Stimme schrie: „Der Sakramenter, der!
Guckt in der Luft rum, statt daß er acht
gibt! Die dümmsten Sachen hatten passie-
ren können!" Dann sprang der Motor
wieder an, und der wagen eilte weiter.
Der Fremde, dem der Schreck in die
Glieder gefahren war, war so verstört,
daß der junge Mann, der ihn zurückgerissen
hatte, sich bückte, und den Violinkasten
aufhob.
„Da", sagte eir, „haben Sie ihren Rasten
wieder, hoffentlich hat es die Geige gut
überstanden!"
Der Fremde holte tief Atem und reichte
dem jungen Manne die Hand. „Recht vie-
len herzlichen Dank," sagte er. „wenn
Sie nicht rechtzeitig eingegrifsen hatten,
wer weiß —"
„G bitte, bitte", sagte der junge Mann,
der einen breitkrempigen schwarzen
und eine flatternde Schleife trug, „man
tut, was man kann."
Es ergab sich von selbst, daß sie den
weg gemeinsam fortsetzten. „Sie sind
Rünstler?" fragte der Fremde.
„Ja, ich bin Maler und habe gerade ein
weihnachtsbild abgeliefert."
„hoffentlich brachte es auch ein gutes
Honorar ein", bemerkte lächelnd der
Fremde.
„Leider nicht", sagte der Maler bitter.
„Und ich", erzählte der Fremde, „ich
komme eben vom Bahnhof und bin auf
dem Wege zu meinem Hotel."
„Dann sind Sie nicht zu beneiden, wenn
Sie am heiligen Abend keinen anderen
Aufenthalt haben", sagte der Maler.
„Da haben Sie allerdings recht", ant-
wortete leise der Fremde.
Als sie unter der nächsten Bogenlampe
waren, blickte der Maler dem Fremden
scharf ins Gesicht lind sagte dann unver-
mittelt: „hören Sie mal, wenn Sie nichts
Besseres Vorhaben, so kommen Sie doch
zu mir in das Atelier. Ich habe zufällig
auch keine Gesellschaft, und da eine Riste
von zu Hause eintraf, und es zu zweit
besser schmeckt, stifte ich das Essen, und
Sie selbst tragen zur Verschönerung
des Abends bei, indem Sie etwas auf
Ihrer Geige Vorspielen. Sie können doch
spielen?"
„Gewiß", sagte der Fremde, wobei er
ein Lächeln unterdrückte.
„Via also", sagte der Maler, „und wie
gefällt Ihnen mein Vorschlag?"
„Ausgezeichnet!" sagte der Fremde, „ich
gehe mit!"
Die Bereitwilligkeit, mit der die Ein-
ladung angenommen wurde, deutete der
Maler nach seiner Art. Sicher, dachte er,
ist dieser gutgekleidete Geiger letzten
Endes ein armer Teufel. Vielleicht ist er
gar ohne Stellung, denn sein seltsames
Verhalten, das beinahe zu einem Unglück
geführt hätte, war ganz das eines Men-
schen, der den Rops voller Sorgen hat.
Und der Maler beschloß, ihm eine dop-
pelte Wurstportion vorzulegen. Laut
sagte er, als sie dann um die Ecke bogen:
„wir sind gleich da. In dieser Seiten-
straße, neben der zweiten Gaslaterne,
dort wohne ich."
Unterwegs zog der Fremde unauffällig
einen schweren Brillantring vom Finger.
Sie traten in einen zugigen Hausflur
und stiegen die schlechtbeleuchtete, knar-
rende Treppe hinauf bis zum vierten
Stock. „Gottfried Hertling" stand auf
dem Türschild.
Der Maler schloß aus, drehte das Licht
an und wies auf die Rleiderhaken im
Vorraum. Sie legten ab, und Hertling
öffnete die Tür zum Atelier.
Ein mächtiges schräges Fenster, das
voller Blattpflanzen war, beherrschte den
Raum, während der Gast Platz nahm
und die Bilder an den wänden betrach-
tete, legte Hertling Holz und Rohlen auf,
und bald begann es im Gfen zu knäckern
rrnd zu bullern.
„Zuerst", sagte Hertling, „müssen wir
wenigstens soviel Geschirr abwaschen,wie
Aktstudie
wir brauchen." Und er fing an, Teller und
Taffen unter der Leitung abzuspülen, und
bat den Gast, das saubere Handtuch vom
Walter zu nehmen und das Abtrocknen zu
besorgen.
„Sie scheinen das nicht oft getan zu
haben", bemerkte Hertling, als er sah,
wie umständlich der Gast hantierte.
„Rein Wunder", entgegnete dieser,
„wenn man irgends zu Hause ist und von
einem Hotel ins andere muß."
Dann setzte Hertling das Teewasser auf
und deckte den Tisch, und zwischendurch
sprach er von seinen Gemälden, und daß
er im Frühjahr eine Rollektivausstellung
vorhabe.
„welches Bild gefällt Ihnen denn am
besten?", fragte er in selbstsicherem Ton,
so wie man ihn Laien gegenüber anschlägt.
„Die kleine Nachtmusik dort", antwor-
tete ohne zu zögern der Gast und wies auf
ein Ölstück, das ein Gartenhaus mit hell
erleuchtetem Fenster darstellte, auf dessen
R o b e r t Biichtger
827
Guckt in der Luft rum, statt daß er acht
gibt! Die dümmsten Sachen hatten passie-
ren können!" Dann sprang der Motor
wieder an, und der wagen eilte weiter.
