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Raffeln

von Gert Lynch

}jajl hatte ich es vergessen", sagte Dr.
Marten 311 seiner Frau, „wir sind heute
abend zum Maskenball im Rünstlerhaus
eingeladen. Richte dich bitte ein, und lege
mir meinen roten Domino zurecht."

„Und das sagst du mir jetzt erst?" er-
eiferte sie sich. „Ich habe wirklich nichts
inehr zum Anziehen. Meine spanische
Tracht ist derart mitgenommen, dass ich
in ich nicht mehr darin zeigen kann."

„Dann geh zum Maskenverleih", sagte
er, „und wähle dir etwas passendes aus."

Frau Marten überlegte, ob sie nicht
besser zur Schneiderin gehen und sich bis
zum Abend ein eigenes Faschingskostüm
machen lassen sollte. Aber dann würde es
wahrscheinlich zusammengepfuscht werden.
Sie entschied sich also für den Verleih.

In den Räumen des Maskengeschäfts
war reger Betrieb. Alle Gangspiegel und
Ankleidezellen waren belegt. An den
wänden hingen bunte Bilder von pier-
retten, Venezianerinnen, Rokokodamen,
Zigeunerinnen und Wäschermädeln.

„womit kann ich dienen, gnädige Frau?"
fragte der Besitzer, der die Runden
empfing.

„Ich möchte irgendein fesches, gut erhal-
tenes Rostüm", sagte Frau Marten, „was
könnten Sie mir empfehlen?"

Der Geschäftsmann warf einen prüfen-
den Blick auf Frau Martens elegante
Figur, „wenn ich Ihnen raten darf, und
wenn es auf ein paar Mark mehr oder
weniger nicht ankommt", meinte er, „dann
nehmen Sie am besten ein orientalisches
Rostüm. wir haben etwas besonders
Schönes auf Lager, das noch gar nicht
getragen worden ist. Alles aus Seide, und
die Farben künstlerisch abgestimmt!"

Er leitete die Rundin an einen Stand
und legte ihr ein geschmackvolles Rostüm
vor: Pluderhose, Leibchen, Jäckchen, Hüft-
schlung, Turban und Ohrrasseln.

Frau Marten ging in den Ankleide-
raum und zog die Sachen an. Sie paßten
vorzüglich und standen ihr so gut, daß sie
beschloß, sie zu nehmen.

„Sie sehen, gnädige Frau", sagte der
Inhaber, als sie wieder hervortrat, „ich
habe nicht zuviel versprochen. Selbst die
Raffeln können Sie ohne Bedenken tragen;
sie sind so gut nachgeahmt, daß sie mit
bloßem Auge von echtem Schmuck nicht
zu unterscheiden sind."

Frau Marten gab Namen und Woh-
nung an und nahm das Rostüm gleich mit.

Nur mit den „goldenen" Rasseln war sie
nicht einverstanden. Unechten Schmuck
trug sie nicht, mochte er noch so echt aus-
sehen. Sie würde ihre eigenen langen Ohr-
gehänge tragen, die ihr einst der Vater-
geschenkt hatte, als er von einer Asien-
reise heimkehrte. Es war ein edler und
wertvoller Schmuck. Sie freute sich, ihn
bei dieser Gelegenheit wieder einmal anle-
gen zu können.

„Minna", sagte sie abends zu dem Mäd-
chen, das ihr beim Ankleiden half, „Sie
brauchen heute nicht auf uns zu warten.
Es wird spät werden, bis wir heimkom-
men. Und dann möchte ich morgen aus-
schlafen. Ich werde das Maskenkostüm
ins Vorzimmer legen. Es muß bis Mittag
zurückgebracht werden. Besorgen Sie das.
Hier ist der Leihschein, hier das Geld.
Lassen Sie sich eine (Quittung geben."

„Sehr wohl, gnädige Frau", sagte
Minna, „ich werde alles erledigen."

