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wacht! Ulan hatte mir einen Posten gege-
ben. Ralt überlies es mich. Gefangen!

Ich schloß das Fenster, zog den Vorhang
zu. Dann überlegte ich. Da siel mein Auge
auf ein zusammengeknülltes Papier, das
auf der Matte vor meinem Bett lag. Ich
hob es auf und fühlte, daß ein kleiner
Stein hineingewickelt war. Richtig, vorhin
war mir doch irgend etwas ins Zimmer
geworfen worden, hastig glatete ich das
Papier und las die anscheinend eilig mit
Bleistift hingekritzelten Worte-. „Die
Funken der gläsernen Brücke sollen
dich — —." Hier mußte der Schreiber
gestört worden sein, denn weiter war
nichts auf dem Zettel zu finden.

Ich schüttelte den Ropf. was war das 7
Eine Warnung, ein Hinweis auf die mir
drohende Gefahr; Eine Falles Ich neigte
dazu, es als Warnung zu nehmen. Aber
wer —* Eigenartigerweise mußte ich in
diesem Augenblick an die zierliche Lo-Han
denken und an ihre Worte: Plicht über die
Brücke! welche Bewandtnis mochte es
damit haben- wenn ich das doch wüßte!

Es gab keinen anderen weg — ich mußte
mir Gewißheit verschaffen, sofort, auf
jeden Fall!

Ich löschte das Licht in meinen beiden
Laternen und beobachtete dann durch einen
Vorhangspalt den in tiefer Finsternis lie-
genden Garten. Bald fand ich heraus, daß
der Posten ungefähr alle zwei Minuten an
meinem Fenster vorbeiging. Er schien
immer eine längere Runde zu machen. Ich
beschloß, sofort zu handeln. Als der Posten
sich wieder einmal entfernte, öffnete ich
rasch und behutsam einen Fensterflügel.
Im nächsten Augenblick sprang ich mit
einem weiten Satz herab, wo ich geräusch-
los in der weichen Erde eines Beetes
landete.

Dann huschte ich zwischen den Strau-
chern hin, nur gut, daß ich den weg zum
Deich, in dessen Mitte der blaue Pavillon
lag, gut kannte. Bald lag die schmale,
gläserne Brücke vor mir. Blitzschnell über-
querte ich den freien Raum davor und
dann — stand ich vor der geheimnisvollen
Dodesmaschine. Vlun aber galt es, rasch
das zu finden, was ich suchte. Hastig
tastete ich umher. Und hatte das Glück,
schon bald auf einen viereckigen, anschei-
nend eisernen Rasten zu stoßen. Und siehe
— einige unzweifelhaft elektrische Leitun-
gen liefen heraus und verschwanden unter
dem Bodenbelag der gläsernen Brücke!

Und dann — wußte ich Bescheid, war
vollkommen im Bilde über das Spiel, das
man hier spielte. Der Fußboden der
Brücke bestand aus vielleicht vierzig Zenti-
meter breiten Streifen, abwechselnd Glas
und dunkelpoliertes Metall. Das Glas war
die isolierende Schicht, wer die Brücke
überschritt mußte unbedingt hin und wie-
der mit beiden Füßen zwei Metallstreifen
berühren. Und war oder wurde dann der
Strom eingeschaltete, so durchlief der
hochgespannte Strom den Schreitenden
und tötete ihn! So also wurden hier un-

bequeme Leute oder Feinde beseitigt. Über-
schritten Freunde die Brücke, so wurde
einfach der Strom ausgeschaltet, wirklich
eine raffinierte Methode, hier, im Inner-
sten Chinas!

wenige Minuten spater kletterte ich
wieder, vom Posten unbemerkt, in mein
Zimmer. Also — nun wußte ich, wo und
wie der Feind war, konnte nun meine
Maßnahmen treffen. Ronnte ich; — Ich
durchsuchte meine Roffer, irgendwo mußte
doch. — Richtig, da war, was ich suchte.

Dann legte ich mich auf mein Bett, daß
ich nicht gerade hervorragend schlief, wird
jeder verstehen.

Der Morgen kam und brachte mir als
Erstes einen Brief meiner Firma, mit
neuen, günstigen Vorschlägen für Huen-
Lih. Mein Versuch, mit diesem Schreiben
beim Regenten vorgelassen zu werden,
scheiterte jedoch. Am Nachmittag, wurde
mir gesagt, beim Dee!

