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JUGEND

43. JAHRGANG 1 938 /NR.36

Programm Nummer 13

VON HANS EMIL D IT S

ie Zuschauer, die sich um die hell-
erleuchtete Manege des Wanderzirkus
Brandozo scharten, lachten über die
Spasse der drei Clowns, die mit ausge-
lassenen Sprüngen dem Ausgang zu-
liefen, um der nächsten Nummer Platz zu
machen. Direktor Brandozo verstand sich
auf sein Geschäft und wußte jede Pro-
grammnummer nach dem Geschmack der
Zuschauer zuzurichten. Die Rapelle spielte
einen schneidigen Marsch, der mit einem
jähen Tusch abgebrochen wurde, plötzlich
war das ganze Zelt in Dunkelheit gehüllt,
nur der gleißende Strahl eines Riesen-
scheinwerfers war auf den rotsamtenen
Vorhang des Eingangs gerichtet. Augen-
blicklich verstummte das übermütige
Lachen und gespannt sah alles, wie sich
der faltige Samt teilte rmd Baby Great
auf ihrem prachtvollen Schimmel langsam
in die Manege ritt.

Kunstreiterinnen sind eine ständige
Hummer in jedem Zirkusprogramm, aber
mit Baby Great hatte es eine besondere
Bewandtnis. Und auch das hatte Direktor
Brandozo sofort erkannt. Babys Reit-
künste lagen eigentlich unter dem Durch-
schnitt, doch war sie eine junge und vor
allem eine sehr schöne Frau. Ihr Rostüm
betonte die edlen Linien ihrer vollendeten
Gestalt und das blonde Haar leuchtete wie
Gold im flimmernden Licht der Schein-
werfer.

Atemlos blickte das Publikum auf die
faszinierende Erscheinung und niemandem
fiel es auf, wie Beppo, der Clown, mit
seinem weiß geschminkten Gesicht, leise an
den Rand der Manege trat. Seine Augen
hingen wie gebannt an Baby und funkel-
ten in dem von einer dicken Schmink-
schicht überzogenen Gesicht, wahrend er
jede Bewegung Babys verfolgte, dachte er
daran, wie er hellte kurz vor der Vor-
stellung vorsichtig in Babys wagen ge-
schlichen war und dieses wundervolle
Geschöpf an sich gerissen hatte. Und sie
hatte liebevoll sein dichtes braunes Haar
gestreichelt. Das ging nun schon seit
Tagen so und Albert, Babys Mann, hatte
bis jetzt noch nichts gemerkt.

Albert trat unter dem Hamen Rahsan
auf und war seinem Berufe nach Schlan-
genbeschwörer. Beppo haßte ihn. Hicht
weil er zufällig Babys Mann war, nein,
er hatte schon seit jeher eine unüberwind-
liche Abscheu vor Albert gehabt. Er konnte
es nicht mit ansehen, wie er seine ekel-

haften Reptilien dem Publikum vorführte.
Dem Clown jagten diese Tiere Furcht lind
Schrecken ein. lind gerade das hatte
Albert bald bemerkt, lind von diesem Tage
an mußte Beppo sich in seinen Ängst-

ig e c li n e r

Der lachende Philosoph

Bist du groß und weise, dann weißt
du, daß du nichts weißt! — Bist du
stolz auf Wissen? Dann bist du gelehrt,
aber nicht weise! — Bist du gar hoch-
mütig? Dann bist du weder gelehrt, noch
weise, sondern dumm!

*

Du möchtest stets in guter Gesellschaft
sein? Dir selbst kannst du nie ent-
ziehen! Sorge deshalb, daß du stets in
guter Gesellschaft bist!

*

Das Leben läßt sich nicht in tote For-
meln pressen, die man auswendig lernt
und gehorsam ausführt: es muß jeden
Augenblick neu gelebt werden.

*

Willst du Herr sein über die kleinen
Dinge des Alltags? Dann müssen sich die
Dinge nach di r richten, nicht du n a c h
den Dingen!

*

Du kannst innerlich an nichts anderem
zugrunde gehen, als an dem Mangel an
Selbstvertrauen!

zu standen vor den Zuschauern produzieren.
Beide ernteten reichen Beifall, Albert
wegen seines Bandigungsaktes und Beppo
wegen seines komischen Entsetzens. Darum
Haßte der Clown den Schlangenbeschwörer.
Aber die kleine Baby liebte er und konnte
in Gedanken an sie sogar seine Furcht vor
den widerlichen Tieren vergessen. Als
Beppo Heute alls Babys wagen kletterte,
sah er Albert in einiger Entfernung bei
seinem Schlangenterrarium stehen. Vor
einigen Tagen hatte Albert eine Klapper-
schlange erhalten, deren Giftzahne morgen
entfernt werden sollten, um das Tier für
die Vorstellungen ungefährlich zu machen.

wahrend Beppo den Reitkünsten Babys
zusah, zerbrach er sich den Kopf, ob
Albert wohl etwas von seiner Liebe zu
Baby bemerkt haben mochte. Erst der
schallende Beifall des Publikums riß ihn
aus seinen Traumen. Babys Hummer
war zu Ende. Als der Schimmel an ihm
vorüberritt, erhaschte er ihren Blick und
seine Bedenken waren vergessen, als er
ihre blauen Augen mit inniger Zärtlichkeit
auf sich gerichtet sah. Er starrte noch
lange auf den langst wieder geschlossenen
Vorhang; und als ihn der Direktor an-
rief, kehrte er nur widerwillig in die
Wirklichkeit zurück.

„Rasch fertigmachen,Beppo! Hummer 13
kommt, Ihr Auftritt mit Albert!"

wenige Minuten spater standen die
beiden im Licht der Manege, den neugie-
rigen Blicken der Zuschauer ausgesetzt.
Albert öffnete eine der Kisten und lang-
sam krochen die häßlichen Schlangen her-
aus. Beppo glaubte ein höhnisches Lächeln
um Alberts Mundwinkel zu sehen. 2llso
hat er doch schon etwas bemerkt, schoß es
dem Clown durch den Kopf. Gut, daß die
Schminke so dick war, sonst wäre 2llbert
wohl die Blaffe Beppos ausgefallen.

Das Publikum war von dem Clown
entzückt, der vor den Schlangen immer
Reißaus nahm und spendete heute mehr
Beifall als sonst. Dabei spielte Beppo
nicht, seine Furcht wuchs von Minute zu
Minute, denn Alberts Blick war ständig
auf ihn gerichtet. Er sieht selbst wie eine
Schlange aus, dachte Beppo. Dann kam
der unangenehmste Teil der Hummer )z.
Beppo mußte programmgemäß nieder-
fallen, eines der großen Reptilien schlang
seinen glatten, kalten Leib in Spiralen um
seinen Körper und 2llbert blies dazu eine
eintönige Melodie auf seiner Flöte.
Register
Hans Emil Dits: Programm Nummer 13
[nicht signierter Beitrag]: Der lachende Philosoph
Karl Lechner: Zeichnung ohne Titel
 
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