AUS
UNSEREM
SKIZZENBUCH
Gesunde Sinnlichkeit
»Ttod) nicht lange ist es ber, da glaubten
manche Spießer ihre Einstellung zur
neuen Zeit dadurch bekräftigen zu müssen,
daß sie zu fanatischen Muckern und Sitten-
predigern wurden. Sie verboten der
deutschen Frau das Rauchen und den Ge-
brauch kosmetischer Mittel, und entsetzten
sich über die Verworfenheit von Frauen-
zimmern, die es wagten, ihre Beine zu
zeigen. Die Nacktheit iin Bilde war wie-
der frivol geworden, und man mußte schon
schamhaft die Hände vors Gesicht halten,
tim das Anstößige verstohlen, aber eifrigst
durch die Finger zu betrachten — alles
unter dem Mantel der „Gesinnung". —
Bis es schließlich unserem Propaganda
ininister zu bunt wurde und er einmal
offen aussprach, daß der lebensbejahende
Nationalsozialismus gegen eine gesunde
Erotik nicht das Geringste einzuwendcn
babe, und siehe da! plötzlich öffneten die
Sittenprediger von gestern ihre Schleusen
tind überboten sich an Darstellungen, die
man in Paris, gelinde gesagt, als reichlich
frei anseben würde. VTun haben wir die
edle Nacktheit, wo sie den schönen Men-
schen zeigte, gepflegt, solange wir für die
„Jugend" verantwortlich zeichnen. Doch
fühlen wir keine Veranlassung, in unseren
Darstellungen mit jäher Plötzlichkeit den
Reizwert der llnterwäsche zu erproben.
Da wir bisher keine Mucker waren, haben
wir auch jetzt nicht das Bedürfnis, einen
Überschuß an Sinnlichkeit zu entfesseln,
wir glauben deshalb, daß unsere Leser es
uns nicht übelnehmen werden, wenn wir
unserer bisherigen Linie treu bleiben.
Distanz
rofeffor Zilch — in Wirklichkeit heißt
er anders — lebt mit seiner Haushälterin,
Frau Schmitt, in einer Villa in Bogen
hausen. Er Kält aus würde und Anstand,
der Professor, und steht bei seinen Stu-
denten in gebührender Achtung, während
des Faschings nun hatten seine Studenten
ihn zu einer fröhlichen Rneiperei aufge-
sordert. Dabei zeigte es sich, daß der
zugeknöpfte Professor durchaus kein Spiel-
verderber war, daß man mit ihm Pferde
stehlen konnte, wenn nur welche dagewesen
wären. Professor Zilch gefiel der Abend
in der Tat so gut, daß er die jungen
Leute für den folgenden Abend zu sich
einlud. Am nächsten Tage wandelte ihn
jedoch ein leichter Rater an, der ihn wie-
der tim einige Grade abkühlte. Gb wir
der Haushälterin Blumen mitbringen,
fragte Tbeo, der Student, einen seiner
Rameraden. Nicht nötig, meinte der
andere, er siezt sie. Via, wer weiß, meinte
Tbeo und brachte Blumen. Als der Pro-
fessor gegen halb neun seine Gäste
empfing, machte er einen etwas frostigen
Eindruck, den auch die Blumen nicht ver-,
scheuchten. Frau Schmitt, rief er — mit
Distanz — durch die Tür. Bringen Sic
uns doch bitte mal die Bowle! —
wenngleich wir hier in einer Bierstadt
leben, so galt es doch für den in Bonn
studierten Professor als Axiom, daß man
Studenten mit Bowle bewirten müsse.
Da er ferner eine erhebliche Semesterzahl
in Berlin zugebracht hatte, hielt er es für
Ehrensache, daß man tüchtig Zucker hin-
einwerfen müsse, um am nächsten Tage
die nötigen Kopfschmerzen zu erzielen. —
Frau Schmitt, ries Professor Zilch. lind
Frau Schmitt, deren guterhaltenes
Äußere oftmals die Blicke der Studenten
auf sich zog, mußte wiederholt die Bowle
bringen. Als sie jedoch zuletzt nicht gleich
erschien, ging der Professor selber. Ge-
rade als er wieder mit der Bowle ins
Zimmer trat, brach der Henkel ab und das
Gefäß fiel mit Rrach auf den Boden. In
diesem Augenblicke trat die Haushälterin
ein. Oskar, schrie sie, wie oft habe ich dir
gesagt, daß du nicht am Henkel anfassen
sollst. Es war doch nur geleimt! —
Siehst du, flüsterte Theo, ich habe doch
recht gehabt!
Seufzer
Ein Münchener Gerichtsvollzieher be-
suchte vor einiger Zeit das Grüne Gewölbe
in Dresden, die Schatzkammer der sächsi-
schen Könige, reich gefüllt mit Diademen,
Fiirstenkronen und Goldschmiedekunst aller
Herren Länder.
Der Beamte schritt durch die kostbaren
Räume.
Dann konnte er den Seufzer nicht länger
im Busen bewahren:
„Hier, wenn inan da einmal pfänden
dürfte!!"
Hoffnung
»Tt eben uns faß, in einer Atifführung
von Tristan und Isolde, ein biederes Ehe-
paar vom Lande. Offenbar hatten die
beiden sturmerprobten Eheleute wenig
Verständnis für die Liebespein des Melden
und der schönen Irin. Sie atmeten erleich-
tert a:if, als Tristan auf seinem Siechbettc
endlich zusammensank. Als aber der Tod-
wunde sich bei Isoldes letztem Erscheinen
nochmals aufraffte, raunte unsere Nach-
barin ganz entsetzt ihrem Gatten zu: „O
mei, jetzt wird er wieder!"
