Aber er verstummte bald wieder, als er
fühlte, daß seine rauhe Stimme sich nicht
mit der Stimme der Geige vertrug.
Der Gast lächelte sein, leitete ohne zu
unterbrechen auf andere Melodien über
und spielte, indem er im Raum auf- und
abging, immer eindringlicher und inniger.
Hertling erkannte klastische weisen und
wurde aufmerksamer, und allmählich
sanken alle gewöhnlichen Gedanken, die
gleich grauen Wolken sein Gemüt bedeck-
ten, in ein Nichts zusammen, und in seiner
Vorstellung wölbte sich in unermeßlichem
Bogen die schimmernde Unendlichkeit. Er
vergaß auf das Rauchen, und die Zigarre
erkaltete. Eine Rerze nach der anderen
erlosch, er merkte es nicht. Die klaren
Wintersterne zitterten in bunten Fünk-
chen durch das große Atelierfenster und
tauchten den Raum in ein Zwielicht, in
dem die Umriste der Dinge untergingen
und die Zwischendinge und Hintergründe
lebendig wurden. Und im Innern des
Malers begann etwas zu schmelzen und
ein Gefühl sich auszulösen, das unsäglich
schön war, aber dem Schmerz nahe ver-
wandt schien. Er legte die Hand auf die
Brust, doch das Ziehen darunter wuchs
und wuchs, und die edlen Töne der Geige
schneiten mitten in sein Herz hinein wie
in einen Brunnen, der immer voller
wurde und endlich überlies, Hertling
wischte sich über die Lider und merkte mit
halbem Sinn, daß es dort feucht war.
Und es dauerte lange, ehe die kleine
Nachtmusik zu Ende ging und der Gast
sacht die Geige weglegte.
Hertling erwachte wie aus tiefem
Traum, erhob sich und drückte dem Geiger
stumm die Hände. Eine weile saßen sie
noch in beredtem Schweigen beisammen,
tranken den wein aus und ließen den
heiligen Abend ausklingen, der für Bert-
ling ein großes Erlebnis gewesen war.
Als es um Mitternacht zur Lhristmette
lautete, stand der Gast auf und machte sich
fertig, Hertling geleitete ihn bis zur
Straße hinunter. „Besuchen Sie mich
recht bald wieder", sagte er beim Ab-
schied, „ein gedeckter Tisch und, wenn Not
am Mann sein sollte, ein paar Mark sind
immer für Sie bereit!"
wahrend Hertling wieder ins Atelier
Hinaufstieg, erinnerte er sich, daß er ver-
säumt hatte, den Geiger nach seinem Na-
men zu fragen, und auch danach, in wel-
chem Lokal er spiele. Nun, dachte er, er
wird schon von sich hören lassen. Und aus-
geglichen wie schon lange nicht mehr legte
er sich zu Bett.
wenige Tage nach Weihnachten fand
sich im Atelier ein fremder Herr ein, der
• GHLERIE ODEON
IG. Duensing / E. Michels
S^emälde erster Meister, vorwiegend Münchener
V-J Malerei aus dem 19. Jahrh. / Ankauf / Verkauf
Odeonsplatz 13 MÜNCHEN Fernspr^ 2 7961
sich als auswärtiger Runsthändler vor-
stellte und die Bilder anschaute. Schließ-
lich kaufte er in geheimem Auftrag die
„Rleine Nachtmusik" ohne mit der Wim-
per zu zucken zum höchsten Preise, den
Hertling mutig genannt hatte.
Im Januar dann, als der Geiger noch
immer nichts hören ließ, machte sich Bert-
ling selber auf und hielt bei allen großen
Rapellen der Stadt Nachschau. Aber es
war umsonst.
Hertling erfuhr nie, daß es der Geiger-
konig R. gewesen war, der ihm am Weih-
nachtsabend auf einer Stradivari vor-
gespielt hatte, und der in den Hauptstäd-
ten der ganzen Welt seine Meisterkonzerte
gab, den Abend nicht unter tausend Mark.
Die Prise
Hans Christian Andersen, der dänische
Dichter, fuhr einst auf der Eisenbahn
nach Leipzig. Ein Mitreisender meinte:
„Jetzt sind wir im Fürstentum Röthen."
