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„Kummer — und Glück."

„Aber mehr Kummer, denn, siehst du, ich muß frei sein!" Er trieb
seine Ehrlichkett auf die Spitze: „Frei muß ich sein, obne Bindung,
ohne Hemmungen", betonte er überlaut jedes Wort, als gäbe er sich
ein Versprechen, das ihm Ruhe und Frieden sichern sollte, „eine vor-
zeitige Bindung wäre mein Untergang als Künstler, verstehst du das,
Kind?"

„Aber ich will dich doch gar nicht heiraten", erwiderte Barbara
trotzig, und tatsächlich wußte sie im Augenblick wirklich nicht, ob das
Ernst oder Scherz war, was sie sagte, denn ihr Stolz begann über
ihr heißes Herz zu siegen. Würde sie je seine Frau werden wollen?
Er hatte ihr neulich erzählt, wie er in seiner freien Zeit im Geschäft
half und, die Molle auf der Schulter, das bestellte Fleisch den
Kunden ins Haus brachte. Wenn er ihr je so im weißen Kittel auf
dem Rad begegnen würde! Er hatte ihr das so harmlos und voller
Schalk ausgemalt. Aber war das zum Lachen? Würde sie es wagen,
ihn ins Elternhaus zu bringen, sich in Gesellschaft mit ihm sehen
lasten können?

Der gequälte Ausdruck in Florians Gesicht stand in eigentüm-
lichem Gegensatz zu dem Frieden des Sommertags, in dem sich nur
das Zirpen der Grillen und Summen der Käfer hören ließ. Tausend
weiße Margariten blühten am Hang. Weiße Segelboote zogen wie
große Schwäne über die schimmernde Wasserfläche.

„Die Wege des Schicksals sind seltsam", dachte Barbara und
schaute in den Himmel, als könnte sie dort oben Zukunftswege aus-
gezeichnet sehen. Aber der Himmel war eine klare, wolkenlose Fläche.
Da ging ihr Blick zu Florian zurück und blieb an seiner sehnigen,
schwieligen Hand hängen. Sie würde nichts fordern, nichts bei ihm
durchsetzen und wußte doch bereits, daß sie zugrunde gehen müßte,
wenn sie einander je aufgeben sollten.

„Ausgeschloffen ist es nicht, daß ich doch mal heirate, Bärbel,
dann — bestimmt — nur dich!", erklärte Florian feierlich, als sie
den schmalen Wiesenpfad hinuntergingen.

Am Wegrand prangten die Heckenrosen in voller Blüte.

Barbara lachte und nickte: „Das müßte ich mir natürlich zur hohen
Ehre anrechnen, nicht wahr, Herr Seidl?" Der Schalk saß ihr in
den Augen, und sie mußte über seine grobe, ehrliche Art lachen, bis
er ihren Mund mit neuen Küsten schloß und die Welt um sie ver
sank. Über der Bergwiese lag ein verklärter Schimmer, als habe
sich ein Stück vom Himmel berabgesenkt. Stille war um sie, Stille
der Ewigkeit.

Der Augenblick würde nicht aufhören zu sein, auch wenn er längst
vergangen war.

*

In ihrem schmalen, weißen Bett lag Barbara noch lange wach.
Jetzt, da sie allein war, der Rausch sich legte, wollte sie Klarheit
haben über ihr eigenes Herz. War sie glücklich, ganz glücklich, wie sie
es sich erträumt hatte?

Nein — das mußte sie sich ehrlich gestehen. Und warum nicht?

Sie dachte darüber nach. Ihre Sinne waren überwach, ihre Ge-
danken arbeiteten. Sie sab ihre Lage erschreckend klar, wie man es
nur in der Stille der Nacht vermag: sie hatte nicht das Gefühl von
Ruhe und Geborgensein bei Florian. Das war es. Sein ganzes
Wesen war Kampf, Wechsel, Unruhe, Krieg. Es war, als würde er
von einer unbekannten Macht unaufhörlich vorwärts getrieben, und
diese Unruhe übertrug sich auch auf sie. Ja, wenn Barbara ehrlich
gegen sich war, mußte sie sich gestehen, daß diese Geisteshaltung ihrer
eigenen sogar entgegenkam. Suchte sie deswegen nach einem ruhigen
Pol in ihrer Liebe?

Sie legte sich auf die andere Seite und versuchte zu schlafen;
nein, sie wollte dem Gedanken nicht weiter Raum geben.

Sie liebte Florian, ob sie sich dagegen sträubte oder nicht.

Auch wenn es eine seltsame, nicht befriedigende Liebe war.

Ja, aber — mit einem Ruck richtete sie sich hoch — gerade seine
Liebe würde ja an dieser Unruhe kranken. Er würde unstet sein, wie
ein Falter von einer Blüte zur andern taumeln. Das war es ja,
wovor sie sich fürchtete!

Eine Episode! Sie würde eine Episode sein, wie man das so schön
im Romall liest oder im Film sieht unter wärmstem Mitleid mit
der Heldin! Eine Episode im Leben eines Künstlers! Das wollte ihr

das Schicksal zumuten! Ihr, Barbara Bürkner!

