Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
SALOME IM I> O R F E

X>on v^. XO. B ü r k m a v e r

ie Vroni war ein Prachtmadel, hoch-
gewachsen, mit klugen Rehaugen, einem
selbstsicheren Schritt und einem ständigen
Lächeln in ihrem frischen Gesicht. Rein
Wunder, daß die Burschen des Dorfes
ihr nachliefen wie die Rücken der Henne.

Aber Vroni machte sich nichts aus
diesem Gefolge, nur einer hatte es
fertiggebracht, daß sie sich in Gedanken
mit ihm beschäftigte — der Martl, der
Sohn vom Obern Wirt. Die Vroni er-
faßte sogar im Laufe der Zeit eine nicht
geringe Leidenschaft für den Burschen,
ein Umstand, der aber in erster Linie
darauf zurückzuführen war, daß der
Martl so gar nichts von ihr wissen
wollte. Sie konnte ihm noch so schöne
Augen machen, sie konnte ihn durch alle
möglichen Rleinigkeiten merken lassen,
daß er ihr nicht gleichgültig war — es
nutzte nichts, der Martl blieb kalt und
abweisend.

nun war die Vroni zwar ein aufge-
schlossenes Menschenkind, nicht dumm und
paßte in die Welt. Aber den Hang zum
Aberglauben, ein Erbteil ihrer Mutter,
konnte sie nicht ablegen. So kam es, daß
in ihr Gedanken aufstiegen, ob es nicht
möglich war, den Martl durch geheime
Rrafte zu gewinnen. Da gab es doch so
Rrauter, Safte, Liebestranke und der-
gleichen — warum sollte sie es nicht mit
solch' einem Mittel versuchen- Zum Glück
lebte ja auch ein Weib im Dorf, das
wissen um all' diese Dinge besaß. Die
alte wamblerin hatte doch auch der
Mutter oft genug aus allerlei nöten ge-
holfen.

Als es gar nicht mehr auszuhalten war,
wagte sie den Gang zur Hütte der
wamblerin. was die Alte machte, wo-
von sie lebte, wußte kein Mensch genau.
Man sab sie im Wald Herumstreifen,
Holz und Beeren sammeln, die meiste Zeit
aber saß sie in ihrer Hütte, umgeben von
einem halben Dutzend gefleckter Ratzen
und mummelte vor sich hin.

Aus die Bitte der Vroni wußte die
Alte gleich einen Rat. „Ein Büscherl
rote Männerhaar mußt' mir b'sorgen",
sagte sie und grinste mit ihrem zahnlosen
Mund. „Dann werd'n wir weiter seh'n.
Bringst es halt her, wenn du's hast."

Ein Büscherl rote Männerhaar! wie
sollte Vroni an so etwas kommen- Sie
überlegte, ging im Geist die ganzen männ-
lichen Dorfbewohner durch — der einzige,
der über eine rote Pracht auf dem Ropf
verfügte, war der Schullehrer. Aber wie
sollte sie an den herankommen? Die
Haare durften ja nicht freiwillig gegeben
werden, sondern mußten ohne wissen des
Besitzers abgeschnitten werden.

Ein Mensch, und noch dazu ein Weib,
das mit allen Mitteln zu einem Ziel ge-

langen will, kommt schon auf Auswege.
Auch die Vroni fand einen. Der Loiserer
Hias mußte ihr helfen. Das war einer
von denen, der für ein gutes Wort von
ihr den Teufel aus der Höll' geholt hätte.

Eine solche Heldentat war nun nicht
nötig, die Vroni wollte ja nur, daß er
ihr ein Büscherl Haare vom Lehrer be-
sorgte. Der Hias zwar fragte ein um's
andere Mal: „wozu brauchst denn das?",
aber darauf gab's keine Antwort. Auch
über die Belohnung schwieg sich die
Vroni aus. Auf des Hias Frage, ob sie
ihm dann ein bisserl gut sein würde, be-
kam er ein mageres „vielleicht" zu hören.
Anscheinend aber genügte dem Verliebten
diese Antwort, denn — ein anderer
Herodes — er versprach ihr das Ver-
langte vom Haupt des Lehrers zu be-
schaffen.

So schnell ging das aber nun nicht,
wie sich's der Hias gedacht hatte. Es gab
nur die Möglichkeit den Raub am Ropf
des Lehrers auszuführen, wenn der Schul-
mann schlief. Ein Umstand allerdings war
günstig — der Lehrer schlief immer bei
offenem Fenster, auch wenn es draußen
kalt war. So konnte man in's Zimmer
steigen und sein Glück versuchen. Der
Lehrer war ja auch ein Lediger, eine
Störung durch ein Eheweib war also nicht
zu befürchten.

