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Der Taferlmaler

O. Obe r in e i e r

Lustiges aus Rottweil

Von % a v l G. Gössele

ottweil, die blühende württembergische
Oberamtsstadt am Oberlauf des Neckar,
war ehedem eine angesehene freie Reichs-
stadt, deren Bürger wohl wußten, was sie
ihrem obersten Herrn, dem Raiser des
heiligen Römischen Reiches deutscher
Nation schuldig waren. Im Rrieg stellten
sie ihm die besten bekannten tapferen Rott-
weiler Soldaten. Um ihm aber auch im
Frieden die schuldige Aufmerksamkeit zu
erweisen, brachten sie im großen Sitzungs-
saal des Rathauses, wo allmonatlich mehr-
mals die Stadtvater in gewichtiger Ver-
sammlung tagten, eine überlebensgroße
Büste des Raisers an. Der Hohe Herr
sollte, — wenn er schon nicht persönlich
anwesend sein konnte — so doch wenigstens
figürlich und sinnbildlich ihren Beratun-
gen die weihe geben.

Zur Zeit, als dieses Rasterbild aufgestellt
wurde, es geschah um 1500 herum, war
ein Habsburger das Reichsoberhaupt. Als
dieser Raiser starb, gerieten die Rottwei-
ler in nicht geringe Verlegenheit. Sie
kamen in einen bösen Konflikt zwischen
Pietät und Aktualität. Um zeitgemäß zu
sein, war es nötig, eine Büste des neuen

Raisers anfertigen zu lasten und das alte
Raiserbildnis abzusetzen. Aber war das
nicht schnöde Undankbarkeit gegenüber
dem verstorbenen kaiserlichen Herrn, der
seine Huld in reichem Maße über Rott-
weil hatte walten lasten? Und kostete es
nicht eine erhebliche Stange Geldes, wenn
dem kaiserlichen Nachfolger in Form eines
neuen Standbildes gehuldigt wurde?
Durfte eine solche Ausgabe dem Stadt-
säckel — und damit den Bürgern als
Steuerzahlern — zugemutet werden?
Nein, und nochmals nein!

Nachdem diese hochwichtige Frage im
Rottweiler Stadtrat ein halbes dutzend
Mal auf der Tagesordnung gestanden
hatte und die Diskussion darüber immer
wieder ergebnislos hatte abgebrochen wer-
den müssen, hatte der regierende Bürger-
meister einen genialen Einfall. Boshafte
Zungen behaupteten zwar, daß dieser
geniale Einfall nicht das ureigenste Pro-
dukt der angestrengten Geistestätigkeit des
Herrn Bürgermeisters gewesen sei, viel-
mehr sei er des Vlachts von der Frau
Bürgermeister als Trost in die Schlaf-
losigkeit der bürger-meisterlichen Seele ge-

fallen. wie dem auch sei: Der Einfall war
grrt und wurde einstimmig von den Stadt-
vätern angenommen.

Die Rottweiler verfuhren folgender-
maßen:

Sie ernannten einen Stadtbildhauer
ehrenhalber. Dieser Stadtbildhauer ehren-
halber bekam nicht etwa die Aufgabe zu-
gewiesen, eine neue Raiserbüste zu schaffen,
sondern die alte in die des neuen Raisers
umzuwandeln. Das war keine kleine
Arbeit. Der Bart mußte abgenommen
werden, weil das regierende Reichsober-
haupt glattrasiert ging. Die Stirn be-
durfte der Aufstockung und das Rinn litt
an allzugroßer Fülle. Die Augen mußten
mehr aus den Vertiefungen hervortreten
und die Ohren empfindsamer werden, Nur
die sattsam bekannte Unterlippe durfte
bleiben, wie sie war, weil der Nachfolger
des alten Raisers wiederum ein Habs-
burger war.

Das Werk gelang zur vollsten Zufrie-
denheit Rottweils.

Und deshalb wurde ähnlich beim näch-
sten, übernächsten und überübernächsten
Raiserwechsel verfahren. Durch volle drei
Jahrhunderte wurde der alte Raiser vom
Rottweiler Stadtbildhauer mit vieler List,
Liebe und Tücke immer wieder in einen
neuen Raiser umgewandelt.

Erst als die gute Reichsstadt Rottweil
im Jahre i§oz württembergisch wurde,
ging der arme, vielgediente und viel-
behauene Stein zur wohlverdienten Rübe
ein.

*

Aber nicht nur im XVI. sondern auch
im XVII. Jahrhundert hatte ein regieren-
der Bürgermeister von Rottweil einen
guten Einfall. Er ist dieses Einfalls hal-
ber von seinen wenig humorbegabten Mit-
bürgern abgesetzt worden. In Wahrheit
verdiente er deshalb die Unsterblichkeit.

Bei der Sichtung des umfangreichen
Rottweiler Stadtarchivs wurde eine kleine,
eisenbeschlagene Truhe gefunden mit einem
gediegenen Schloß daran, dessen Loch
schwer versiegelt war. Zu der Truhe ge-
hörte eine Urkunde, in der verzeichnet
stand, daß die Truhe in keinem Fall geöff-
net werden dürfe. Uneröffnet gereiche ihr
Inhalt der freien Reichsstadt Rottweil
zum Segen, aufgeschlossen aber zum Fluch.

Auch in diesem Fall berieten die Stadt-
väter sehr lange, was zu tun sei. Etliche
waren dafür, die Truhe solle trotzdem
aufgemacht werden, andere dagegen.
Schließlich setzte sich der Vorschlag des
Bürgermeisters durch, der also lautete:

„Die Truhe soll geöffnet werden von
den fünf ältesten Ratsherrn der Stadt
Rottweil. Nach erfolgter Öffnung ist sie
wieder sorgfältig zu schließen und zu ver-
siegeln. Auch hat vorher jeder der fünf
Ratsherrn in der Stadtversammlung bei
Leib und Leben zu schwören, daß er nichts
verlautbaren läßt, wessen er in der kleinen
Truhe ansichtig geworden ist."

Genau so wurde verfahren.

Die fünf älteren Ratsherren gingen in

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Otto Obermeier: Der Taferlmaler
Karl Gideon (Giselher) Gössele: Lustiges aus Rottweil
 
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