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VON RUDOLF SPITZ

a, da staunt ihr, ihr grünen Jun-
gens", dröhnt des alten Brandis mächti-
ger Bariton am Boxstammtisch, „wenn
ihr hört, daß unser Adolf genfer sich die
Rrone holen will. Es gibt eben noch so
etwas wie sportlichen Ehrgeiz, der aus die
finanzielle Seite pfeifen laßt, der mir
eines kennt, Rampf und nochmals Rampf
um des Rampfes willen. Glaubt ihr etwa,
daß er es nötig hatte? Bestimmt nicht,
aber er will der Welt beweisen, daß er
tatsächlich der beste Halbschwergewichtler
ist. Doch was versteht ihr davon, was
ahnt ihr von der Leidenschaft eines 'Doll-
blutboxers — ihr, die ihr euch die Birnen
vollklopft, um dann heimzulausen und der
Mutter die Schurze vollzuheulen."

Brandis anekdotisch angehauchte Ader
war zum Durchbruch gekommen.

„Da will ich euch eine Geschichte erzäh-
len, die ich selbst miterlebt habe und die
so traurig ist, daß mir heute noch die
Tranen kommen. Es war vor Jahren,
als Hier im Berliner Sportpalast dieses
größte aller Dramen abrollte.

XOiWi Mahron und Streb waren dicke
Freunde. Sie druckten miteinander die
Schulbank, besuchten zusammen den Tanz-
kurs und fingen auch das Boxen an,
genau so wie ihr. Doch wahrend Willi
Mahron sich in kleinen Ringen herum-
schlug, begann Streb einen meteorhaften
Aufstieg, was kam, schlug er. Er schlug
sie nicht nach Punkten, er vernichtete sie.
Seine rechte Hand kam pfahlartig und
war mit Dynamit geladen. Aber sie blie-
ben Freunde, Streb, der große Boxer,
und Mahron, der niemand war. Da kam
jenes Element in ihre Freundschaft, das
alle Freundschaften zerstört: die Frau. Sie
war schön, ja, Jungens, ich will ver-
dammt sein, wenn meine alten Augen
jemals eine schönere Frau gesehen Haben,
und sie verliebte sich in Mahron, den
kleinen, unbekannten Mahron. Und
Streb? Sah mit Augen, die brannten
vor Liebe, wie die beiden im Wunder
unbegreiflichen Glückes vergingen. Er
konnte es nicht mehr mit ansehen, er ging
fort, weit fort — um zu vergessen. Seine
Handschuhe hing er an den Nagel.

Ein Jahr war vergangen, da begann
Streb wieder zu boxen, denn es ging ihm
mehr als schlecht, wieder errang seine
furchtbare Schlagkraft Erfolg um Erfolg.
.Tiger- nannte man ihn, und bei Gott,
Jungens, nie hat ein Boxer mehr den
Titel verdient als er, der mit tödlicher
Verbissenheit seine Gegner zersetzte,
schlug, daß sich ihre Rörper bäumten. Er
war damals in Frankreich, als er aus
Deutschland ein Angebot bekam, um die
Europameisterschaft zu boxen. Ohne zu
überlegen unterschrieb er. Als er jedoch

auf der Waage stand, sah er, daß sein
Gegner Willi Müller — sein einstiger
Freund Mahron war. Er bemerkte nicht,
daß Mahron um einen Schatten blasser
wurde, nur reine kindliche Freude über
dieses unerwartete Wiedersehen strahlte
aus seinen Zugen, als er ihn Herzlich
begrüßte und sich nach dem Befinden von
Nanette erkundigte. Schwer und wie Blei
lag plötzlich Mahrons Hand auf Strebs
breiter Schulter, Hör mal, Georges,
Nanette ist schwer lungenkrank. Sie
kostet mich wahnsinnig Geld und — und
du weißt — der Sieger bekommt zo pro-

Der lachende Philosoph

Betrachte jeden Augenblick deines
Lebens als etwas Leeres; lulle dieses
Leere mit einem Inhalt, der für dich und
deine Zeit Wert besitzt. — So wirst du
Herr über die Zeit!

