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Begräbnis eines /lutos

V> o n 3 o ^ a n n 9 Rosl e r

enschliche \Duitfd)c sind jo treulos.
Wir wünschen uns eine neue Wohnung
mit Licht und einem grosseren Garten und
vergessen ganz das Gluck im alten ^aus.
wir wünschen uns neue, bequeme Möbel
und sind gern bereit, die alten treuen Be-
gleiter unserer früheren Tage dem Trödler
zu überlasten. Und so wünschte auch ich
mir einen neuen Wagen.

Die alte Rarre, die ich fuhr, hatte ihre
guten zehn Jahre auf dem Lhaffis, ein
unscheinbarer, krummer Geselle, so zog er
mit mir durch die Gegend, manchmal blieb
er bergauf stehen, und musste sich erst ein
wenig verschnaufen, bevor er weiterstieg.
Und als er eines Tages noch blind wurde
und nicht mehr den Weg fand, den ich ihm
mit dem Steuer deutlich zeigte, entschloss
ich mich:

„Ich kaufe mir einen neuen wagen."

Ich ging zu einem Wandler.

„was zahlen Sie für den alten
wagen;"

„Fünfzig Mark."

„Lächerlich!"

„Er ist keine vierzig wert."

„Für fünfzig Mark verkaufe ich den
wagen nicht."

Ich ging wieder. Ich war beleidigt.

- „Lausjunge, elender — weißt du nicht,
daß du deinen Eltern schlaflose Nächte
bereitest?“ — „Die haben sie sowieso —
wir haben eine Weindiele, Herr Lehrer.“

wie kann man mir für einen wagen, der
einst Tausende gekostet und dessen Unter-
halt heute noch das Doppelte verschlang,
fünfzig Mark bieten; Ist er wirklich nicht
mehr wert; Für andere vielleicht, dachte
ich, als ich seine müde Rarosserie betrach-
tete, aber mir leistete er noch die gleichen
Dienste wie zuvor. Ich safi bequem in ihm,
sein Polster hatte sich meinem Rorper
angepaßt, er war mir wirklich noch immer
ein guter Freund.

Für fünfzig Mark; Fünfzig Mark sind
fünfzig Markstücke, viel Geld, wenn man
sie einzeln betrachtet und einzeln ausgibt.
Für fünfzig Mark; Fünfzig Mark sind
ein Geldschein und er wiegt leicht, wenn er
in Gesellschaft von Gleichwertigen ist und
es ein neues Auto zu kaufen gilt. Nein,
für fünfzig Mark verkaufe ich den wagen
nicht! Und da ich viel Land mein eigen
nenne, Land mit acht Tagwerk Grund um
mein Haus, wird sich bestimmt ein Platz
finden, wo für den wagen eine letzte
Ruhestätte bleibt, wie oft sah ich in den
Schuppen der Bauern alte Rutschwagen,
die Jahrzehnte ungebraucht dort standen,
wie oft fand ich unter einem Baum einen
zerbrochenen Pflug, der grasüberwuchert
die Iahrzeiten über sich ergehen ließ.

Und so werde ich auch einen Platz für
meinen alten wagen finden.

X>icle Freunde kamen, denen ich geschrie-
ben hatte: „Rommt! wir wollen meinen
alten wagen begraben!" Manch einer war
darunter, der mit Angst im Kerzen neben
mir gesessen, wenn es galt, rechtzeitig den
Arzt für seine Frau zu holen. Andere
wieder hatten einst in ihm zum ersten Male
die Hand des geliebten Mädchens gefühlt
oder wir waren liedersingend zusammen
durch die Baumblüte gefahren, ein Gärt-
ner war auch unter den Gasten, der seine
ersten kleinen Baume in meinem wagen
zu dem neuerstandenen Grundstück fuhr,
heute trugen die Bäume schon Früchte
und er brachte einen Rorb Äpfel mit. Ja,
sogar eine junge Frau sah ich ein wenig
versteckt unter den letzten Gasten meines
Wagens, sie war langst mit einem anderen
verheiratet, aber sie musste wohl dabei
sein, wenn mein wagen seine letzte Fahrt
fuhr, dessen erste Fahrt ihr galt.