„Nein, nimmermehr!", sagte sie ganz laut. Sie sprang aus dem
Bett, zog den Vorhang zur Seite und machte die Fensterflügel weit
auf. Sie wollte Sterne sehen, Sterne, die ruhige Bahnen ziehen,
lind an eine ewige Liebe glauben, die Erfüllung und Ruhe bringt.
Eines Tages würde sie ihr beschieden sein, wenn die Zeit gekommen
war. Sie mußte sich gegen Florian verschließen und sich bewahren.
Eine Episode würde ihr Leben zerbrechen.

Aber wie, wenn es schon zu spät war? Wenn ihr Herz sich schon
verschenkt hatte? Dann war ihr Schicksal besiegelt und hieß Unruhe
um Florian bis in den Tod!

Die Nachtluft war warm und weich und ohne Bewegung. Sie
spendete weder Frische noch Kühle, wonach sie sich sehnte. Die gegen-
iiberliegende Häuserfront und rechter Hand die Ursulakirche auf dem
Kaiserplah gaben nur wenig vom Himmel frei.

Sie warf sich wieder aufs Bett und schloß die Augen. Aber sie
fand keinen Frieden. Sie war überzeugt, daß sie morgen doch wieder
ihrer Verabredung folgen würde.

Es war eine dunkle Macht, die sie zu Florian hinzog.

Geheimnisvoll ist die Stimme des Blutes. Die Vernunft setzt
sich zur Wehr, aber vergeblich. Das Herz verschenkt sich ohne unser
Zutun, oft sogar dann, wenn wir es nicht wollen.

*

Mit der Morgenpost erhielt Barbara von ihrer Schwester Gisela
eine Karte, auf der sie ihr Nachricht gab, daß sie mit dem Mittags-
zug eintreffe. Sie hatte Gisela, die zwei Wochen in München blei-
ben und dann den Rest ihrer Schulferien im Schwarzwald bei Ver-
wandten verbringen wollte, erst Ende der Woche erwartet. Um so
größer war die freudige Überraschung.

Damit war Barbara auch bis auf weiteres den Zweifeln ent-
hoben, ob sie an ihrer Zusammenkunft mit Florian festhalten sollte.
Sie schrieb ihm ein paar Zeilen, in denen sie ihr Fernbleiben für die
nächsten Tage begründete, und gab sie auf dem Weg zur Universität
beim Hausmeister in der Akademie ab.

Als Professor Ackerte am späten Nachmittag seinen Rundgang
durch die Ateliers seiner Meisterschüler beendet hatte, machte sich
Florian auf den Weg zu Barbara. Er wollte sie sehen und mit ihr
sprechen, sei es auch nur für wenige Minuten. Er überlegte gerade,
wie er seinen Besuch rechtfertigen könnte, da sah er sich in der
Friedrichsstraße unerwartet Barbara gegenüber, die aus einem Ge-
schäft kam, in dem sie einige Einkäufe fürs Abendeffen gemacht hatte.

Nach kurzer Begrüßung gingen sie schweigend nebeneinander her.
Florian wartete auf ein entgegenkommendes Wort, das die Absage
zerschlug. Als sie schon dicht an der Ursulakirche waren, sagte er nicht
ohne Vorwurf in der Stimme: „Ich wollte zu dir. Du hast Besuch
- schön — aber wir werden trotzdem jeden Tag zusammen sein!"

Barbaras Herz begann rascher zu schlagen. Die bestimmte Art,
über sie zu verfügen, erregte ihren Unwillen und rief ihren Eigensinn
wach. Gleichzeitig verspürte sie aber eine Art innerer Genugtuung
bei seinen Worten, die ihr sein Empfinden eindeutig verrieten.

Immerhin war es eine sonderbare Art, ihr den Hof zu machen!
Sie sab ihn fragend an und schwieg. Als von seiner Seite keine
weitere Erklärung kam, sagte sie schließlich höflich:

„In den nächsten Tagen sollst du meine Schwester kennen lernen.
Vielleicht verbringen wir einen netten Abend zu dritt! Du führst uns
ein wenig durch die Stadt!"

*

„Da kommt meine Schwester!", rief Gisela oben in Barbaras
Zimmer Gertrud SieverS zu, die sich's in dem breiten altmodischen
Sofa bequem gemacht hatte. „Das ist doch Barbaras Stimme —."
Sie trat ans Fenster und sab Barbara an der Seite Florians aufs
Haus zukommen.

„Ein Künstler", nickte Gertrud bedeutungsvoll auf Giselas fragen-
den Blick hin und ließ sich in ihrer Rübe nicht stören, „ein Bildhauer
- ja _ ja —", ein Seufzer folgte, als gäbe sie die Freundin
verloren.

Gisela lachte und bockte neugierig, halb hinter der Gardine ver-

borgen, auf der Fensterbank.

(Fortsetzung folgt.)

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