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Roy Lovels seltsames Abenteuer

Von Wilhelm w e l d i n

ie Schreibtischlampe erlosch lautlos
und Finsternis fiel in das Zimmer wie ein
schwarzer Samtvorhang.

Roy Lovels rechter Mittelfinger fuhr
mechanisch auf die Tastatur der kleinen
Portable-Schreibmaschine nieder, verfehlte
in der Dunkelheit sein Ziel und setzte zwei
Tasten gleichzeitig in Bewegung, deren
Hebel sich mit einem metallischen Laut
verkeilten. Lovel tastete nach der Klingel,
in der Absicht den Diener herbeizulauten.

Fern im Haus surrte die Glocke, aber
nichts rührte sich sonst. Er lautete noch-
mals, diesmal langer, doch wieder blieb
alles im Haus still. Nur unweit von sei-
nem Sitz krachten die Parketten und es
war ihm, als füllte langsam ein fremd-
artiges Parfüm den Raum.

Er erhob sich, um der Ursache des Ver-
sagens der Lichtleitung auf den Grund zu
gehen. In diesem Augenblick sagte eine
Stimme aus dem Dunkel:

//Hände hoch! Rühren Sie sich nicht von
ihrem Platz!"

Es war die Stimme einer Frau und sie
klang ruhig und kultiviert.

„wer sind Sie;" fragte Loy Rovel
hilflos in das Dunkel hinein.

„Irgend jemand", sagte die Stimme.
„Vielleicht eine Ausgeburt Ihrer Phanta-
sie, vielleicht eine Figur einer Ihrer ganz
ausgezeichneten Kriminalromane, die ge-
kommen ist, um Sie für Ihre Existenz
zur Rechenschaft zu ziehen."

„Und was wollen Sie von mir;"

„was will ein Mensch, der nachts in
ein fremdes Haus eindringt und jemanden

mit einem Revolver dazu zwingt die
Hände in die Luft zu halten; wo bleibt
Ihre Logik, Mr. Lovel;"

„Sie sind also eine Einbrecherin;"

„Sie haben es erraten."

Roy Lovel war nie im Leben einer
ähnlichen Lage gegenübergestanden und er
wußte vorerst nicht, was er eigentlich tun
sollte. Sein Instinktiv sagte ihm, daß
Rede ein Mittel war, um Zeit zu gewin-
nen, und er folgte dieser Regung.

„Das ist ein außergewöhnlicher Beruf
für eine Frau", bemerkte er.

„Die Frauen Ihrer Romane verstehen
es, mit dem Revolver ebensogut umzu-
gehen wie mit dem Lippenstift", kam die
schlagfertige Antwort aus dem Dunkel.
„Und die sind doch aus dem Leben gegrif-
fen, Mr. Lovel;"

Lovel hatte sich vorsichtig von seinem
Schreibtisch entfernt und den Schalter der
Deckenlampe erreicht. Blitzschnell drehte
er den Schalter, in der wahnwitzigen Hoff-
nung, daß nur seine Schreibtischlampe
ausgeschaltet war und die Deckenlampe
aufleuchten würde. Der Schalter knickte
leise und im selben Augenblick blitzte der
weiße dünne Strahl einer Taschenlaterne
auf.

„Eine dilettantische Idee", sagte die
Stimme aus dem Dunkel. „Ich habe na-
türlich die.Sicherungen des ganzen Dauses
ausgeschaltet. Achten Sie auf die vertikale
Haltung Ihrer Hände!"

Der Lichtstrahl erlosch wieder und Roy
Lovel blieb wie angewurzelt stehen. Dicht
neben ihm war die Tür, ein rettender
weg in die Freiheit.

„was Sie da tun", sagte er, um Zeit
zu gewinnen, „ist außerordentlich unmora-
lisch. Es gibt doch zweifellos heutzutage
vernünftigere und anständigere Beschäfti-
gungen für Frauen."

Er blickte in das Dunkel, aber keine
Antwort kam. Er glaubte einen fast un-
hörbaren Schritt zu vernehmen. Dann
knackte etwas in der Finsternis, etwas,
was nur der Schlüssel der Tür sein konnte
und gleich darauf sagte die Stimme aus
ziemlicher Nähe:

„Der Schlüssel steckt noch. Aber Sie
müssen ihn jetzt zweimal umdrehen, wenn
Sie hinaus wollen und bis dahin haben
Sie ein halbes Dutzend Kugeln im Leib.
Und was Sie über meine Moral sagten,
das stimmt nicht ganz."

„Es stimmt sogar außerordentlich",
sagte Roy Lovel, durch die Durchkreuzung
seines zweiten planes irritiert. „Ganz
außerordentlich."

„Sie irren, Mr. Lovel", sagte die
Stimme kühl. „Sie leben von der wag-

halsigen Existenz einiger weniger Außen-
seiter der Gesellschaft, die zum Unterschied
von Ihnen bei der Sache Freiheit und
Leben riskiert. Sie beziehen aus dieser
bürgerlichen Beschäftigung ein Jahresein-
kommen von fünftausend Pfund. Ich bin
gekommen, um Ihnen einen Teil dessen
abzunehmen, was Sie uns schulden."

„was geht das zum Teufel Sie an!"
platzte Roy Lovel heraus. „Dieses Problem
interessiert mich nicht im mindesten. Aber
Sie beginnen mich zu interessieren. Sie
sind eine merkwürdige Frau. Sie sind
sogar gescheit — Ihr Parfüm und Ihre
Stimme gefallen mir. Machen Sie mit dem
verdammten Blinde-Kuh-Spiel Schluß!
Ich möchte Sie sehen. Ich wäre vielleicht
imstande, Sie zu heiraten ..."

„Ah;" sagte die Stimme im Dunkel
leise. „Sind Sie immer so stürmisch, Mr.
Lovel;"

Es war noch immer ein kühler Unter-
ton von Ironie in dieser fremden Stimme
aber gleichzeitig eine eigene Betroffenheit,
ein fast ungewolltes Nachgeben und dieses
Nachgeben erfüllte Roy Lovel mit einer
Energie. Sein unsichtbarer Gegner war
nur eine Frau. Sie hatte eben bewiesen,
daß sie nur eine Frau war.

„wie heißen Sie;" fragte er.

Die Unbekannte schien einen Augenblick
zu zögern.

„Maud", sagte sie dann leise.

„Machen Sie doch Licht!"

Ein melodisches Lachen kam als einzige
Antwort.

//Ich gebe Ihnen einen Scheck auf hun-
dert Pfund. Das ist mehr als sich an Kost-
barkeiten in diesem ganzen Zimmer be-
findet."

„Damit ich morgen am Schalter Ihrer
Bank verhaftet werde", sagte die Stimme
hart. „Sie verstehen auch etwas von
Kriminalistik, Mr. Lovel."

„Maud", sagte Roy Lovel eindringlich.

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Wilhelm Weldin: Roy Lovels seltsames Abenteuer
Julius Macon: Illustrationen zum Text "Roy Lovels seltsames Abenteuer"
 
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