Und so setzte sich unser Zug in Bewe-
gung. Ich fuhr selbst den alten wagen
voran, er war mit Blumen geschmückt,
die wagen der Freunde folgten, wir
fuhren ganz langsam, nicht über zwanzig
Rilometer, und wir fuhren den steilen
kleinen Berg hinauf, an der Riesgrube
vorbei, den mein wagen so oft mit mir
gefahren war, wenn es galt, von meinem
Haus die breite Fahrstraße zu erreichen,
wie oft hatte hier seine Rraft nicht aus-
gereicht, zumal wenn Regen fiel und der

Boden weich war und ich ihn zurück,
rollen lassen musste, um mit neuem Anlauf
die Steigung zu überwinden, Heute
schaffte er es noch, fast spielend, so als
wüsste er, es ist zum letzten Mal, dass man
diese Mühe von ihm verlangte.

Unter vier Birken und einigen Fohren
hatte ich ihm eine Grube gegraben, eine
natürliche Vertiefung der Landschaft aus-
nutzend. Drei wände liefen grasüber-
wachsen an den Seiten hoch, vorn blieb
die Einfahrt offen, ein kleines Dach hatte
ich darüber gezimmert, um ihm, der so oft
im Regen gestanden oder mit einer hohen
Schneehaube vor meinem Haus auf mich
gewartet, die Unbillen des Wetters zu
ersparen. Als wir dort ankamen, fuhr ich
den wagen in seine letzte Ruhestätte
hinein. Als ich ausstieg, stellte ich den
Motor nicht ab und leise surrte er im
Leerlauf weiter.

„Freunde", sagte ich und stand auf der
kleinen Anhohe, „wir begraben heute
einen wagen. Dies ist kein Scherz oder eine
frivole Lästerung, denn wir begraben in
ihm nicht die Maschine aus Menschenhand,
sondern wir begraben heute zehn Jahre
unseres Lebens. Zehn Jahre Freude und
zehn Jahre Leid, die uns mit dem wagen
verbinden. Jeder von euch, die ihm die
letzte Ehre erweisen, tragt in sich Erinne-
rungen an ein grosses Glück, an einen
tiefen Schmerz, zu dem der wagen euch
führte oder aus dem er euch holte. Denn
dieser wagen, wohl mein Eigentum, ge-
hörte euch allen. Reiner kam, dem er nicht
gern diente. Ich verdanke ihm manche
Freundschaft, zu der mich seine Gefällig-
keit und stete Bereitschaft brachte. Und
wenn wir heute von ihm Abschied nehmen,
so nehmen wir zugleich Abschied von zehn
schonen gemeinsamen Jahren, von viel
Lustigkeit und Fröhlichkeit und auch von
manchem Erfolg und vieler harter Arbeit.
Darum bat ich euch, zu dieser letzten Fahrt
zu kommen, und bitte euch jetzt, wenn ihr
spater an ihm vorbeigeht und ihn hier
stehen seht, an unsere zehn Jahre gemein-
samer Autofreundschaft zu denken und die
Verbitterung des Alters, in das wir alle
schreiten, nicht über uns Herr werden zu
lassen. In diesem wagen waren wir jung,
in diesem wagen war das Leben für uns
schon und voller Sonnenschein, auch wenn
es in Strömen regnete. Und wie wir mit
diesem wagen immer weitergekommen
sind, auch wenn es oft den Anschein hatte,
wir blieben stecken und es gibt kein Vor-
wärts mehr, es gab ein Vorwärts und
immer ein weiterkommen. Und es wird
auch weiter ein Vorwärts geben und das
ist der Sinn dieses Tages und dieser —
man mag darüber urteilen, wie man
will — letzten Ruhestätte unseres alten
Wagens."

wir schritten noch einmal alle an ihm
vorüber. Dann gingen wir. Von weitem
horten wir noch das leise Surren seines
Motors, das weiterlief bis in die flacht
und so lange noch ein Tropfen Benzin in
ihm war.

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Jo Hanns Rösler: Begräbnis eines Autos
Gallstein: Halb so schlimm
 
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