Er nahm darauf eine Prise und bot auch
Andersen eine an. Dieser nahm, schnupfte,
nieste und fragte alsdann: „wie lange
sind wir noch im Fürstentum Röthens"
„Oh", erwiderte jener, „da waren wir
schon wieder heraus, als Sie niesten."
Der zerstreute Newton
An einem kalten Winterabend saß
Newton, in seine Arbeit vertieft, in
einem Zimmer, als es ihm auf einmal zu
Bewußtsein kam, daß er fror. Da er nahe
dem Fenster und weit vom Ramin saß,
in dem ein Helles Feuer brannte, rückte
er daher seinen Stuhl ganz nahe an den
Ramin und setzte da seine astronomischen
Studien angelegentlich fort. Je länger er
jedoch dicht beim Feuer saß, desto heißer
wurde ihm, und als er schließlich die sen-
gende Hitze gar nicht mehr aushalten
konnte, klingelte er heftig seinem Diener
und ries höchst ausgebracht: „Stelle doch
um Himmelswillen endlich einmal den
Ramin weg, ich vergehe ja vor Kitzel"
— „Verzeihen Sie, gnädiger Herr", er-
widerte der Diener, ein junger bildschöner
Negerbursche, indem er die Situation mit
einem schlauen Grinsen sogleich überschaut
hatte, „aber wäre es nicht vielleicht an-
gebrachter und bester, wenn Sie Ihren
Stuhl etwas weiter wegrücken wollten;"
— Newton sah den Diener erst verblüfft
an; dann aber lachte er auch laut auf und
rief in komischer Verzweiflung aus:
„Daran habe ich alter Esel wirklich nicht
gedacht. Offenbar hat mein Hirn schon
unter der Einwirkung des nahen Feuers
gelitten."
M a c o n
„Scheußlich, diese Myriaden von Sommersprossen, und noch da-
zu jefyt im Winter“ — „Aber was erlauben Sie sich, die Dame ist
meine Braut!“ — „Verzeihung, steheti ihr übrigen ausgezeichnet.“
fühlte, daß seine rauhe Stimme sich nicht
mit der Stimme der Geige vertrug.
Der Gast lächelte sein, leitete ohne zu
unterbrechen auf andere Melodien über
und spielte, indem er im Raum auf- und
abging, immer eindringlicher und inniger.
Hertling erkannte klastische weisen und
wurde aufmerksamer, und allmählich
sanken alle gewöhnlichen Gedanken, die
gleich grauen Wolken sein Gemüt bedeck-
ten, in ein Nichts zusammen, und in seiner
Vorstellung wölbte sich in unermeßlichem
Bogen die schimmernde Unendlichkeit. Er
vergaß auf das Rauchen, und die Zigarre
erkaltete. Eine Rerze nach der anderen
erlosch, er merkte es nicht. Die klaren
Wintersterne zitterten in bunten Fünk-
chen durch das große Atelierfenster und
tauchten den Raum in ein Zwielicht, in
dem die Umriste der Dinge untergingen
und die Zwischendinge und Hintergründe
lebendig wurden. Und im Innern des
Malers begann etwas zu schmelzen und
ein Gefühl sich auszulösen, das unsäglich
schön war, aber dem Schmerz nahe ver-
wandt schien. Er legte die Hand auf die
Brust, doch das Ziehen darunter wuchs
und wuchs, und die edlen Töne der Geige
schneiten mitten in sein Herz hinein wie
in einen Brunnen, der immer voller
wurde und endlich überlies, Hertling
wischte sich über die Lider und merkte mit
halbem Sinn, daß es dort feucht war.
Und es dauerte lange, ehe die kleine
Nachtmusik zu Ende ging und der Gast
sacht die Geige weglegte.
Hertling erwachte wie aus tiefem
Traum, erhob sich und drückte dem Geiger
stumm die Hände. Eine weile saßen sie
noch in beredtem Schweigen beisammen,
tranken den wein aus und ließen den
heiligen Abend ausklingen, der für Bert-
ling ein großes Erlebnis gewesen war.
