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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 43.1938, (Nr. 1-52)

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SCHICKSALE BERÜHMTER GEMÄLDE:

Nacherzählt von Adolf Hösel

Die Sixtinische Kapelle

s war ein denkwürdiger Tag, jener
io. Mai )5o6, an dem Michelangelo sich
anschickte, das Deckengewölbe der Six-
tinischen Rapelle, der Privatkapelle des
Papstes im Vatikan, zu malen. Durch
seine künstlerische Tat hat einer der größ-
ten Meister aller Zeiten die Sixtina zur
Weltberühmtheit erhoben, wer aber weiß
heute noch, welch ungeheurer Einsatz an
künstlerischem Mut, an Ausdauer und
Energie nötig war, um den Auftrag ohne
Stocken auszuführen und das Riesenwerk
bis zu seinem glücklichen Ende fertigzu-
stellen? Beinahe einen Akt der Selbstauf-
gabe bedeutete dieser Einsatz für Michelan-
gelo, der es über sich brachte, in jahre-
langer unermüdlicher Arbeit Ruhe und
Gesundheit zu opfern; und einem weniger
Zähen, von der Unbedingtheit des Schaf-
fens nicht restlos überzeugten Künstler
wäre es auch kaum gelungen, über die
vielerlei Widerstande, die sich der Ausfüh-
rung und künstlerischen Vollendung des
Werkes entgegenstellten, Herr zu werden.
Schien es doch, als ob von Anfang an ein
mißgünstiges Geschick dem Meister ins
Handwerk pfuschen und seine grandiose
Schöpfung, eh sie begonnen, vereiteln
wollte.

Zum erstenmal zeigt sich des Schicksals
Ungunst in Gestalt des Renaissance-Bau-
meisters Bramante. Dieser heimliche
Feind Michelangelos hatte das Gerüst
gemacht. Aber welches Gerüst: Da hangt
es schwankend in ungeeigneten Seilen und
als Michelangelo die Rapelle betritt, um
sich an die Arbeit zu machen, bemerkt er,
daß die Wölbung über und über mit
Löchern durchbohrt ist. Auf seine Frage
an Bramante, wie denn die Locher beseitigt
werden sollen, wenn er mit dem Malen zu
Ende sei, antwortete dieser achselzuckend,
das könne ihm vorerst ganz gleichgültig
sein. Michelangelo ahnt nichts Gutes. Er
wendet sich kurzerhand an den Papst und
beschwert sich bei ihm über das verständ-
nislose, wenn nicht seltsame Vorgehen
Bramantes. Der Papst aber bestellt nicht
etwa einen anderen Baumeister, sondern
macht Michelangelo den Vorschlag, er
möchte sein Gerüst selbst machen, so wie er-
es für gut finde. Das laßt sich der Meister
nicht zweimal sagen und er hatte bald
Mittel und Wege gefunden, ein neues
Gerüst auf Stützen herzustellen. Die
Arbeit konnte beginnen.

Michelangelo malt eine ganze weile.
Und schon ist er mittendrin. Doch was
geschieht? Der erste Bewurf für das
Fresko fallt ab. Eine neue Mischung muß

gefunden werden und ein Freund Michel-
angelos macht sich außerdem auf den weg,
in Florenz ein paar Gehilfen anzuwerben.
Sie bringen die zweite Enttäuschung für
den Meister. Er muß einen nach dem
andern wieder entlasten und alles, was sie
gemacht hatten, wieder abkratzen, wieder
steht Michelangelo vor dem Anfang, nun
mit dem Bewußtsein, ganz allein, ver-
trauend auf die Größe des eigenen Genius,
die Riesenleistung, (das Deckengewölbe der
Sixtina zeigt ungefähr ^40 Figuren), zu
vollbringen. Ein volles Jahr arbeitet
Michelangelo, Tag für Tag von der

Der lachende Philosoph

In die Tiefe deines eigenen Wesens und
in die Seele deines Volkes vermagst du
erst zu dringen, wenn du dich befreit hast
von allen Vorurteilen.

*

Vielleicht erscheint auch dir das Leben
kompliziert? — Gewöhne dich an ruhiges,
sachliches und vorurteilsfreies Denken
und du wirst dessen Einfachheit erkennen!

Im wahren Verständnis deines eigenen
Wesens liegt der Schlüssel zur Lösung
aller Probleme.

*

Aus der Verbundenheit des Menschen
mit den kosmischen Urkräften, dem Boden,
der Heimat, erwachsen die Ordnungen der
Welt; nicht aus erklügelten, philosophi-
schen Systemen.

Außenwelt abgeschlossen und das Unmög-
liche an körperlicher Widerstandskraft
aufbietend. Sein Schüler Vasari berichtet,
daß sich der Meister durch seine Arbeits-
weise, teils auf dem Rücken liegend, teils
mit zurückgelehntem Ropf auf dem Gerüst
stehend, die Augen so gründlich verdorben
hatte, daß er monatelang nicht mehr lesen
und Bilder nur mehr von unten nach oben
betrachten konnte. Michelangelo merkt zu-
nächst nichts davon, im Fieber der
Schaffenslust achtet er nicht auf sich selbst,
er nimmt sich nicht einmal genügend Zeit
zum Esten, bis er glücklich das erste Drittel
der Decke vollendet vor sich sieht. Doch
wehe! Michelangelo muß erleben, daß noch
keine Zeit ist für Freude und Dank. Sein
überströmendes Glücksgefühl macht einer-
tiefen Verzweiflung Platz: das unter
unerhörten Mühen geschaffene Werk be
ginnt — zu schimmeln. Als dann noch der
Papst seine Ungeduld äußert, ja mit dem
Stock nach dem Meister schlagt und ihm
die Besoldung verweigert, ist Michel-
angelo untröstlich. Aus jener Zeit stammt
ein Brief, den er an seinen Vater gerichtet
hat: „Ich lebe hier unzufrieden, nicht allzu
sehr gesund und unter großer Mühsal,
ohne Aufwartung und ohne Geld; doch habe
ich gute Zuversicht, daß mir Gott helfen
wird."

Das Vertrauen in das Schicksal und
seine Runst laßt Michelangelo auch dies-
mal Sieger sein. Und so wagt er noch ein-
mal den Einsatz seiner ganzen, starken und
schöpferischen Persönlichkeit. Er laßt sich
auch nicht beirren durch die eigenwilligen
Wunsche des unbeherrschten Papstes,
Julius II., der, wenn auch ein Freund und
Mäzen der Runst, ihm mehrmals gedroht
hatte, ihn vom Gerüst herunterwerfen zu
lasten, wenn er nicht bald feinen Auftrag
zu Ende brachte. „Ich werde fertig sein,
wenn ich der Runst genüge getan habe",
antwortete Michelangelo und nach ? Jahren
neuer, ununterbrochener Arbeit war er
soweit.

Es kommt der 31. Oktober I5ir. Der
Papst liest in der Rapelle die Nieste und
Michelangelo, nachdem er in fieberhafter
Eile die letzten pinselstriche getan hatte,
zieht den Vorhang von seinem Werk, zum
Entzücken des „heiligen Vaters" und zur
staunenden Bewunderung der ganzen
Stadt, über Rom hinaus aber und das
renaissancefreudige Italien war die Six-
tina, durch das Jahrhunderte über-
dauernde Werk des Meisters, bald im
Munde der ganzen, künstlerisch tätigen und
künstlerisch empfindenden Welt.
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Karl Baur: Vignette
[nicht signierter Beitrag]: Der lachende Philosoph
Adolf Hösel: Die sixtinische Kapelle
 
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