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UNSEREM
SKIZZENBUCH
Gesunde Sinnlichkeit
»Ttod) nicht lange ist es ber, da glaubten
manche Spießer ihre Einstellung zur
neuen Zeit dadurch bekräftigen zu müssen,
daß sie zu fanatischen Muckern und Sitten-
predigern wurden. Sie verboten der
deutschen Frau das Rauchen und den Ge-
brauch kosmetischer Mittel, und entsetzten
sich über die Verworfenheit von Frauen-
zimmern, die es wagten, ihre Beine zu
zeigen. Die Nacktheit iin Bilde war wie-
der frivol geworden, und man mußte schon
schamhaft die Hände vors Gesicht halten,
tim das Anstößige verstohlen, aber eifrigst
durch die Finger zu betrachten — alles
unter dem Mantel der „Gesinnung". —
Bis es schließlich unserem Propaganda
ininister zu bunt wurde und er einmal
offen aussprach, daß der lebensbejahende
Nationalsozialismus gegen eine gesunde
Erotik nicht das Geringste einzuwendcn
babe, und siehe da! plötzlich öffneten die
Sittenprediger von gestern ihre Schleusen
tind überboten sich an Darstellungen, die
man in Paris, gelinde gesagt, als reichlich
frei anseben würde. VTun haben wir die
edle Nacktheit, wo sie den schönen Men-
schen zeigte, gepflegt, solange wir für die
„Jugend" verantwortlich zeichnen. Doch
fühlen wir keine Veranlassung, in unseren
Darstellungen mit jäher Plötzlichkeit den
Reizwert der llnterwäsche zu erproben.
Da wir bisher keine Mucker waren, haben
wir auch jetzt nicht das Bedürfnis, einen
Überschuß an Sinnlichkeit zu entfesseln,
wir glauben deshalb, daß unsere Leser es
uns nicht übelnehmen werden, wenn wir
unserer bisherigen Linie treu bleiben.
Distanz
rofeffor Zilch — in Wirklichkeit heißt
er anders — lebt mit seiner Haushälterin,
Frau Schmitt, in einer Villa in Bogen
hausen. Er Kält aus würde und Anstand,
der Professor, und steht bei seinen Stu-
denten in gebührender Achtung, während
des Faschings nun hatten seine Studenten
ihn zu einer fröhlichen Rneiperei aufge-
sordert. Dabei zeigte es sich, daß der
zugeknöpfte Professor durchaus kein Spiel-
verderber war, daß man mit ihm Pferde
stehlen konnte, wenn nur welche dagewesen
wären. Professor Zilch gefiel der Abend
in der Tat so gut, daß er die jungen
Leute für den folgenden Abend zu sich
einlud. Am nächsten Tage wandelte ihn
jedoch ein leichter Rater an, der ihn wie-
der tim einige Grade abkühlte. Gb wir
der Haushälterin Blumen mitbringen,
fragte Tbeo, der Student, einen seiner
Rameraden. Nicht nötig, meinte der
andere, er siezt sie. Via, wer weiß, meinte
Tbeo und brachte Blumen. Als der Pro-
fessor gegen halb neun seine Gäste
empfing, machte er einen etwas frostigen
Eindruck, den auch die Blumen nicht ver-,
scheuchten. Frau Schmitt, rief er — mit
Distanz — durch die Tür. Bringen Sic
uns doch bitte mal die Bowle! —
wenngleich wir hier in einer Bierstadt
leben, so galt es doch für den in Bonn
studierten Professor als Axiom, daß man
Studenten mit Bowle bewirten müsse.
Da er ferner eine erhebliche Semesterzahl
in Berlin zugebracht hatte, hielt er es für
Ehrensache, daß man tüchtig Zucker hin-
einwerfen müsse, um am nächsten Tage
die nötigen Kopfschmerzen zu erzielen. —
Frau Schmitt, ries Professor Zilch. lind
Frau Schmitt, deren guterhaltenes
Äußere oftmals die Blicke der Studenten
auf sich zog, mußte wiederholt die Bowle
bringen. Als sie jedoch zuletzt nicht gleich
erschien, ging der Professor selber. Ge-
rade als er wieder mit der Bowle ins
Zimmer trat, brach der Henkel ab und das
Gefäß fiel mit Rrach auf den Boden. In
diesem Augenblicke trat die Haushälterin
ein. Oskar, schrie sie, wie oft habe ich dir
gesagt, daß du nicht am Henkel anfassen
sollst. Es war doch nur geleimt! —
Siehst du, flüsterte Theo, ich habe doch
recht gehabt!
Seufzer
Ein Münchener Gerichtsvollzieher be-
suchte vor einiger Zeit das Grüne Gewölbe
in Dresden, die Schatzkammer der sächsi-
schen Könige, reich gefüllt mit Diademen,
Fiirstenkronen und Goldschmiedekunst aller
Herren Länder.
Der Beamte schritt durch die kostbaren
Räume.
Dann konnte er den Seufzer nicht länger
im Busen bewahren:
„Hier, wenn inan da einmal pfänden
dürfte!!"
Hoffnung
»Tt eben uns faß, in einer Atifführung
von Tristan und Isolde, ein biederes Ehe-
paar vom Lande. Offenbar hatten die
beiden sturmerprobten Eheleute wenig
Verständnis für die Liebespein des Melden
und der schönen Irin. Sie atmeten erleich-
tert a:if, als Tristan auf seinem Siechbettc
endlich zusammensank. Als aber der Tod-
wunde sich bei Isoldes letztem Erscheinen
nochmals aufraffte, raunte unsere Nach-
barin ganz entsetzt ihrem Gatten zu: „O
mei, jetzt wird er wieder!"
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