SCHICKSALE BERÜHMTER GEMÄLDE;
Der Isenheimer Altar
etreten wir einmal im Geiste die
Schwelle des )6. Jahrhunderts. Ein un-
geheurer Schöpferwille geht durch diese
Zeit, wir sehen Michelangelo die Decke
der Sixtina malen, Tizian seine „himm-
lische und irdische Liebe", wir sehen Dürer
an seinem Heller-Altar, Raffael an den
Stanzenbildern des Vatikan arbeiten, und
wir sehen Matthias Grünewald prüfend
vor seinem Kolossalwerk stehen: dem
„Isenheimer Altar". Von diesem allein
soll hier die Rede sein. Denn es mag mit
zu seinem Schicksal gehören, daß man sich
bis weit ins neunzehnte Jahrhundert hin-
ein nicht über seinen Schöpfer im klaren
gewesen ist. Um so starker war die
mythische Kraft, die früh von dem gewal-
tigen Werk ausging, wenn auch kurz nach
dem Tode Grünewalds die Meinungen
über seine Kunst hart aufeinander prallten.
Der Berühmtheit der Bilder Grüne-
walds hat aber die da und dort auf-
tauchende Feindschaft und das Rätsel um
die Person des Meisters keinen Abbruch
getan. Jm Gegenteil, versetzen wir uns
einige Jahrhunderte zurück: von überall
her, von Fürsten, Königen und Kaisern
laufen Angebote ein, um die (Originale zu
erwerben. So bemüht sich )907 und in
den folgenden Jahren unablässig der habs-
burgische Kaiser Rudolf II. um die Altar-
bilder, um sie seiner Prager Kunstsamm-
lung einzuverleiben. Der damalige Ver-
walter des Stiftes in Jsenheim aber,
Franziskus Beer, widersteht jeder Ver-
suchung. (Am Rande mag vermerkt wer-
den, daß in den Annalen als Stifter des
Hochaltars ein Italiener, Guido Guersi,
von 1403 bis 15)6 Prior des Antoniter-
klosters in Jsenheim, genannt wird.) Fast
zur gleichen Zeit versucht Kurfürst Maxi-
milian von Bayern die Gemälde in seinen
besitz zu bekommen. Ein anderer Bewer-
ber ist der Große Kurfürst, der auf seinem
Feldzug gegen den französischen Marschall
Turenne Ende des 17. Jahrhunderts Ge-
legenheit hat, das berühmte Altarwerk zu
bewundern. Aber auch er hat kein Glück,
nicht einmal für eine „namhafte Summe
Geldes", das Werk in seine Hand zu
bekommen.
Unangetastet bleibt, über die Jahr-
hunderte hinweg, der Isenheimer Altar
als Besitz der Stadt Kolmar im Elsaß bis
in die Zeit des hinter uns liegenden Welt-
krieges hinein. Da erst sollte er seine
Feuerprobe bestehen. Unter der wachsen-
den Drohung von Fliegerangriffen faßt
die Stadtverwaltung einen entscheidenden
Entschluß, der auch sofort in die Tat um-
gesetzt wird. In der Nacht vom 13. auf
Dev lachende Philosoph
Der „ungebildete“ Tatmenscli versteht
mehr vom Leben, ist wertvoller für die
Welt, als ein „gebildeter“ Müßiggänger!
*
Wenn du das wahre Ziel deines Lebens
erst am Ende desselben oder gar erst im
„Jenseits“ suchst, hast du am Leben vor-
bei gelebt. — Das wahre Ziel, der alleinige
Sinn deines Lebens sei die tatbereite Er-
füllung des Augenblicks.
*
Nur der lebt wirklich, der sich
selbst, sich ganz für eine Sache ein-
setzt und alles gibt, was die Natur ihm
an Gaben geschenkt.
*
Nicht Abschließung, nicht Flucht vor der
Welt schafft Größe. — Nur der ist groß,
der mit beiden Füßen nüchtern und tat-
froh mitten im Volk, mitten im Leben
steht und e r lebt! — Er wandelt die Welt!
*
Volles Verständnis, volle Erfüllung des
Lebens ist Unsterblichkeit. Sei dir aller
deiner Handlungen im Jetzt voll be-
wußt! — Wahres Leben wurzelt im
Jetzt; nicht im „Jenseits“.
*
Gold scheint wertvoll, weil es
glänzt. Es schmilzt jedoch im Feuer der
Prüfung, die die Härte des unscheinbaren
Stahls überdauert.
14. Februar 19)7 wird das Altarwerk
unter Anwendung aller erdenklichen Vor-
sichtsmaßregeln nach München gebracht
und der Leitung der Alten Pinakothek zur
Aufbewahrung übergeben.