*

Vergessen öffnet neuem Denken die
Tür; Erinnerungsgebundenheit hält sie
verschlossen.

Erwarte nicht die Verwirklichung deiner
Ideale durch die menschliche Gesellschaft;
sie muß aus dir selbst kommen!

*

Das Leben ist eine Landstraße, ein-
schneidende Erlebnisse die Meilensteine.
Gehe an diesen Meilensteinen vorbei
und belaste dich nicht damit!

zent mehr. Bittend richteten sich seine
Augen auf den Freund. Zuerst begriff
Streb nicht — aber dann sah er klar und
eine wilde unsinnige Wut packte ihn.
war es nicht genug, daß er ihm die Frau
weggeschnappt Hatte? wollte er ihm nun
auch noch den fast sicheren Titel nehmen?
,nic!‘ schrie er und wandte sich brüsk ab.
Bis auf den letzten Platz war der Sport-
palast gefüllt. Fieberhafte Spannung
lagerte über den Massen, als mit dem
Gongzeichen der .Tiger- aus seiner Ecke
stürzte. Es kam so, wie es alle Box-
experten prophezeiten-. Mahron war ein
geschlagener Mann. Er kam nicht zur
Gegenwehr, zum Angriff, er konnte nur
die Hände zur Doppeldeckung empor-
reißen, um diesen furchtbaren Schlag-
serien standzuhalten. Das waren keine
Schlage mehr, das waren Reulenhiebe
eines Giganten. Die zweite Runde war
nicht anders. Erbarmungslos führte
Streb sein Vernichtungswerk fort. Es
war in der dritten Runde, als das Ende
kam. wieder landete Streb einen Schlag,
hinter dem jeder Zoll feines Rörpers lag
und Mahron fiel in die Seile, erhob sich
taumelnd und wieder hob Streb die Faust
zum vollstreckenden Schlag. Mit einem
Ruck erhoben sich )o ooo Zuschauer, um
die Vollendung der Tragödie mitzuer-
leben, schon rasten die Bleistifte von iro
Pressevertretern über das Papier, um den
phantastischen Sieg des Einen, die helden-
hafte Niederlage des Andern festzuhalten,
schon setzte der Rundfunksprecher ein,
schon machte der Ringrichter die zahlende
Geste, da schrillte ein Schrei auf, ein
weiblicher Schrei — erfüllt von wahn-
sinniger Angst. Schon halb im Schlag,
Hörte Streb den Schrei, sah fluchtig die
Frau, die er liebte, mit angstvoll gewei-
teten Augen, nahm das bleiche, abge-
härmte Gesicht in sich auf, dann landete
sein Hieb-weit unter der Gürtel-

linie."

Brandi senkte den Ropf und seine
Stimme war erfüllt von Wehmut.

„Er wurde disqualifiziert. Mahron
war Sieger... — Streb ging hinaus,
begleitet von dem Johlen und den
Schmährufen der Menge, er sah nicht
links, er sah nicht rechts, es war alles in
ihm tot und ausgebrannt. Er ging durch
den Gang zur Rabine, als eine Frau auf
ihn zutrat. Ihre Hand hämmerte wild
auf feiner Brust. .GH, du Feigling, war-
um hast du Willi tief geschlagen!?' Streb
sah sie an, für einen Augenblick glaubte
er sie zu kennen, dann starrte er über sie
Hinweg, was wollte die Frau von ihm,
wer war sie eigentlich? wieder hoben sich
seine müden Beine... Streb hatte seinen
letzten Rampf gemacht..."
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[nicht signierter Beitrag]: Der lachende Philosoph
Rudolf Spitz: Sein letzter Kampf
 
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