Als es um Mitternacht zur Lhristmette
lautete, stand der Gast auf und machte sich
fertig, Hertling geleitete ihn bis zur
Straße hinunter. „Besuchen Sie mich
recht bald wieder", sagte er beim Ab-
schied, „ein gedeckter Tisch und, wenn Not
am Mann sein sollte, ein paar Mark sind
immer für Sie bereit!"
wahrend Hertling wieder ins Atelier
Hinaufstieg, erinnerte er sich, daß er ver-
säumt hatte, den Geiger nach seinem Na-
men zu fragen, und auch danach, in wel-
chem Lokal er spiele. Nun, dachte er, er
wird schon von sich hören lassen. Und aus-
geglichen wie schon lange nicht mehr legte
er sich zu Bett.
wenige Tage nach Weihnachten fand
sich im Atelier ein fremder Herr ein, der
• GHLERIE ODEON
IG. Duensing / E. Michels
S^emälde erster Meister, vorwiegend Münchener
V-J Malerei aus dem 19. Jahrh. / Ankauf / Verkauf
Odeonsplatz 13 MÜNCHEN Fernspr^ 2 7961
sich als auswärtiger Runsthändler vor-
stellte und die Bilder anschaute. Schließ-
lich kaufte er in geheimem Auftrag die
„Rleine Nachtmusik" ohne mit der Wim-
per zu zucken zum höchsten Preise, den
Hertling mutig genannt hatte.
Im Januar dann, als der Geiger noch
immer nichts hören ließ, machte sich Bert-
ling selber auf und hielt bei allen großen
Rapellen der Stadt Nachschau. Aber es
war umsonst.
Hertling erfuhr nie, daß es der Geiger-
konig R. gewesen war, der ihm am Weih-
nachtsabend auf einer Stradivari vor-
gespielt hatte, und der in den Hauptstäd-
ten der ganzen Welt seine Meisterkonzerte
gab, den Abend nicht unter tausend Mark.
Die Prise
Hans Christian Andersen, der dänische
Dichter, fuhr einst auf der Eisenbahn
nach Leipzig. Ein Mitreisender meinte:
„Jetzt sind wir im Fürstentum Röthen."
Er nahm darauf eine Prise und bot auch
Andersen eine an. Dieser nahm, schnupfte,
nieste und fragte alsdann: „wie lange
sind wir noch im Fürstentum Röthens"
„Oh", erwiderte jener, „da waren wir
schon wieder heraus, als Sie niesten."
Der zerstreute Newton
An einem kalten Winterabend saß
Newton, in seine Arbeit vertieft, in
einem Zimmer, als es ihm auf einmal zu
Bewußtsein kam, daß er fror. Da er nahe
dem Fenster und weit vom Ramin saß,
in dem ein Helles Feuer brannte, rückte
er daher seinen Stuhl ganz nahe an den
Ramin und setzte da seine astronomischen
Studien angelegentlich fort. Je länger er
jedoch dicht beim Feuer saß, desto heißer
wurde ihm, und als er schließlich die sen-
gende Hitze gar nicht mehr aushalten
konnte, klingelte er heftig seinem Diener
und ries höchst ausgebracht: „Stelle doch
um Himmelswillen endlich einmal den
Ramin weg, ich vergehe ja vor Kitzel"
— „Verzeihen Sie, gnädiger Herr", er-
widerte der Diener, ein junger bildschöner
Negerbursche, indem er die Situation mit
einem schlauen Grinsen sogleich überschaut
hatte, „aber wäre es nicht vielleicht an-
gebrachter und bester, wenn Sie Ihren
Stuhl etwas weiter wegrücken wollten;"
— Newton sah den Diener erst verblüfft
an; dann aber lachte er auch laut auf und
rief in komischer Verzweiflung aus:
„Daran habe ich alter Esel wirklich nicht
gedacht. Offenbar hat mein Hirn schon
unter der Einwirkung des nahen Feuers
gelitten."
M a c o n
„Scheußlich, diese Myriaden von Sommersprossen, und noch da-
zu jefyt im Winter“ — „Aber was erlauben Sie sich, die Dame ist
meine Braut!“ — „Verzeihung, steheti ihr übrigen ausgezeichnet.“