Die Überführung, sobald sie bekannt
wird, ist ein ganz großes Ereignis für
München. Ein ungeheurer Zustrom sämt-
licher Kunstfreunde aus nah und fern
setzt ein und bricht während der ganzen
Zeit der öffentlichen Ausstellung nicht ab,
die der Pinakothek von der Kolrnarer
Stadtverwaltung in dankbarer Weise zu-
gestanden wurde. Die Freude dauert aber
nicht lange. Nach dem Zusammenbruch
des kaiserlichen Deutschlands, genau
11 Monate nach Abschluß der waffenstill-
standsverhandlungen, meldet sich eine Kol-
marer Kommission, um das Kunstwerk
als „neuen französischen Kunstbesitz" wie-
der abzuholen, über diesen 23. September
1010 berichtet der Präsident der Schon-
gauer Gesellschaft als Augenzeuge und
Teilnehmer der neuerlichen Überführung
des Isenheimer Altars und anderer Werke
(in deutscher Übersetzung) folgendes:
„Von Kolmar am 23. September mor-
gens aufgebrochen, kamen wir in München
am andern Tag in den Abendstunden an.
Herr Dornhöffer, der Generaldirektor der
Museen, bereitete uns den besten Empfang
und erleichterte unsere Augfabe, so sehr er
konnte. Die bayerische Eisenbahnverwal-
tung erwies sich ihrerseits ebenfalls sehr
gefällig. Bilder und Skulpturen wurden
uns in sehr gutem Zustand zurückerstattet.
Man lud sie Samstag, den 27. September,
in einen Spezialwaggon mit einem Abteil,
das der Kommission erlaubte, sich darin
einzurichten und von dort gute Hut zu
halten. Der historische Waggon verließ
München Sonntag, den 26. September,
mittags, und fuhr des andern Tags um
Mittag in den Kolrnarer Bahnhof ein.
Auf der ganzen Strecke vollzog sich die
Überführung ohne die mindeste Störung.
In äußerster Vorsicht wurde der Bestand
gegen die Gefahren des Transports mit
einer Summe von sechs Millionen Mark
versichert. Freitag, den 3. Oktober, hatten
unsere Kunstwerke ihren alten Platz im
Museum wieder eingenommen, hoffen
wir, daß nichts auf der Welt nötigen
wird, sie wieder wegzunehmen."
hoffen wir aber auch, so möchten wir
heute hinzufügen, daß der Isenheimer
Altar, von einem deutschen Meister ge-
schaffen, aus nordischem Kunstempfinden
heraus die Verbindung der beiden großen
Kulturnationen, der französischen und der
deutschen, bereichern und vertiefen hilft.
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Der Isenheimer Altar
etreten wir einmal im Geiste die
Schwelle des )6. Jahrhunderts. Ein un-
geheurer Schöpferwille geht durch diese
Zeit, wir sehen Michelangelo die Decke
der Sixtina malen, Tizian seine „himm-
lische und irdische Liebe", wir sehen Dürer
an seinem Heller-Altar, Raffael an den
Stanzenbildern des Vatikan arbeiten, und
wir sehen Matthias Grünewald prüfend
vor seinem Kolossalwerk stehen: dem
„Isenheimer Altar". Von diesem allein
soll hier die Rede sein. Denn es mag mit
zu seinem Schicksal gehören, daß man sich
bis weit ins neunzehnte Jahrhundert hin-
ein nicht über seinen Schöpfer im klaren
gewesen ist. Um so starker war die
mythische Kraft, die früh von dem gewal-
tigen Werk ausging, wenn auch kurz nach
dem Tode Grünewalds die Meinungen
über seine Kunst hart aufeinander prallten.
Der Berühmtheit der Bilder Grüne-
walds hat aber die da und dort auf-
tauchende Feindschaft und das Rätsel um
die Person des Meisters keinen Abbruch
getan. Jm Gegenteil, versetzen wir uns
einige Jahrhunderte zurück: von überall
her, von Fürsten, Königen und Kaisern
laufen Angebote ein, um die (Originale zu
erwerben. So bemüht sich )907 und in
den folgenden Jahren unablässig der habs-
burgische Kaiser Rudolf II. um die Altar-
bilder, um sie seiner Prager Kunstsamm-
lung einzuverleiben. Der damalige Ver-
walter des Stiftes in Jsenheim aber,
Franziskus Beer, widersteht jeder Ver-
suchung. (Am Rande mag vermerkt wer-
den, daß in den Annalen als Stifter des
Hochaltars ein Italiener, Guido Guersi,
von 1403 bis 15)6 Prior des Antoniter-
klosters in Jsenheim, genannt wird.) Fast
zur gleichen Zeit versucht Kurfürst Maxi-
milian von Bayern die Gemälde in seinen
besitz zu bekommen. Ein anderer Bewer-
ber ist der Große Kurfürst, der auf seinem
Feldzug gegen den französischen Marschall
Turenne Ende des 17. Jahrhunderts Ge-
legenheit hat, das berühmte Altarwerk zu
bewundern. Aber auch er hat kein Glück,
nicht einmal für eine „namhafte Summe
Geldes", das Werk in seine Hand zu
bekommen.
