Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Damals in Schwabing

iese Geschichte trug sich wahrend des
Münchener Faschings, Mitte der neunziger-
Jahre zu. Damals sprach man in den
Schwabinger Ateliers fast zwei Tage lang
darüber, und selbst die Presse nahm Anlaß,
unter der Schlagzeile „Tragischer Aus-
gang eines unüberlegten Faschingsscher-
zes", den ungewöhnlichen Vorfall zu
erwähnen, heute erinnern sich allerdings
nur mehr einige Schwabinger Grauköpfe
des damaligen Vorkommnisses, und wenn
ste in stiller Wehmut darüber berichten,
so mag es zweifelhaft erscheinen, ob sie
mehr einem fremden Schicksal oder der
eigenen entschwundenen Jugend nach-
trauern. Denn diese Jugend ist nun ein-
mal für den Münchener untrennbar mit
jenen sechs oder acht Wochen des Jahres
verknüpft, in denen er nach Herzenslust
narrisch sein darf, in denen Mädchenarme
und Walzerklange, Treuschwüre, Küsse
und Weißwürste seine Sinne umgaukeln.

Das war damals nicht anders, als es
heute noch ist, denn der Hauptbestandteil
des Münchener Faschings, das Münchener

Madl, bleibt eine ewige Erscheinung. Daß
sein leicht entzündbares Herz unter den
anfeuernden Klangen der Geigen im Tau-
mel der Frasah noch starker als im Alltag
zur Verliebtheit neigt, versteht sich wokl.
Daß es aber zwei Weißwürste und ein
Töpfchen Senf jeder Flasche Schampus
und einem „Roßbiff" vorzieht, wenn es
den Spender liebt, mag seines Wesens
Rern mit kurzen Worten hinlänglich be-
zeichnen. So darf es denn auch weiter
nicht verwundern, daß die Mizzi Kolbin-
ger den schwach gearteten wirtschaftlichen
Verhältnissen des jungen Bildhauers
Joseph hoheneder keinerlei Bedeutung
beimaß. Denn der Pepi war halt gar so
a liaba Mensch, und kein anderer auf der
ganzen Schwabinger Gemarkung verstand
es so gut, sich Madchenherzen geneigt zu
machen, „wissen S' was", meinte Pepi
eines Tages, wahrend er die Umrisse von
Mizzis jugendlichen Formen sinnend in
die Luft zeichnete, „Sie könnten ma eigent-
lich als Engerl Modell steh'n!" Nach einer
weile scheuen Zögerns willigte Mizzi

unter der Bedingung, daß Pepi brav sein
müsse, in den Vorschlag ein. Es entstand
in der Tat ein überaus glaubhaftes Engerl,
doch gleichzeitig auch eine gegenseitige
Liebe, wie sie wohl an Heftigkeit, kaum
aber an Beständigkeit jemals auf Schwa-
binger Boden gedieh.

Monate schon wahrte dieses Liebesglück,
dann kam der Fasching. Es gab keine
Redoute, kein Künstler- oder Atelierfest,
bei dem man nicht die beiden gesehen hatte.
Pepi's erstmaliger Entwurf eines juwelen-
strotzenden Gdalisken-Kostümes hatte aller-
dings aus wirtschaftlichen Gründen eine
wesentliche Veränderung erfahren müssen.
Als aber Mizzi schließlich in einem aus
Tarlatan zurechtgeschneiderten Pierrot-
kleidchen vor den Geliebten hintrat, da
schwor dieser, daß sie selbst bei den Mas-
kenfesten venetianischer Dogen berechtigtes
Aufsehen erregt hatte. Und in der Tat
gab es nichts hübscheres, als diesen kleinen,
drolligen pierrot. —

Mit den: gegen Ende des Faschings zu-
stande gekommenen Verkauf des „Engerls",

53
Register
Josef Weisz: Baum im Vorfrühling
W. A.: Damals in Schwabing
 
Annotationen