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„Also darf ich vorstellen: mein Freund Burckhard, Architekt; mein
Name ist Seidl, Florian Seidl, der Zunft nach Bildhauer."

„Und wir sind auö Niedersachsen, Juristin, Philologin."

„Es ist hier herrlich", lachte Barbara Bürkner, die Philologin,
übermütig zurück.

Der Bildhauer horchte auf, seltsam berührt vom Klang dieser
Stimme. Langsam wich die Fröhlichkeit aus seinen Zügen, und seine
Augen bekamen einen dunklen Schimmer, als suchten sie in der Ferne
nach etwas Neuem, Verheißungsvollem, ein Geschehen, wie es sich
abspielt auf einer Seinsebene, in der wir immer nur für kurze Zeit
verharren; dann senkt sich schnell der Vorhang, und unzugänglich bleibt,
was jenseits liegt.

„So, es gefällt Ihnen gut hier unten?" nahm der Bildhauer daö
Gespräch wieder auf. „Unsereins kann ohne das Münchner Pflaster
überhaupt nicht leben."

„Ja, hier ist alles viel sonniger und heiterer", stimmte Barbara
ihm lebhaft zu, „selbst die schmerzverzerrten Gestalten der Gotik sind
friedlicher und verklärter. Ich denke, man lebt bei Ihnen leichter und
fröhlicher als bei uns."

„In München geht einem erst das Herz auf für die deutsche Kunst",
bestätigte auch Burckhard begeistert.

„Haben Sie schon die diesjährige Ausstellung im Glaspalast be-
sucht?" wandte sich Seidl, nachdem er seinen Krug geleert batte, aufs
neue an die beiden Studentinnen. Und als sie verneinten, fuhr er
lebhaft fort: „Es sind ein paar gute alte Meister da neben modernem
Unsinn wie Pechstein, Picasso, Kandinsky und Marc Chagall, die hier
zu München passen wie der Igel zum — — —

„Die Tierplastiken von Behn", fiel ihm sein Freund mit Heftigkeit
ins Wort, „müssen Sie sich ansehen! Und Kolbe und Barlach sind
gut vertreten."

„Ich würde Sie gerne mal durch die Schau führen", fügte der
Münchner zögernd hinzu und sah Barbara dabei nachdenklich an, als
überlegte er, ob er dieses Mädchen Wiedersehen möchte oder seine Hand
lieber von ihr lassen sollte, so fern und fremdartig war sie in diesem
Raum. Und gleichsam, als wollte er Zustimmung oder Ablehnung
noch hinausschieben, erzählte er rasch weiter von Bekannten, die an
der Ausstellung im Glaspalast beteiligt wären.

„Und womit sind Sie vertreten?" nahm nun auch Gertrud SieverS,
die Juristin, an der Unterhaltung mit jenem „ungewöhnlichen" jungen
Mann teil, der ihr ob seiner Derbheit einige Bedenken einflößte. Aber
sie bereute es gleich wieder, denn er entgegnete barsch, fast, als sei er
beleidigt:

„Ich stelle meine Arbeiten überhaupt nicht aus!" Etwas Gereiztes
lag in seiner Stimme. Dabei war die Frage doch ganz höflich und
harmlos gestellt gewesen. Alle blickten erstaunt auf ihn, Gertrud mit
hochrotem Kopf, eine Falte über der geraden Nase. „Was bat das
ganze Sich-Produzieren für einen Sinn! Kost' nur Geld! Und wer
sieht sich das schon an?" fuhr Florian Seidl zornig fort. „Die blöden
Asphaltaffen! Womöglich noch ihre schwülstige Kritik anhören! Oder
ihre ellenlangen Abhandlungen zum ,Verständnis' eines Kunstwerkes
lesen! — — Wenn ich etwas schaffe", und dabei schlug er mit der
Faust auf den Tisch, „soll es so stehen, daß jedermann aus dem Volk
es sehen kann! Meine Sachen sind so einfach, daß sie jeder versteht.
Und ich will auch nur für den schaffen, der empfindet wie ich. Für
den Bauern, für den Arbeiter,» der unverbildet an ein Kunstwerk beran-
gebt! Ist das klar? Die andern scheren mich einen großen Dreck!"

Die Umsitzenden wurden aufmerksam und spitzten die Ohren. Burck-
hard war sichtlich peinlich berührt. Barbara schaute in ihren Maßkrug,
dessen Inhalt gar nicht zur Neige gehen wollte, und biß sich auf die
Lippen, um nicht laut aufzulachen. Der Bayer gefiel ihr: die Schale
war zwar rauh, aber der Kern schien gut zu sein. Dann wagte sie
einen Blick auf Gertrud. Natürlich, das Gesicht der Freundin war
zur Maske erstarrt; die bequemste Art des Gesellschaftsmenschen, Pro-
blemen aus dem Wege zu gehen.