Unangetastet bleibt, über die Jahr-
hunderte hinweg, der Isenheimer Altar
als Besitz der Stadt Kolmar im Elsaß bis
in die Zeit des hinter uns liegenden Welt-
krieges hinein. Da erst sollte er seine
Feuerprobe bestehen. Unter der wachsen-
den Drohung von Fliegerangriffen faßt
die Stadtverwaltung einen entscheidenden
Entschluß, der auch sofort in die Tat um-
gesetzt wird. In der Nacht vom 13. auf
Dev lachende Philosoph
Der „ungebildete“ Tatmenscli versteht
mehr vom Leben, ist wertvoller für die
Welt, als ein „gebildeter“ Müßiggänger!
*
Wenn du das wahre Ziel deines Lebens
erst am Ende desselben oder gar erst im
„Jenseits“ suchst, hast du am Leben vor-
bei gelebt. — Das wahre Ziel, der alleinige
Sinn deines Lebens sei die tatbereite Er-
füllung des Augenblicks.
*
Nur der lebt wirklich, der sich
selbst, sich ganz für eine Sache ein-
setzt und alles gibt, was die Natur ihm
an Gaben geschenkt.
*
Nicht Abschließung, nicht Flucht vor der
Welt schafft Größe. — Nur der ist groß,
der mit beiden Füßen nüchtern und tat-
froh mitten im Volk, mitten im Leben
steht und e r lebt! — Er wandelt die Welt!
*
Volles Verständnis, volle Erfüllung des
Lebens ist Unsterblichkeit. Sei dir aller
deiner Handlungen im Jetzt voll be-
wußt! — Wahres Leben wurzelt im
Jetzt; nicht im „Jenseits“.
*
Gold scheint wertvoll, weil es
glänzt. Es schmilzt jedoch im Feuer der
Prüfung, die die Härte des unscheinbaren
Stahls überdauert.
14. Februar 19)7 wird das Altarwerk
unter Anwendung aller erdenklichen Vor-
sichtsmaßregeln nach München gebracht
und der Leitung der Alten Pinakothek zur
Aufbewahrung übergeben.
Die Überführung, sobald sie bekannt
wird, ist ein ganz großes Ereignis für
München. Ein ungeheurer Zustrom sämt-
licher Kunstfreunde aus nah und fern
setzt ein und bricht während der ganzen
Zeit der öffentlichen Ausstellung nicht ab,
die der Pinakothek von der Kolrnarer
Stadtverwaltung in dankbarer Weise zu-
gestanden wurde. Die Freude dauert aber
nicht lange. Nach dem Zusammenbruch
des kaiserlichen Deutschlands, genau
11 Monate nach Abschluß der waffenstill-
standsverhandlungen, meldet sich eine Kol-
marer Kommission, um das Kunstwerk
als „neuen französischen Kunstbesitz" wie-
der abzuholen, über diesen 23. September
1010 berichtet der Präsident der Schon-
gauer Gesellschaft als Augenzeuge und
Teilnehmer der neuerlichen Überführung
des Isenheimer Altars und anderer Werke
(in deutscher Übersetzung) folgendes:
„Von Kolmar am 23. September mor-
gens aufgebrochen, kamen wir in München
am andern Tag in den Abendstunden an.
Herr Dornhöffer, der Generaldirektor der
Museen, bereitete uns den besten Empfang
und erleichterte unsere Augfabe, so sehr er
konnte. Die bayerische Eisenbahnverwal-
tung erwies sich ihrerseits ebenfalls sehr
gefällig. Bilder und Skulpturen wurden
uns in sehr gutem Zustand zurückerstattet.
Man lud sie Samstag, den 27. September,
in einen Spezialwaggon mit einem Abteil,
das der Kommission erlaubte, sich darin
einzurichten und von dort gute Hut zu
halten. Der historische Waggon verließ
München Sonntag, den 26. September,
mittags, und fuhr des andern Tags um
Mittag in den Kolrnarer Bahnhof ein.
Auf der ganzen Strecke vollzog sich die
Überführung ohne die mindeste Störung.
In äußerster Vorsicht wurde der Bestand
gegen die Gefahren des Transports mit
einer Summe von sechs Millionen Mark
versichert. Freitag, den 3. Oktober, hatten
unsere Kunstwerke ihren alten Platz im
Museum wieder eingenommen, hoffen
wir, daß nichts auf der Welt nötigen
wird, sie wieder wegzunehmen."
hoffen wir aber auch, so möchten wir
heute hinzufügen, daß der Isenheimer
Altar, von einem deutschen Meister ge-
schaffen, aus nordischem Kunstempfinden
heraus die Verbindung der beiden großen
Kulturnationen, der französischen und der
deutschen, bereichern und vertiefen hilft.
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