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tationssumme forderte. 2tndre war eini-
germaßen erstaunt. Dann erinnerte er sich
an jene Fahrt mit der hübschen Rvonne
im Schnellzug nach Lyon.

Andre Lheville ging in sein Büro und
schaute in seinem Terminkalender nach.
Dann diktierte er seiner Sekretärin einige
Briefe. Darunter war auch ein Schreiben,
in welchem er die Anerkennung der Vater-
schaft verweigerte. So kam es zur Rlage
Kummer vier bei der schönen Rvonne.
Nur daß diesmal Andre nicht der Anwalt,
sondern der Angeklagte war.

Bei der Verhandlung bestritt Andre
die Vaterschaft. Und zwar aus einem sehr-
einfachen Grund. Bevor er sich zu Rvonne
in das Abteil begeben habe, so erzählte er
dem Richter, habe er sich eine Zigarre an-
gezündet. Nicht ohne den Schlafwagen-
schaffner als Zeugen. Und als er nach
etwa zehn Minuten das Abteil Rvonnes
verließ, da habe er verabredeterweise dem
Schaffner die brennende Zigarre gezeigt.
Und der Schaffner bezeugte vor den
Schranken des Gerichts, daß die Asche von
der Zigarre noch nicht abgestreift war.

Daraus gehe also, erklärte lächelnd der
Angeklagte, deutlich hervor, daß Mon-
sieur Andre Lheville im Abteil der Made-
moiselle Rvonne sich lediglich mit Zigar-
renrauchen, mit einem sehr ruhigen und
vorsichtigen Rauchen, beschäftigt habe.

Diesmal verlor Zvonne ihren Prozeß.
Denn es ist nicht ratsam, einen so gewieg-
ten Anwalt zum Angeklagten, statt zum
Verteidiger zu machen. Gute Anwälte
wissen, was ein Alibi ist.

Kleine Geschichten

Lin überwundener Sieger

Malek, der Wesir des Kalifen Mustad,
besiegte die Gströmer nach schweren
Kämpfen, und es gelang seinen Kriegern,
den Kaiser gefangenzunehmen. Sie schlepp-
ten ihn in das Zelt ihres Feldherrn, der
ihn fragte: welche Behandlung erwartest
du von deinem Überwinder;"

Der Besiegte antwortete: „Führst du
Krieg für einen König, so schickst du mich
heim; führst du ihn für einen Raufmann,
so verhandelst du mich; führst du ihn für
einen Fleischer, so läßt du mich hin-
schlachten."

Malek schickte den Raiser ohne Lösegeld
und ohne ihm ein Haar zu krümmen in
sein Land zurück.

*

Der blamierte Voltaire

Der berühmte französische Dichter Vol-
taire wollte eines Tages seinen Dichter-
kollegen piron besuchen, traf ihn aber
nicht zu Hause an und steckte daher in den
Türspalt einen Zettel auf welchen er das
Wort „Esel" schrieb. Als piron nach
Hause kam fand er diesen Zettel, erkannte

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Mühle von Steene

J. A. Sailer

sofort die Schrift Voltaires und begab
sich zu diesem. „Ich komme, um ihren
Besuch zu erwidern, hochverehrter
Freund!" — „welchen Besuch;", meinte
Voltaire. — Da sagte piron: „Sie waren
doch so freundlich und haben aus diesem
2lnlaß, als Sie mich nicht trafen, ihre
Visitenkarte in meine Zimmertüre gesteckt."

*

Auch Komponisten sind zerstreut

Der berühmte Komponist Engelbert
Humperdinck war nicht nur ein außer-

ordentlich zerstreuter und vergeßlicher
Mensch, er war auch rücksichtslos seiner
Gattin gegenüber. Eines Tages saß er in
großer Gesellschaft auf der Terrasse eines
Hotels, da sagte er plötzlich zu seiner
Frau: „Bitte, sag mal, zieht es an deinem
Platz dort;" Frau Humperdinck war über
die ihr ganz ungewöhnliche Besorgtheit
ihres Mannes riesig erfreut und meinte:
„Nein, hier zieht es absolut nicht!" —
„Dann, bitte, sei so gut und laß uns
Plätze tauschen", sagte Humperdinck, „hier
zieht es nämlich ganz entsetzlich.

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Joseph Andreas Sailer: Mühle von Steene
[nicht signierter Beitrag]: Kleine Geschichten
 
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