So um Lichtmeß 'rum wagte es der
Hias. Das Fenster stand offen, beim
Lauschen konnte man den Lehrer schnar-
chen hören. Mit aller Vorsicht stieg der
nächtliche Besucher auf's Gesims, kroch
in der Stube auf allen Vieren in die
Ecke, wo er das Bett wußte. Eine
Taschenlampe hatte er sich mitgebracht
und leuchtete damit über die Rissen.
Darauf lag des Lehrers Ropf, der
Mund stand ein wenig offen. Aber —
was war das? Dem Hias kam ein
Schlucken in den Hals, mit weitauf-
gerissenen Augen glotzte er auf das Merk-
würdige -nicht ein Haar war auf

dem Ropf zu sehen: Ein vollkommen

nackter Schädel glänzte aus dem Linnen-
weiß. Von all' der roten Pracht, über

A. O.Köpf

die sich die Dörfler so gerne lustig
machten, war nichts zu sehen.

wie kann ein Mensch in ein paar
Stunden „plattet" werden? ging's dem
Hias durch den Ropf. Und ausgerechnet
jetzt, wo er die roten Haar' so nötig
gebraucht hätte! Der Bursch' unter-
drückte einen Fluch und wollte zurück-
schleichen, da streifte der Schein der
Lampe über das nachtkästchen und machte
etwas Unbekanntes rötlich aufleuchten.
Der Hias stutzte, sah genauer hin — und
wußte Bescheid über des Lehrers plötz-
liche Ropfwandlung. OK, saxendi, der
Lehrer trug ja eine peruck'n! Fein
säuberlich lag sie aus der nachttisch-
platte, ein flammendes Zeichen mensch-
licher Eitelkeit. Ein Griff — und der
Hias hatte sie eingesteckt. Unbemerkt wie
er gekommen, entfernte er sich dann.

Zum Erstaunen des ganzen Dorfes war
der Lehrer am Tag nach dem nächtlichen
Besuch krank. Er verließ das Haus nicht,
die Rinder hatten unerwartete Ferien.
Der Hias kannte die Ursache der „Rrank-
Keit", aber er schwieg aus begreiflichen
Gründen. Die Vroni erhielt von ihm
ein Büscherl rote Haare und sie eilte
damit hocherfreut zur alten wamblerin.
Statt nun aber von dieser Ausschluß über
das weitere Vorgehen an Hand der
„wunderhaare" zu erhalten, wurde ihr
ein merkwürdiger Bescheid. „Oh mei'",
sagte die Alte, „die Haar kann i net
brauch'«! Die san ja falsch!" Trotz aller
Versicherungen der Vroni, daß die Haare
doch g'wiß und wahrhaftig vom Ropf
eines lebenden Menschen abgeschnitten
worden seien, blieb die wamblerin bei
ihrer Behauptung. Die Vroni glaubte
nun nichts anderes, als daß sie der Hias
betrogen hätte und spuckte Gift und Galle
auf ihn. Aber der also Beschuldigte
schwieg mannhaft — er wollte dem
Lehrer, der doch eine gute Haut war,
die Schande der Offenbarung des Haar-
geheimnisses nicht antun. Einer kleinen
Bosheit aber konnte er sich nicht er-
wehren. Als der Lehrer wieder sichtbar
wurde — natürlich mit einer neu be-
schafften Perücke — grüßte ihn der Hias
auf dem Rirchgang und stellte sich ihm
in den weg. „Ah, der Herr Lehrer!
wieder g'sund? So ist's recht. Und wie
das Rranksein aus Ihre Haar g'wirkt
hat! Ganz jung und frisch schauen die
jetzt wieder aus! Möcht' man grad
meinen, sie wären über nacht neu
g'wachs'n!" So boshaft sprach der Hias.
Der Lehrer stutzte einen Augenblick nach
dieser Rede, sucht nach einem Spott in
des Hias' Gesicht. Aber da war davon
nichts zu merken. So ein rechter Dorf-
bursch kann sich schon beherrschen, wenn's
auf einen Spaß ankommt.

402
Register
Hans Willi Bürkmayer: Salome im Dorfe
A. O. Köpf: Vignette
 
Annotationen