Es wurde Mittag. Langsam rückte der
Zeiger meiner Uhr vor — die Stunde
nahte. Eine fieberhafte Erregung hatte
sich meiner bemächtigt, trotzdem ich mich
eisern bezwang.

Ein Diener trat ein und forderte mich
höflich auf, ihm zu folgen, da der Regent
mich im blauen Pavillon erwartete. Ich
folgte.

Als wir uns der Brücke näherten löste
sich aus einer dort stehenden Gruppe von
Würdenträgern eine tief vermummte Ge-
stalt und gesellte sich mir schweigend zu.
was sollte das; Voller Unruhe betrachtete
ich die Person, konnte jedoch nichts erken-
nen. wozu diese Begleitung;

plach dem einer der vertrauten Rat-
geber Huen-Lihs mich mit einer tiefen
Verbeugung gebeten hatte, die gläserne
Drücke nunmehr zu überschreiten, ging ich
rasch und entschlossen daraus zu. Mein
vermummter Begleiter schien zu zögern,

folgte mir dann aber mit kurzen, trippeln-
den Schritten. So betrat ich kurz vor ihm
die Brücke.

Als ich ihre Mitte fast erreicht hatte,
vernahm ich hinter mir ein leises, zischen-
des, ziehendes Rnistern. Dann erscholl ein
gellender Schrei, dem wieder das zischende
ziehende Rnattern folgte. Der Dod aus
der gläsernen Brücke.

Ich blickte mich um. Dort lag die ver-
mummte Gestalt, zusammengekrümmt, vom
elektrischen Funken getötet! Aber die ver-
hüllende Rappe hatte sich verschoben. Ich
sah das zarte, bleiche Gesicht Lo-Hans!
Zitternd wandte ich mich ab und ging
weiter.

Eine halbe Minute spater betrat ich den
blauen Pavillon und verneigte mich
lächelnd vor Huen-Lih. Starr saß er, und
in seinen Augen war es wie ein sinnendes,
prüfendes Suchen, als er mich anblickte,
Dann schien er einen Entschluß gefaßt zu
haben, verneigte sich liebenswürdig aber
ernst, und bat mich, neben ihm Platz zu
nehmen. „Es freut mich", sagte er sanft,
„meinen Gast hier im blauen Pavillon
begrüßen zu dürfen. Die Brücke hat geur-
teilt, sein Leben geschont — Er ist mein
Freund." Sein Gesicht blieb unbewegt,
wie hinter einer leblosen Maske verbor-
gen. Seine Augen aber schauten tiefernst,
schwermütig, als er leise fortfuhr:

„Die gläserne Brücke hat jedoch das
Leben Lo-Hans vernichtet, obwohl ich sie
meine Lieblingsfrau nannte."

Er schwieg und blickte vor sich nieder.
Da hielt ich es für ratsam, den am Mor-
gen erhaltenen Brief zu überreichen. Er
las ihn lächelnd und etwas spöttisch. In
seinen Augen aber las ich Genugtuung,
Stolz.

„wir werden den Vertrag abschließen",
sagte er dann und nickte wiederholt. „Die
gläserne Brücke hat richtig gehandelt, als
sie das Leben meines Gastes schonte —
und", fügte er nach einer kleinen Pause
hinzu, „die Verräterin vernichtete."

wieder traf mich ein unergründlicher
Blick aus den geschlitzten dunklen Augen."

Doktor Rohde schwieg und blickte sin-
nend dem Rauch seiner Zigarre nach. „Ia,
so war das."

„Aber", bemerkte einer der Zuhörer,
„die Hauptsache — was hatten Sie denn
unternommen, daß Sie so ohne Gefähr-
dung über die gläserne Brücke gehen
konnten;"

„Ach so ja", lächelte der Gberingenieur,
„ich vergaß, es zu erwähnen. Ganz ein-
fach. In meinem Gepäck hatte ich unter
anderem ein paar Halbschuhe mit dicken
englischen Lrepp-Gummisohlen. Die hatte
ich zum Gang über die Drücke angezogen,
und sie isolierten mich vortrefflich. Furcht-
bar einfach, was;" Abschließend fügte er
noch hinzu: „Den Vertrag mit Huen-Lih
habe ich dann abgeschlossen und schied als
sein Freund; äußerlich wenigstens. Aber
ich war froh, als ich die Residenz des Re-
genten verlassen durfte."

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Max Mayrshofer: Vignette
 
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