Nordseebad B o r k u m (Aquarell)
Max G r ü 11 e n b e c k
drüben im kleinen See und daher muß
jeder Besucher zuvor die gläserne Brücke
überschreiten."
Er schwieg und blickte vor sich nieder.
Um seine dünnen Lippen lag ein kleines,
erstauntes Lächeln. Nun hob er langsam
die Lider und sah mich an, eine rätselhafte,
gelbe Maske. Und das kleine Lächeln blieb,
als er leise, zuvorkommend, mit eigen-
artiger Betonung fortfuhr:
„Nur wer mein Freund ist — über-
schreitet die gläserne Brücke."
Sein unbewegliches Gesicht stand bronze-
gelb unter der gelben Papierlaterne, die
mit stillem, auffallend Hellem Licht über
uns brannte. Seine dunklen, sehr glänzen-
den Augen blitzten scharf zu mir herüber,
schlau, kühl und lauernd. Da ich nicht ant-
wortete, senkte er langsam den Ropf, als
überlegte er. Dann fielen wie einzelne
Tropfen, unbetont die Worte:
„Die gläserne Brücke urteilt selbst und
— verurteilt. Niemand, der mir Feind ist,
überschreitet sie. Niemand, wer sie aber
betritt und lebend verläßt, ist ein wahrer
Freund — nur der!"
Immer langsamer und schwerer hatte er
gesprochen, als wollte er etwas Besonderes
ausdrücken, als läge in den Worten ein
tieferer Sinn. Ein Hinweis, eine War-
nung, oder — eine Drohung? Diese Art
Huen-Lihs, mit mir zu sprechen, beun-
ruhigte mich mehr, als ich äußerlich zu-
gab. Ich ahnte, fühlte, hier nahte eine
Gefahr, hier bedrohte mich irgend etwas.
Aber was — wo — wie? während des
Schweigens, das Huen-Lihs letzten Wor-
ten folgte, saß er wieder mit niedergeschla-
genen Augen da. Aber ich wußte untrüg-
lich, daß er, sobald mein Blick von ihm
abließ, mich aus den schmalen Schlitzen
seiner fast geschlossenen Augen scharf
beobachtete, was wollte er? woher drohte
mir Gefahr und weshalb? — Eigentlich
ohne jeden Zusammenhang fiel mir in die-
sem Augenblick ein, daß vor kurzem erst
der Unterhändler einer konkurrierenden
Gesellschaft die Residenz Huen-Lihs als
toter Mann verlassen hatte. Ein Herz-
schlag, so wurde gesagt. Nun ja, warum
nicht? Aber ich mußte nun an die letzten
Worte des gelben Mannes vor mir den-
ken, an die geheimnisvolle, gläserne
Brücke, was war es damit? Hatte sie
meinen Vorgänger verurteilt, gerichtet?
In mein Grübeln fielen die leisen, fast
sanft gesprochenen Worte des Regenten,
der mit ruhigstarrem Gesicht sagte:
„Es ist nicht gut, hier am Abend —
nach Eintritt der Dunkelheit — noch in
den Garten zu gehen. In der Nacht sehen
die Wachen nur Feinde — sogar dann,
wenn — eine Frau unseres Volkes dabei
ist —."
Sehr sanft und unpersönlich hatte Huen-
Lib gesprochen, ohne seine Stimme zu
erheben, ohne aufzuschauen. Aber wie ein
Blitz war es in mich gefahren. Ah —
sollte es das sein? Vor einigen Tagen hatte
ich mich am späten Abend noch in den
großen Garten begeben, um in der kühlen
^Zachtluft über meine Pläne nachzudenken.
Als ich ein kleines Gebüsch umschritt er-
hob sich plötzlich vor mir eine weibliche
Gestalt von einer kleinen Steinbank. Mit
unterdrückt zirpender Stimme sprach sie
gebrochen englisch auf mich ein. Ich wäre
ihre Freund, und sie wollte mich aus eine
große Gefahr aufmerksam machen, die —.
Mitten im Satz aber horchte sie erschrok-
ken auf und lauschte. Im grauen Schim-
mer der Nacht sah ich einen Augenblick
lang ihr rundes, blasses Gesicht mir zu-
gewendet. Dann neigte sie sich mir zu.
„Nicht über Brücke!" Undeutlich nur ver-
nahm ich die Worte, Hatte ich richtig
gehört? Ich wollte fragen im selben Augen-
blick aber huschte sie davon. Ein leises
Rascheln der Büsche — ich stand allein.
Ehe ich jedoch Zeit fand, weiter nachzu-
denken, tauchte neben mir einer der Leib-
wächter Huen-Lihs auf und fragte mich
kurz, ob ich hier soeben Lo-Han, die jüngste
Frau Huen-Lihs, gesehen hätte. Instinktiv
verneinte ich. Nach kurzer Überlegung
sagte mir dann der Wächter, es wäre
bekanntlich Fremden strengstens verboten,
mit Frauen zu sprechen. Und Lo-Han
wäre die Lieblingsfrau Huen-Lihs. Fast
drohend klangen diese letzten Worte. Dann
ging der Mann.