Frau Marten zog noch den kleinen
blauen Turban auf die Frisur und griff
nach den Rasseln. Dann ging sie ins
Wohnzimmer, holte das Schmuckkästchen
aus dem Schreibtisch, schloß es auf und
nahm das goldene Geschmeide heraus, das
sie erst liebevoll betrachtete, ehe sie es in
die Ohrläppchen schraubte. Und während
sie nochmals ihr Spiegelbild überprüfte,
legte sie die unechten Rasseln des Masken-
verleihers gedankenlos in das Schmuck-
kästchen hinein und verließ den Raum.

„Nun, wie gefalle ich dir?", fragte sie,
als sie vor ihren Mann trat.

„Man kennt dich nicht wieder!", ant-
wortete er und bot ihr lächelnd den Arm.
Der wagen war bereits vorgefahren.

Am nächsten Vormittag, als Frau
Marten schlief, tat Minna, wie ihr ge-
heißen. Sie packte alles, was auf dem
Schein stand, in die Schachtel hinein:
Pluderhose, Leibchen, Jäckchen, Hüft-
schlung, Turban und Ohrrasseln. So ge-
schah es denn, daß die goldenen Ohrge-
hänge, die Frau Marten mit der Maske-
rade im Vorzimmer abgelegt hatte, zum
Verleiher kamen und dort an Stelle der
unechten Rasseln in den Schrank gelangten.
Niemand hatte die Verwechslung bemerkt.

Am Nachmittag, als Dr. Marten bei
Tisch erschien, sagte er zu seiner Frau:

„Du solltest deinen Schmuck nicht offen
stehen lassen! Ich habe die Ohrgehänge
wieder verschlossen, Hier ist der Schlüssel."

„Danke", sagte Frau Marten über-
nächtig und unterdrückte ein Gähnen.

Dr. Marten hatte die Rasseln, die im
Schmuckkästchen lagen, nicht weiter be-
achtet und sie für die echten gehalten.

*

Im Maskenverleih sprach eine Bar-
dame vor und verlangte ein Bajaderen-
kostüm. Der Eingestellte, der sie bediente,
legte ihr manches zur Auswahl vor, aber
es war ihr nicht elegant genug. So wurde
auch das Rostüm hervorgeholt, das Frau
Marten getragen hatte. Die Bardame
zog es an, und da es ihr paßte und gefiel,
nahm sie es mit. Auch die goldenen Raffeln
waren dabei.

Am Abend, bevor sie den Schmuck ins
Ohr hängte, wog sie ihn bewundernd auf
der Hand und ließ sich verleiten, nach dem
Goldstempel zu suchen.

Aber es war keiner zu finden. Da kam
ihr wieder zu Bewußtsein, woher der
Schmuck stammte, und sie mußte über sich
selbst lächeln.

wie töricht von mir, dachte sie, nach
dem Goldstempel zu suchen. Die Tatsache,
daß die Rasseln vom Masken-Iakob ver-
liehen werden, ist der beste Beweis, daß
sie unecht sind. Und sie machte sich fertig
und fuhr ins Ballhaus, wo sie erwartet
wurde.

Gegen Mitternacht spielte die Musik
einen Tusch. Ein Herr im Frack trat auf
die Bühne und gab bekannt, daß ein gol-
dener Ohrhang gefunden worden sei. Die
Verliererin möchte sich melden.

Alle Frauen griffen sich an die Ohren.
Auch die Bardame. Sie stellte fest, daß
ihre linke Rassel fehlte. Und sie eilte zur
Bühne, um sich den Fund abzuholen. Der
Herr im Frack drohte ihr lächerlich mit
einem Finger:

„wenn es bei uns nicht lauter ehrliche
Leute gäbe", sagte er, „dann hätten Sie
diesem kostbaren Stück nachweinen kön-
nen! Lassen Sie ein andermal die goldenen
Schätze lieber daheim!"

Die Bardame bedankte sich und fühlte
sich sehr geschmeichelt, daß man ihre
Rasseln für echt gehalten hatte.

„Ist der Schmuck wirklich echt?", wurde
die Bardame von ihrem Tänzer gefragt.


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Gert Lynch: Die goldenen Rasseln
 
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