schreiben übergab er seinem
Diener.

„Tragen Sie diesen Brief zu Fraulein
Marion Vary, Erzsebethstraße Nr. 17?,
4 Stock, Tür §, und übergeben Sie ihn,
wenn möglich, persönlich."

*

Der Diener lautete in der Erzsebeth-
straße an, wo ihm ein schmuckes Stuben-

Maurus Mezei)

Mädchen öffnete. Er händigte diesem die
Visitenkarte seines Herrn ein, die er vor-
sorglich zu sich gesteckt hatte.

Das Mädchen verschwand im Zimmer.
Sie kam rasch wieder zurück.

„Bitte weiterzukommen ..."

Er trat ins Zimmer. Eine ältere Dame
begrüßte ihn freundlich und lud ihn ein,
Platz zu nehmen.

„Danke", stammelte der Diener. „Ich
glaube aber, hier dürfte ein Irrtum vor-
liegen ..."

„Ein Irtum? wieso?" fragte die Dame,
den Mund verziehend.

„weil Sie mich sicherlich für Herrn
Elemer von Boltor halten, während ich
bloß sein Diener bin. Ich habe einen
Brief meines Herrn an das Fraulein
Marion Vary zu bestellen."

Die Dame kam nicht in Verlegenheit:

„Das dachte ich mir sofort, daß Sie nur
ein Diener sein können, übrigens bin auch
ich nicht jene Dame, für die Sie mich zu
halten scheinen. Fräulein Vary ist im
Ministerium beschäftigt und kommt erg
am Nachmittag nach Hause. Ich bin ihre
Guartiersfrau ..." Und kühl fügte pe hin-
zu: „Bitte um den Brief, ich werde ihn
dem Fräulein übergeben."

Boltor erwartete schon ungeduldig jei-
neu Diener.

„Nun? was gibt es?"

„Das Fräulein war leider nicht daheim.
Ich habe den Brief ihrer Guartiersfrau
übergeben."

„Mit einem Wort, sie wohnt in Unter
miete?"

„Ia. Das Fräulein ist nämlich Sekre-
tärin im Unterrichtsministerium."

„woher wissen Sie das?"

„Die Guartiersfrau hat es mir vena
ten. Sie bat mir auch ein Lichtbild der
jungen Dame gezeigt."

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Ros.: Vignette
Michael Erdödi (Erdödy): Marion ist schlau
 
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