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Sie wollte an Florian vorbei zur Tür hinaus. Aber er hielt sie
zurück und umklammerte ihre Arme, daß es schmerzte. Worte stürzten
über sie her, wilde, flehende, leidenschaftliche Worte -. Sie verstand
nicht alles, was er sagte. Sie war wie betäubt.

„Wir sind allein", flüsterte er dicht an ihrem Gesicht, „nicht wahr,
wir sind allein - — — ?", und er zog sie fester an sich.

Angst kam über sie. Sie hatte kein Empfinden mehr, konnte nicht
mehr denken.

„Nein", sagte sie laut und bestimmt mit der Aufbietung aller
Kräfte, „Dr. Spangenberg ist nebenan."

Sie spürte, Florian wußte, daß sie jetzt log. Seine Arme gaben
sie ruckartig frei. Der Ausdruck seines Gesichts veränderte sich. Ver-
langen wich dem Zorn über die Unwahrheit und die Enttäuschung,
die sie für ihn bedeutete.

Nichts blieb als Verachtung für Barbara.

Er wandte sich zur Tür. Die Hand auf der Klinke, stand er eine
Weile schweigend.

„Florian, verzeih mir!", bat Barbara, aber sie wußte, daß er nie
verzeihen würde, daß er zutiefst getroffen war.

Nichts regte sich im Raum. Barbara hörte den raschen Schlag
ihres Herzens. Mit geschlossenen Augen lehnte sie am Glasschrank,
dessen Porzellanfiguren sie sonst so gern betrachtete. Von Florian
kam keine versöhnende Antwort. Durch die gelben Tüllvorhänge fiel
kalt die späte Nachmittagssonne und umschmeichelte Barbaras feine
Gestalt.

„Sie ist aus guter Familie, sie ist reizvoll, sie ist begabt — ja,
du Narr, glaubst du, daß sie sich an dich wegwirft?" Bitter lachte er
auf. „An dich, du Armseliger, der du nichts hast, nichts bist! Oh,
heilige Einfalt! Wir leben doch nicht mehr im Paradies! Daß ich das
manchmal vergesse!" — — —

„Der Teufel führte mich hier herauf", dachte er laut zu Ende, daß
Barbara erschrak. Aber er sprach mehr zu sich selbst.

„Wir hätten uns irgendwo treffen können im Kaffee - wie
immer. Natürlich — es war ein dummer Einfall von mir, dich hier
aufzusuchen. — — —

Verzeih, Barbara, ich mache dir nur Unannehmlichkeiten!" Er-
suchte ihre Augen; feindlich und kühl blickte er sie an, nicht wie ein
Mensch, dessen Herz ihr zugetan gewesen wäre.

„Ach", sagte Barbara müde und machte eine wegwerfende Hand-
bewegung, „wir werden uns nie verstehen." Langsam trat sie auf das
breite Fenster zu. Weit ging der Blick über die geliebte Stadt. Aber
es war ein Steinmeer, das ihr nichts zu sagen hatte.

*

Am nächsten Vormittag lief Barbara zwischen zwei Kollegstunden
von der Universität zur Akademie herüber, stieg mit beklommenem
Herzen die breite Treppe hinauf und ging dann langsam nach Florians
Atelier hinunter. Eine Weile stand sie unschlüssig vor der Tür. Dann
klopfte sie an. Florians Gesicht erhellte sich bei ihrem Anblick. Noch
unsicher und zaghaft, als koste es sie Überwindung, streckte sie ihm die
Hand entgegen. Aber Florian zog sie lachend in seine Arme. Eine
glückliche Melodie klang in seinem Herzen darüber, daß Barbara den
ersten Schritt zur Versöhnung getan hatte.

„Ich steige morgen mit Architekt Burckhard auf die Rotwand, um
den Platz für die Rabenköpfler-Hütte festzulegen", erzählte Florian.
„Ich hätte dich gerne mitgenommen, aber der Zug geht schon gegen
vier Uhr. Wir wollen am selben Tage wieder runter.

Wie gefällt dir das übrigens?", fragte er, indem er mehrere
größere Fotografien vor ihr auf dem Tisch auöbreitete.

„Die eherne Wache!", rief Barbara freudig erregt. Sie versenkte
sich in die Bilder, die das Denkmal von verschiedenen Blickpunkten
aus zeigten. „Eö muß sehr schön sein. Oft habe ich eS mir vorzu-
stellen versucht."

„Ich habe mich schon lange darüber geärgert, daß du eS dir noch
nicht anschauen kamst."

„Ich werde eS schon noch sehen", entgegnete Barbara, ohne im
Innern davon überzeugt zu sein. Sie wartete auf eine Aufforderung,
die von Florians Eltern ausging. „Ich werde mein Urteil abgeben,
wenn eö ausgeführt ist. Wolltest du es nicht in Sandstein hauen?"

„Dann kannst du lange warten!"