„Wir müssen allmählich wohl aufbrechen", flüsterte Gertrud ihr zu
und streifte die langen Lederhandschuhe über. Barbara zögerte und
horchte wieder auf, als Florian Seidl fortfuhr:

„Auf dem Markt, auf den Plätzen, in der Kirche will ich meine

Sachen sehen. Einen Zweck müssen sie erfüllen. Darauf kommt es
an! Das ist mir am liebsten!"

Einer plötzlichen Eingebung folgend, reichte Barbara ihm die Hand
über den Tisch und sagte zu Gertruds namenlosem Erstaunen mit fester
Stimme:

„Wenn Ihnen die Zeit recht ist, Herr Seidl, so treffen wir uns
am Mittwoch gegen drei Uhr vor dem Glaspalast."

Florian stimmte erfreut und lebhaft zu.

*

„Wie konntest du?" machte Gertrud ihrem Herzen Luft, als sie in
die Maximilianstraße einbogen. Wie bittend schob sie ihren Arm
unter den Barbaras: „Diese Verabredung war doch nicht dein Ernst?
Ein unmöglicher Mensch!"

„Liebes Kind", entgegnete Barbara ein wenig von oben herab,
„dann gehe ich eben allein hin."

„Das wird ihm auch entschieden angenehmer sein. Mir gegenüber
war die Einladung ja doch nur eine Höflichkeitsphrase — — Gott sei
Dank", versetzte Gertrud spitz.

Barbara blieb unnahbar: „Ich denke, Höflichkeit sprichst du ihm ab?"

Auf diesen Gegenhieb folgte Schweigen.

„Schau, sie spielen wieder den ,Hexer ", lenkte Gertrud ein, „wollen
wir uns das Stück dieser Tage nicht auch mal ansehen?"

Sie blieben vor dem Spielplan am Schauspielhaus stehen und
überlegten.

-i-

Der Mittwoch war ein für die Jahreszeit ungewöhnlich warmer
Tag. Um die angegebene Stunde ging Florian Seidl in der Sophien-
straße vor dem Glaspalast auf und ab und schaute unruhig nach
Barbara auö.

Er war wie immer nachlässig gekleidet. Der braun- und schwarz-
gestreifte Anzug sah abgetragen auö. Die Krawatte vor dem weichen
Kragen war ohne Sorgfalt gebunden. Der flache grüne Velourhut
saß ein wenig schief und war aus der Stirn geschoben. Die Hände
steckten in den Hosentaschen.

Diese Art, sich zu tragen und zu geben, entsprang innerster Über-
zeugung; denn er schätzte seine Person und sein Können so hoch ein,
daß er den Mitmenschen gegenüber keine Verpflichtungen in bezug auf
Kleidung und Lebensform für nötig hielt. Gang und Haltung offen-
barten größte Eigenwilligkeit. Seine ruckweisen Bewegungen batten
durchaus nichts mit einem kleinbürgerlichen Geltungsbedürfnis zu tun.
Davon war er im Gegenteil gänzlich frei. Es bandelte sich vielmehr
um eine ständige Kampfbereitschaft, seine Lebensart, seine geistige Hal-
tung, seine Umgangsformen, vor allem aber sein Können den anderen
Menschen gegenüber zu verteidigen, bei denen er oft mehr Falschheit
unb Berechnung witterte, als beim einzelnen vielleicht der Fall war;
instinktmäßig drängte es ihn daher in Gesellschaft, sich zu behaupten,
auch dort, wo der andere ihm völlig harmlos gegenübertrat.

Die ersten Besucher stiegen bereits die Treppen zum Glaöpalast hin-
auf, als Barbara die Arcisstraße daherkam. Florian erkannte sie erst,
als sie auf ihn zuschritt und ihm die Hand zum Gruß bot. Mit unver-
hohlener Bewunderung ließ er seinen Blick über ihre anmutige Er-
scheinung gleiten. Ein Stückchen Wärme und Lieblichkeit des Som-
mers war in dem cremefarbenen Kleid eingefangen, das Barbara heute
trug. Obschon eö ihm außergewöhnlich schien und nicht in Einklang
mit der Mode stand, fand er die persönliche Note doch anerkennens-
wert. Es gehörte entschieden Mut dazu, in der Zeit der Gar^onne sich
so zu kleiden: Falbeln am Halsausschnitt, Falbeln am Rockrand. Dazu
ein großrandiger Strohhut in der Zeit der unschönen ToqueS.

„Grüß Gott, Fräulein Bürkner! Ja, dös iS a Freid, daß Sie
wirklich 'kommen sind!" Florian schüttelte Barbara herzlich-zutraulich
die Hand.

„Ich freue mich auch darauf, mit Ihnen durch die Ausstellung zu
gehen." In Barbaras Stimme lag wieder jener warme, weiche Klang,
den er nicht vergessen hatte seit der ersten Begegnung.

Barbara war zuerst ein wenig befangen. War diese Verabredung
nicht doch ein wenig überstürzt? Aber bald verflog ihre Scheu. Vör-
den Plastiken und Bildern wurde sie lebhaft. Ihre Kenntnisse gaben
ihr Sicherheit. Florian freute sich über ihr treffendes Urteil.

(Fortsetzung folgte

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