Der Fremde, dem der Schreck in die
Glieder gefahren war, war so verstört,
daß der junge Mann, der ihn zurückgerissen
hatte, sich bückte, und den Violinkasten
aufhob.
„Da", sagte eir, „haben Sie ihren Rasten
wieder, hoffentlich hat es die Geige gut
überstanden!"
Der Fremde holte tief Atem und reichte
dem jungen Manne die Hand. „Recht vie-
len herzlichen Dank," sagte er. „wenn
Sie nicht rechtzeitig eingegrifsen hatten,
wer weiß —"
„G bitte, bitte", sagte der junge Mann,
der einen breitkrempigen schwarzen
und eine flatternde Schleife trug, „man
tut, was man kann."
Es ergab sich von selbst, daß sie den
weg gemeinsam fortsetzten. „Sie sind
Rünstler?" fragte der Fremde.
„Ja, ich bin Maler und habe gerade ein
weihnachtsbild abgeliefert."
„hoffentlich brachte es auch ein gutes
Honorar ein", bemerkte lächelnd der
Fremde.
„Leider nicht", sagte der Maler bitter.
„Und ich", erzählte der Fremde, „ich
komme eben vom Bahnhof und bin auf
dem Wege zu meinem Hotel."
„Dann sind Sie nicht zu beneiden, wenn
Sie am heiligen Abend keinen anderen
Aufenthalt haben", sagte der Maler.
„Da haben Sie allerdings recht", ant-
wortete leise der Fremde.
Als sie unter der nächsten Bogenlampe
waren, blickte der Maler dem Fremden
scharf ins Gesicht lind sagte dann unver-
mittelt: „hören Sie mal, wenn Sie nichts
Besseres Vorhaben, so kommen Sie doch
zu mir in das Atelier. Ich habe zufällig
auch keine Gesellschaft, und da eine Riste
von zu Hause eintraf, und es zu zweit
besser schmeckt, stifte ich das Essen, und
Sie selbst tragen zur Verschönerung
des Abends bei, indem Sie etwas auf
Ihrer Geige Vorspielen. Sie können doch
spielen?"
„Gewiß", sagte der Fremde, wobei er
ein Lächeln unterdrückte.
„Via also", sagte der Maler, „und wie
gefällt Ihnen mein Vorschlag?"
„Ausgezeichnet!" sagte der Fremde, „ich
gehe mit!"
Die Bereitwilligkeit, mit der die Ein-
ladung angenommen wurde, deutete der
Maler nach seiner Art. Sicher, dachte er,
ist dieser gutgekleidete Geiger letzten
Endes ein armer Teufel. Vielleicht ist er
gar ohne Stellung, denn sein seltsames
Verhalten, das beinahe zu einem Unglück
geführt hätte, war ganz das eines Men-
schen, der den Rops voller Sorgen hat.
Und der Maler beschloß, ihm eine dop-
pelte Wurstportion vorzulegen. Laut
sagte er, als sie dann um die Ecke bogen:
„wir sind gleich da. In dieser Seiten-
straße, neben der zweiten Gaslaterne,
dort wohne ich."
Unterwegs zog der Fremde unauffällig
einen schweren Brillantring vom Finger.
Sie traten in einen zugigen Hausflur
und stiegen die schlechtbeleuchtete, knar-
rende Treppe hinauf bis zum vierten
Stock. „Gottfried Hertling" stand auf
dem Türschild.
Der Maler schloß aus, drehte das Licht
an und wies auf die Rleiderhaken im
Vorraum. Sie legten ab, und Hertling
öffnete die Tür zum Atelier.
Ein mächtiges schräges Fenster, das
voller Blattpflanzen war, beherrschte den
Raum, während der Gast Platz nahm
und die Bilder an den wänden betrach-
tete, legte Hertling Holz und Rohlen auf,
und bald begann es im Gfen zu knäckern
rrnd zu bullern.
„Zuerst", sagte Hertling, „müssen wir
wenigstens soviel Geschirr abwaschen,wie
Aktstudie
wir brauchen." Und er fing an, Teller und
Taffen unter der Leitung abzuspülen, und
bat den Gast, das saubere Handtuch vom
Walter zu nehmen und das Abtrocknen zu
besorgen.
„Sie scheinen das nicht oft getan zu
haben", bemerkte Hertling, als er sah,
wie umständlich der Gast hantierte.
„Rein Wunder", entgegnete dieser,
„wenn man irgends zu Hause ist und von
einem Hotel ins andere muß."
Dann setzte Hertling das Teewasser auf
und deckte den Tisch, und zwischendurch
sprach er von seinen Gemälden, und daß
er im Frühjahr eine Rollektivausstellung
vorhabe.
„welches Bild gefällt Ihnen denn am
besten?", fragte er in selbstsicherem Ton,
so wie man ihn Laien gegenüber anschlägt.
„Die kleine Nachtmusik dort", antwor-
tete ohne zu zögern der Gast und wies auf
ein Ölstück, das ein Gartenhaus mit hell
erleuchtetem Fenster darstellte, auf dessen
R o b e r t Biichtger
827