„Was soll daö heißen?"

„Nun, nichts weiter, als daß sich das Tonmodell eher in Wohl-
gefallen auflösen wird, als daß ich einen Auftrag zur Ausführung
bekomme."

Barbara betrachtete immer wieder eine Aufnahme nach der andern.
Ihr Blick blieb an der Gestalt der jungen Mutter hängen, die ihre
Kinder an sich drückt. Eine unbedingte Ähnlichkeit mit sich selbst fiel
ihr auf. Sogar die Art, wie sie ihre Locken zusammenhielt, war
nachgebildet.

*

Die Stadt schlief noch, als Barbara am nächsten Morgen den
weiten Weg zum Bahnhof zu Fuß machte; denn der Straßenbahn-
verkehr hatte noch nicht eingesetzt.

„Du bist gekommen?"

Heute morgen klang nicht nur Freude auö Florians Worten, son-
dern die Sorge um die Zukunft, ein Erschrecken darüber, daß eS um
Barbara stand wie um ihn selbst. Er hatte seit Sonntag genügend
Zeit zu kühler Überlegung gehabt, und jetzt war ihm unbehaglich bei
der Erkenntnis, daß Barbaras Empfinden für ihn sich ebenfalls in
eine ziellose Leidenschaft zu versteigen schien.

Der Morgen dämmerte, als sie in Bayrisch-Zell auöstiegen. Frische,
kalte GebirgSluft wehte ihnen entgegen. Sie schritten rüstig aus.
Zunächst war die Steigung gering, und man konnte in den ersten
Stunden ein gutes Stück vorwärtskommen. Gesprochen wurde kaum.
Nur hin und wieder machte man einander aus einen besonders schönen
Ausblick aufmerksam.

Der Aufstieg war befreiend. Das brennende Verlangen nach der
Nähe des andern verlor sich im Schauen der Welt. Kraftaufwand,
Klarheit! Die Morgennebel schwanden immer mehr. Sonnenlicht
erwärmte die Luft, daß man die Jacken ablegen mußte.

Über dem 1500 m hoch liegenden Soinsee fanden sie einen überaus
geeigneten Platz für die Hütte mit prächtigem Weitblick über das
Kaisergebirge, Wetterstein und Karwendel. Erhabene Stille war hier
oben. Große Vögel kreisten über dem Wasser.

Gegen Mittag stiegen sie zum Rotwand-Hotel auf und aßen dort
eine Suppe. Barbara spielte mit einer schönen Angorakatze, die sich
auf der weißen Bank der Veranda sonnte, während Florian einige
Skizzen in sein Wanderbuch hinwarf.

Trotz dieser Rast war Barbara beim Abstieg nach dem ungewohn-
ten Marsch so müde, daß Florian sie halb tragen mußte.

Über der dämmerigen Landschaft lag eine eigenartig trostlose
Stimmung, die sich ihnen mitteilte: kalt und tot die Farben, bis sie
endlich ganz erloschen. Umso glanzvoller offenbarten nun die unbe-
kannten Welten über ihnen die Unendlichkeit der Schöpfung. Von
hier oben auö sah man die Sterne ganz anders. Nicht länger waren
sie die stillen, tröstenden Lichter der Nacht am Himmelszelt, die Stern-
lein aus dem Kinderliede, die einen fromm stimmten, über die nach-
zudenken aber keinen Sinn hatte, wenn man mal im Getriebe der
Großstadt einen Blick zu ihnen hinaufschickte. Nein, jetzt waren eö
Weltkörper. Man begriff, daß sie größer und kleiner sein konnten
als unsere Erde, daß sie im All schwebten wie unser Planet. Geheim-
nisvoller denn je, aber doch möglich, doch wirklich. War eS ein Schwe-
ben? Nein, hier oben konnte man begreifen, daß sie nicht langsam
ihre Bahnen ziehen, sondern mit großer Geschwindigkeit durch den
Weltenraum eilen. Sie waren nicht so ruhig, wie man sie von den
Straßen der Menschenstädte auö sieht; nicht ruhig und nicht unver-
änderlich — sie werden und vergehen im Strome der Ewigkeit.

Wo ist Ruhe im Wechsel der Dinge? In der Liebe? Man wünscht
eö. Aber der Glaube daran ist eine Täuschung, die vorübergeht.

Überall Wechsel und Bewegung!

Man bleibt allein, zutiefst allein.

Und je schneller man das begreift, desto besser!

*

Florian und Barbara trennten sich an dem Abend, ohne ein Zu-
sammentreffen zu verabreden, und wie in stiller Vereinbarung waren
sie in den nächsten Tagen beide darauf bedacht, jedes Wiedersehen zu
vermeiden, und nicht, wie bislang, dem Schicksal nachzubelfen und
möglichst oft eine Begegnung herbeizuführen.

So verging die Woche. (Fortsetzung folgt.)

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