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Arndspitze B. Sylvester Schmitz

Die Magd Maria gewinnt den Preis

Von Charles Dickens
Deutsch von Renate-Lerbs-Lienau

n den Zeiten, wenn mich das römische
Sumpsfieber gepackt hatte, konnten mir
weder Chinin noch Brunnenkuren wie-
der so rasch auf die Beine Helsen wie die
kleinen einprägsamen Geschichten, die mein
Doktor sozusagen aus seinen Rocktaschen
zu zaubern verstand. Eine seiner besten
berichtete vom Schicksal einer Dienstmagd.

Maria, die Heldin, war die Tochter
eines Bauern; in jungen Jahren wurde sie
Dienstmagd bei dem Bildhauer pulci in
Rom, der ein gesetzter, ernsthafter Mann
war; sobald er Maria in ihren Pflichten-
kreis eingeführt hatte, wandte er sich wie-
der ganz seiner Arbeit zu und überließ ihr
den kleinen Haushalt zur völlig selb-
ständigen Verfügung. Ihr anmutvolles,
stilles Wesen gewann ihr bald die Kerzen
all der Künstler, die in pulcis Atelier ein
und aus gingen; ja, einer von ihnen,
Savorini, der Bilderstecher, verliebte sich
sogar auf den ersten Blick Ln sie und
machte ihr einen Heiratsantrag; da gab sie
ihm, durchaus unerschüttert von seinem
werben, zur Antwort, sie habe sich Signor

Pulci auf drei Jahre verpflichtet und
denke gar nicht daran, diese Vereinbarung
zu brechen. „Es wird sich schon ein Ersatz
finden", meinte Savorini beharrlich; „G
nein", sagte sie, „ersetzt kann ich nicht
werden"; er taufte sie daraufhin proser-
pina, die Stolze, und ließ es damit für 's
Erste gut sein.

Meister pulci gehörte gewiß nicht zu
den überragenden Künstlern im Rom seiner
Zeit, — aber sein Ansehen ging immerhin
so weit, daß er über Verbindungen mit
den meisten gefeierten Künstlern verfügte,
die ihn oftmals in seinem Atelier aufsuch-
ten. Maria, die zuweilen aus diesem oder
jenem Grunde hereingerufen wurde, zog
die erregten Auseinandersetzungen, die sich
da um das Genie und seinen weltumgrei-
fenden Ruhm entspannen, gierig Ln sich
auf; und von Anfang an, da sie von sol-
chen Dingen zum ersten Male sprechen
hörte, begann sie eine unbezwingbare
Sehnsucht nach irdischer Unsterblichkeit in
sich zu spüren; vorläufig aber waren das
nur unklare Gefühle, die in ihr gärten,

und ehe sie sich zu ausgeprägteren Formen
entwickelten, verstrich ein volles Jahr.

Eines Tages hatte pulci ein paar seiner
Freunde zum Essen gebeten, unter denen
auch Savorini sich einfand. Man aß im
Atelier, und alsbald drehte sich das Ge-
spräch, wie gewöhnlich, um Kunst. Da
ließ nun jeder von ihnen auf seine Art
seiner Begeisterung ungehemmten Lauf;
Savorini, dessen Empfinden für Maria —
wenn auch in geziemend zurückhaltender
weise — dieselben geblieben waren, und
der vielleicht hoffte, sie mit seinen Reden
blenden zu können, — Savorini also ließ
sich zu ganz gewaltigen Übertreibungen
Hinreißen, besonders, als er auf die Be-
deutsamkeit und die Vorrechte des Künst-
lerberufes, dem sie in diesem Kreise alle
angehörten, zu sprechen kam; (Marias
Gegenwart feuerte ihn dazu an; denn
während seines Wortschwalles machte sie
sich unauffällig und dabei mit respektvoller
Aufmerksamkeit dem Gespräch lauschend
hier und da im Atelier zu schaffen.) Kai-
sern und Königen, ja selbst dem Papst —

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Bernhard Sylvester Schmitz: Arndspitze
Charles Dickens: Die Magd Maria gewinnt den Preis
 
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