Daran mußte ich nun denken. Sicher
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Max G r ü 11 e n b e c k
drüben im kleinen See und daher muß
jeder Besucher zuvor die gläserne Brücke
überschreiten."
Er schwieg und blickte vor sich nieder.
Um seine dünnen Lippen lag ein kleines,
erstauntes Lächeln. Nun hob er langsam
die Lider und sah mich an, eine rätselhafte,
gelbe Maske. Und das kleine Lächeln blieb,
als er leise, zuvorkommend, mit eigen-
artiger Betonung fortfuhr:
„Nur wer mein Freund ist — über-
schreitet die gläserne Brücke."
Sein unbewegliches Gesicht stand bronze-
gelb unter der gelben Papierlaterne, die
mit stillem, auffallend Hellem Licht über
uns brannte. Seine dunklen, sehr glänzen-
den Augen blitzten scharf zu mir herüber,
schlau, kühl und lauernd. Da ich nicht ant-
wortete, senkte er langsam den Ropf, als
überlegte er. Dann fielen wie einzelne
Tropfen, unbetont die Worte:
„Die gläserne Brücke urteilt selbst und
— verurteilt. Niemand, der mir Feind ist,
überschreitet sie. Niemand, wer sie aber
betritt und lebend verläßt, ist ein wahrer
Freund — nur der!"
Immer langsamer und schwerer hatte er
gesprochen, als wollte er etwas Besonderes
ausdrücken, als läge in den Worten ein
tieferer Sinn. Ein Hinweis, eine War-
nung, oder — eine Drohung? Diese Art
Huen-Lihs, mit mir zu sprechen, beun-
ruhigte mich mehr, als ich äußerlich zu-
gab. Ich ahnte, fühlte, hier nahte eine
Gefahr, hier bedrohte mich irgend etwas.
Aber was — wo — wie? während des
Schweigens, das Huen-Lihs letzten Wor-
ten folgte, saß er wieder mit niedergeschla-
genen Augen da. Aber ich wußte untrüg-
lich, daß er, sobald mein Blick von ihm
abließ, mich aus den schmalen Schlitzen
seiner fast geschlossenen Augen scharf
beobachtete, was wollte er? woher drohte
mir Gefahr und weshalb? — Eigentlich
ohne jeden Zusammenhang fiel mir in die-
sem Augenblick ein, daß vor kurzem erst
der Unterhändler einer konkurrierenden
Gesellschaft die Residenz Huen-Lihs als
toter Mann verlassen hatte. Ein Herz-
schlag, so wurde gesagt. Nun ja, warum
nicht? Aber ich mußte nun an die letzten
Worte des gelben Mannes vor mir den-
ken, an die geheimnisvolle, gläserne
Brücke, was war es damit? Hatte sie
meinen Vorgänger verurteilt, gerichtet?
In mein Grübeln fielen die leisen, fast
sanft gesprochenen Worte des Regenten,
der mit ruhigstarrem Gesicht sagte:
„Es ist nicht gut, hier am Abend —
nach Eintritt der Dunkelheit — noch in
den Garten zu gehen. In der Nacht sehen
die Wachen nur Feinde — sogar dann,
wenn — eine Frau unseres Volkes dabei
ist —."
Sehr sanft und unpersönlich hatte Huen-
Lib gesprochen, ohne seine Stimme zu
erheben, ohne aufzuschauen. Aber wie ein
Blitz war es in mich gefahren. Ah —
sollte es das sein? Vor einigen Tagen hatte
ich mich am späten Abend noch in den
großen Garten begeben, um in der kühlen
^Zachtluft über meine Pläne nachzudenken.
Als ich ein kleines Gebüsch umschritt er-
hob sich plötzlich vor mir eine weibliche
Gestalt von einer kleinen Steinbank. Mit
unterdrückt zirpender Stimme sprach sie
gebrochen englisch auf mich ein. Ich wäre
ihre Freund, und sie wollte mich aus eine
große Gefahr aufmerksam machen, die —.
Mitten im Satz aber horchte sie erschrok-
ken auf und lauschte. Im grauen Schim-
mer der Nacht sah ich einen Augenblick
lang ihr rundes, blasses Gesicht mir zu-
gewendet. Dann neigte sie sich mir zu.
„Nicht über Brücke!" Undeutlich nur ver-
nahm ich die Worte, Hatte ich richtig
gehört? Ich wollte fragen im selben Augen-
blick aber huschte sie davon. Ein leises
Rascheln der Büsche — ich stand allein.
Ehe ich jedoch Zeit fand, weiter nachzu-
denken, tauchte neben mir einer der Leib-
wächter Huen-Lihs auf und fragte mich
kurz, ob ich hier soeben Lo-Han, die jüngste
Frau Huen-Lihs, gesehen hätte. Instinktiv
verneinte ich. Nach kurzer Überlegung
sagte mir dann der Wächter, es wäre
bekanntlich Fremden strengstens verboten,
mit Frauen zu sprechen. Und Lo-Han
wäre die Lieblingsfrau Huen-Lihs. Fast
drohend klangen diese letzten Worte. Dann
ging der Mann.
Daran mußte ich nun denken. Sicher
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