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BLEU

X> o n a n $ H e r m s

ach dem Abendbrot lesen Lehmanns
gewöhnlich die Zeitung, ^err Lehmann
sitzt dann in seinem bequemen Lehnstuhl,
den ihm die Gattin zu Weihnachten ge-
schenkt; Frau Lehmann aber thront auf
dem Sofa und hat die Breitseite des
Tisches ganz für sich.

So auch heute, Herr Lehmann liest den
politischen Teil, Frau Lehmann den loka-
len und die Anzeigen. Spater wechseln sie.

„Leopold, am Donnerstag singt Schlus-
nus —. wollen wir nicht mal hingehn;"

„Ich denke, am Donnerstag sind wir zu
Schulzens eingeladen;"

„Ach ja. Du, das hatt' ich bald ver-
gessen." Und nach einer weile seufzend:
„Ach Gott, was ziel)' ich da bloß wieder
an;"

Herr Lehmann halt es für angebracht,
in dieser hochnotpeinlichen Angelegenheit
einstweilen 311 schweigen.

„Leopold, sag mal, was meinst du;"

„Tja, was soll denn ich dazu sagen;"

„konntest mir wenigstens mal 'nen Rat
geben."

„Dann zieh doch das Rote an."

„Du willst sagen, Rosa."

„Ist Rosa nicht etwa auch Rot;"

„Nein, ich kann nicht bei jeder Gelegen-
heit das alte Ding tragen."

„So alt ist doch das nicht."

„Aber ich Hab 's schon ein paarmal bei
Schulzens angehabt."

dann meinetwegen das Blaue."

„was für 'n Blaues; Ich Hab doch gar
kein Blaues."

„Das — das — das mit den Fistmat-
entchen da oben rum — na, du weißt schon,
was ich meine."

„Aber Leopold, das ist doch nicht blau."

„Nein, was denn;"

„Bleu."

Ietzt blickt Herr Lehmann auf: „Nun
mach aber 'nen Strich; das ist doch das-
selbe."

„wieso; Das ist noch lange nicht das-
selbe. Zwischen Bleu und Blau ist ein
ziemlicher Unterschied."

„Ich Hab noch keinen bemerkt."

„Dann verstehst du nichts davon."

„Mag sein. Doch so viel weiß ich, daß
bleu französisch ist auf gut Deutsch blau
heißt."

„Ich habe kein Französisch gelernt."
Frau Lehmann sagt das mit Betonung
und mit Nachdruck setzt sie hinzu: „Aber
ich weiß so viel, daß Bleu und Blau nicht
dasselbe sind."

„Mir kann 's recht sein", antwortet
Herr Lehmann und räkelt stch lachend in
seinem Stuhl.

Frau Lehmann aber legt ziemlich
unsanft ihr Zeitungsblatt aus der Hand.

Nach einer weile greift Herr Lehmann
das Thema wieder auf: „Na, Alwine,
bist du dir nun einig geworden;"

„worüber;"

„Über das Rleid, das du anziehen
willst."

„Das bleue ziehe ich nicht an." Rurz
und bündig klingt das.

Damit ist die Sache für Frau Lehmann
abgetan, und es wird — wenigstens vor-
derhand — kein Wort mehr darüber
verloren.

Die Streitaxt scheint begraben.

Da beginnt Herr Lehmann von neuem:
„Alwine, du hast doch noch das schöne
hellgrüne; wie war 's denn damit;"

Entsetzt starrt Frau Lehmann ihren
Gemahl an. „Aber, Leopold, das ist doch
unmöglich!"

„was heißt unmöglich; Meiner Mei-
nung nach steht dir das noch am besten."

„Um Gotteswillen, da kann man sehen,
was ihr Männer für 'nen Geschmack habt.
Ulan tragt ein Straßenkleid und dazu in
ausgesprochener Sportform, doch nicht bei
einer Abendgesellschaft."

26
Register
Hans Herms: Bleu
Edwin Hermann Henel: Verschneite Almhütte
 
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