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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 42.1937, (Nr. 1-52)

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Nr. 50
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—j »l '**»'3'—

F i e b i g e r

A.: „Wenn man dich sieht, liest du Heiratsanzeigen — und bist doch verheiratet.“
ß: ..Ich weiß gar nicht, was du willst — man muß doch ein bisserl für die Zukunft

sorgen,

hilft 's für die schlechte Laune. Und er
goß sich den Inhalt des Glases hinter die
Binde.

„Zigarette-", fragte der Chinese weiter.

Tommy nahm auch die. war eine be-
sondere Marke: in Weizenpapier gedreht.
Feines Rraut. Unbedingt will er was voll
dir, argumentierte Tommy weiter, denn
ein THinamann ist nicht umsonst freigebig.
Und richtig. Der plappert weiter: „No
job — nix Arbeit, oh, Jack?"

Tommy nickte.

„Aber ich Hab Geschäft für dich. Groß
Geschäft. So —." Der Chinese streckte
seine Hände zu einer umfassenden Gebärde.

„AHa", sagte Tommy, „hast wohl einen
Ramschladen-"

„No, ander Geschäft, will dir sagen.
Du kennst die National-Bank — hoh
Building, do you-"

„Natürlich kenne ich den 'Rasten. Drei-
hundert Fuß, schätze ich."

„Right! Sehr gut. Steig du morgen
hinauf und du bekommst tausend Dollar."

Tommy lachte bei diesem Angebot.
„Tausend Dollar in Blüten, was! Ich kenn
euch Halunken doch. Nee, das macht
Tommy nicht!"

„Reine Fakes, nix Blüten, Jack. Richtig
money. Hier sind sie." Und der China-
mann zahlte zehn echte und rechte Hundert-
Dollar-Scheine auf die Theke. „Rannst
Geld sofort haben. Nix Bluff. Alles
korrekt. Na, willst du steigen-"

Die Sache war jetzt anders für Tommy.
Für tausend Dollar hatte er noch ganz was
anderes gemacht. So sagte er denn zu.
„Und wann soll das fein-", fragte er noch.

„Zwischen elf und zwölf Uhr vormit-
tags. Du mußt etwas Runststück machen.
\>iel Leute sollen sehen, sehr viel."

„Ist gemacht! Ich stelle mich sogar dort
droben auf den Ropf. Das genügt wohl."

„V>cry fine! Mußt aber nicht fallen,
Jack. Und jetzt noch einen Drink, ja-"
Tommy hatte nichts dagegen, und so war
das Geschäft abgemacht.

%m nächsten Vormittag hatte Tommy
noch eine kleine Aussprache mit einem
Direktor der National-Bank. Für ganze
fünfzig Dollar würde er am Haus hoch-
klettern, ob man ihm die bezahlen würde.
Ware doch eine feine Sensation und wieder
mal eine Reklame. Natürlich sagte der
Direktor ja. Tommy bekam seine fünfzig
Dollar lind begann seine Rletterei.

Als er am zehnten Stockwerk herum-
turnte, stauten sich die Menschen in der
Straße, als er das Dach erreichte, konnte
kein Stein mehr zu Boden fallen. Ein
großes Polizeiaufgebot war erschienen, um

die Massen in Ordnung 311 bringen. Als
dann Tommy tatsächlich auf dem Flaggen-
mast in der schwindelnden Höhe seinen ver-
sprochenen Ropfstand ausführte, raste der
Beifall aus der Menge, Zehntausende von
Augenpaaren blickten nach oben zu dem
kühnen Turner.

Die Sache war ein Riesenerfolg gewe-
sen — man konnte es eine Stunde, nach-
dem Tommy wieder auf der Erde wan-
delte, in den Extraausgaben der Blatter
lesen. Nicht weniger als zro neugierigen
Zuschauern waren die Brieftaschen lind
Geldbörsen gestohlen worden. Die Ernte
der Taschendiebe wurde auf ungefähr zehn-
tallsend Dollar geschätzt.

Tommy las die Neuigkeit und wußte
Bescheid. Er war also nur das Mittel
zum Zweck gewesen fiir eine Taschendieb-
organisation. Die hatten ja ein feines Ge-
schäft gemacht — neuntausend Dollar in
einer knappen Halben Stunde!

Aber Tommy war doch der Dumme. Als

er gerade überlegte, wie er sich nach seiner
Anstrengung einen feinen Tag machen
könnte, kam der wagen eines Uberfall-
kommandos die Straße herabgesaust, hielt
lleben ihm am Straßenbord und Heraus
stürzten die Polizisten, packten den erstaun-
teil Tommy, ulld ab ging 's zur Polizei-
station. Für dell Schnellrichter lag der
Fall einfach. Er, Tommy, wurde der Bei-
hilfe an der Taschendieb-Großaktion an-
geklagt. Er Hatte durch seine Runststück-
chen das Publikum abgelenkt, um seinen
Spießgesellen leichtes Arbeiten zll ermög-
lichen. Dafür gibt 's ein Jahr. Ab der
Mann!

Die tausend Dollar wareil wohl ein
Heilpflaster für Tommy, aber sein Haß
stieg wahrend seines einsamen Jahres ilis
Ungemessene, und der vornehme China-
mann mit den Weizenpapierzigaretten tat
weise, einer Begegnung mit dem Steeple-
Iack Tommy in Zukunft aus dem Wege
zu gehen.

1937 JUGEND Nr. 50 / 14. Dezember 1937 Einzelpreis 60 Pfennig

Verantwortlich für die Schriftleitung: Fritz Maier-Hartmann, München; für Anzeigen: Karl Schilling, München Verlag: Karl Schilling- Verlag,
München, Kanalstraße 8, Tel. 27682 Druck: Graph. Kunstanstalt W. Schütz, München, Herrnstr. 8—10, Tel. 20763 Für Herausgabe und Schriftleitung in
Österreich verantwortlich: Dr. Emmerich Morawa i. Fa. Morawa & Co., Wien 1, Wollzeile 11 Alle Rechte Vorbehalten Nachdruck strengstens ver-
boten Copyright by Karl Schilling- Verlag, München DA. 1. Vj. 37: 4700. Prl. Nr. 3 Manuskripte sind nur an die Schriftleitung der ,,JUGEND ,
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